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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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die bisher geltende Bestimmung zu beseitigen. nach welcher die von den
Kreistagen zu präsmtirenden Landrathscandidaten in dem betreffenden Kreis
ansässige Gutsbesitzer sein müssen. Die Herren verwarfen am 29. Juni diesen
Zusatz und somit war das Gesetz für die laufende Session beseitigt, was kein
allzu großer Schade ist. Darauf wendeten sich die Herren zur Schlußberathung
der aus dem Abgeordnetenhaus zurückgekommenen Städteordnung: Die Herren
thaten, was die Abgeordneten auch gethan, sie stellten ihre Beschlüsse wieder
her. Damit war auch dieses Gesetz für die laufende Session beseitigt, was
noch weniger zu bedauern ist. Das Competenzgesetz dagegen wurde mit den
bei der zweiten Vorlage von den Abgeordneten aufrecht gehaltenen Beschlüssen
oll dive angenommen. Hierauf empfing das Haus die Einladung zum
Landtagsschluß und der Präsident beendigte die Sitzungen mit den üblichen
Formalien.

Auch die Abgeordneten beschäftigten sich am 26. Juni nur mit tech¬
nischen Gegenständen, zu welchen füglich auch die Jnterpellation eines pol¬
nischen Abgeordneten gerechnet werden kann, ob die Beamten, welche polnische
Vereinsversammlungen zu controliren haben, der polnischen Sprache mächtig
sein müssen, oder ob die betreffenden Vereine gehalten sind, sich der deutschen
Sprache zu bedienen. Die Frage wird demnächst bei dem Oberverwaltungs-
Gericht ihre Entscheidung finden. Am 27. Juni faßten die Abgeordneten
den schon berührten Beschluß, ihre Veränderungen der Städteordnung den
Beschlüssen des Herrenhauses gegenüber überall aufrecht zu halten, ein Bei¬
spiel, welches, wie ebenfalls erwähnt, die Herren befolgt haben, womit das
Gesetz vereitelt worden ist. Die einzelnen Differenzpunkte interessiren nicht
mehr, nachdem die Vorlage schwerlich in derselben Gestalt wieder erscheinen
wird. -- Der Minister des Innern hatte bei der ersten Verhandlung des
Gesetzes mit dem Abgeordnetenhause verschiedene Beschlüsse des letzteren für
nichtannehmbar erklärt. Es war also in der Ordnung, daß er den Aen¬
derungen des Herrenhauses in Bezug auf diese Punkte zustimmte. Aber der
Minister hatte dasselbe gethan in Bezug auf einige Punkte, bei denen er den
Beschlüssen der Abgeordneten nicht widersprochen hatte. Diesen Umstand
benutzte der Abgeordnete Virchow zu einem unerhörten oder vielmehr zu einem
ganz dem Stil dieses Abgeordneten entsprechenden Angriff auf den Minister
des Innern und zugleich auf den abwesenden Ministerpräsidenten. Der
Hauptvorwurf war, daß die Minister nicht bei ihren Vorlagen sagen: biegen
oder brechen; daß sie nicht den Abschied nehmen, wenn sie überstimmt werden.
Es ist das der alte Schmerz des Abgeordneten Virchow, daß wir in Preußen
und im deutschen Reiche nicht haben, was dieser Abgeordnete das konstitu¬
tionelle System nennt. So wie Herr Virchow dieses System sich vorstellt,
muß jeder Minister seine Entlassung nehmen, sowohl, wenn er durch die


die bisher geltende Bestimmung zu beseitigen. nach welcher die von den
Kreistagen zu präsmtirenden Landrathscandidaten in dem betreffenden Kreis
ansässige Gutsbesitzer sein müssen. Die Herren verwarfen am 29. Juni diesen
Zusatz und somit war das Gesetz für die laufende Session beseitigt, was kein
allzu großer Schade ist. Darauf wendeten sich die Herren zur Schlußberathung
der aus dem Abgeordnetenhaus zurückgekommenen Städteordnung: Die Herren
thaten, was die Abgeordneten auch gethan, sie stellten ihre Beschlüsse wieder
her. Damit war auch dieses Gesetz für die laufende Session beseitigt, was
noch weniger zu bedauern ist. Das Competenzgesetz dagegen wurde mit den
bei der zweiten Vorlage von den Abgeordneten aufrecht gehaltenen Beschlüssen
oll dive angenommen. Hierauf empfing das Haus die Einladung zum
Landtagsschluß und der Präsident beendigte die Sitzungen mit den üblichen
Formalien.

Auch die Abgeordneten beschäftigten sich am 26. Juni nur mit tech¬
nischen Gegenständen, zu welchen füglich auch die Jnterpellation eines pol¬
nischen Abgeordneten gerechnet werden kann, ob die Beamten, welche polnische
Vereinsversammlungen zu controliren haben, der polnischen Sprache mächtig
sein müssen, oder ob die betreffenden Vereine gehalten sind, sich der deutschen
Sprache zu bedienen. Die Frage wird demnächst bei dem Oberverwaltungs-
Gericht ihre Entscheidung finden. Am 27. Juni faßten die Abgeordneten
den schon berührten Beschluß, ihre Veränderungen der Städteordnung den
Beschlüssen des Herrenhauses gegenüber überall aufrecht zu halten, ein Bei¬
spiel, welches, wie ebenfalls erwähnt, die Herren befolgt haben, womit das
Gesetz vereitelt worden ist. Die einzelnen Differenzpunkte interessiren nicht
mehr, nachdem die Vorlage schwerlich in derselben Gestalt wieder erscheinen
wird. — Der Minister des Innern hatte bei der ersten Verhandlung des
Gesetzes mit dem Abgeordnetenhause verschiedene Beschlüsse des letzteren für
nichtannehmbar erklärt. Es war also in der Ordnung, daß er den Aen¬
derungen des Herrenhauses in Bezug auf diese Punkte zustimmte. Aber der
Minister hatte dasselbe gethan in Bezug auf einige Punkte, bei denen er den
Beschlüssen der Abgeordneten nicht widersprochen hatte. Diesen Umstand
benutzte der Abgeordnete Virchow zu einem unerhörten oder vielmehr zu einem
ganz dem Stil dieses Abgeordneten entsprechenden Angriff auf den Minister
des Innern und zugleich auf den abwesenden Ministerpräsidenten. Der
Hauptvorwurf war, daß die Minister nicht bei ihren Vorlagen sagen: biegen
oder brechen; daß sie nicht den Abschied nehmen, wenn sie überstimmt werden.
Es ist das der alte Schmerz des Abgeordneten Virchow, daß wir in Preußen
und im deutschen Reiche nicht haben, was dieser Abgeordnete das konstitu¬
tionelle System nennt. So wie Herr Virchow dieses System sich vorstellt,
muß jeder Minister seine Entlassung nehmen, sowohl, wenn er durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/78>, abgerufen am 06.05.2024.