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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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parlamentarischen Verhandlungen zu einer bessern Einsicht kommt, als wenn
seine festgehaltene Einsicht in einem der beiden Häuser zurückgewiesen wird.
Wir können uns die Erörterung dieser Frage, bei welcher die verkehrtesten
Anschauungen über ausländische Sitten eine bisher nicht zu beseitigende Rolle
spielen, indem falsch verstandene ausländische Vorbilder auf unsere Zustände
übertragen werden sollen, ohne zu fragen, was uns frommt und ansteht --
wir können die Erörterung dieser Frage sparen, weil sie in den bevor¬
stehenden Wahlkämpfen, die ungewöhnlich lebhast zu werden versprechen,
vermuthlich mehrfach wieder auftauchen wird. -- Sodann wurden einige
frühere Beschlüsse in Bezug auf das Competenzgesetz wieder hergestellt, denen
sich, wie oben berichtet, das Herrenhaus durch en dive Annahme gefügt hat.
Am 28. Juni wurde bei dem Gesetz über den höheren Verwaltungsdienst die
Landrathsklausel in der oben angeführten Fassung beschlossen, der sich das
Herrenhaus nicht gefügt hat. Dagegen wurde das Gesetz über den Austritt
aus den Synagogengemeinden nach der Fassung des Herrenhauses ange¬
nommen. Am 30. Juni erfolgte die letzte Sitzung mit den üblichen For¬
matiert und sodann in vereinigter Sitzung der beiden Häuser der Schluß des
Landtages.

Alle Welt, so weit sie überhaupt den parlamentarischen Verhandlungen
noch folgt, und das ist vielleicht ein kleiner Theil von aller Welt, ist müde.
So muß unser Epilog kurz sein. Einige der vorgelegten mühsam durchver¬
handelten Gesetze sind nicht zu Stande gebracht worden, weil die Einigung
der beiden Häuser nicht zu erzielen war. Darum ist die Session doch eine
bedeutungsvolle und fruchtbare gewesen. Wir erinnern nur an das Gesetz
über die staatliche Genehmigung der evangelischen Kirchenverfassung und an
das Gesetz über die Ermächtigung der Staatsregierung, mit dem Reich wegen
Abtretung der Staatsbahnen in Verhandlung zu treten. Gerade diese beiden
Gesetze waren es auch, im welcher die Mehrheit des Hauses durch das Ver¬
dienst der national-liberalen Partei einen so gesunden und staatsmännischen
Sinn bewahrte, daß man glauben konnte, das Band der Partei mit dem
Kanzler sei wiederum fest geschlossen. Es wäre das für unsere innere
politische Entwicklung im Reich wie in Preußen ein großer Segen gewesen.
Statt dessen erscheint das so wünschenswerthe und natürliche Einverständniß
der nationalen Partei mit dem Manne, dessen unentreißbares Verdienst es
bleibt, daß der nationale Staat endlich einmal ins Leben getreten, plötzlich
aufs Neue getrübt. Es ist nicht leicht, zu sagen, woher diese beständigen
Trübungen kommen. Man ist auf Seiten der Partei mißtrauisch, weil die
wirthschaftliche Krise, welche seit den Wahlen von 1872 und 1874 über
unsere Nation gekommen, Bestrebungen wach gerufen hat, welche den wirth¬
schaftlichen Druck in verschiedener Weise ausbeuten möchten. Weil diese Be-


parlamentarischen Verhandlungen zu einer bessern Einsicht kommt, als wenn
seine festgehaltene Einsicht in einem der beiden Häuser zurückgewiesen wird.
Wir können uns die Erörterung dieser Frage, bei welcher die verkehrtesten
Anschauungen über ausländische Sitten eine bisher nicht zu beseitigende Rolle
spielen, indem falsch verstandene ausländische Vorbilder auf unsere Zustände
übertragen werden sollen, ohne zu fragen, was uns frommt und ansteht —
wir können die Erörterung dieser Frage sparen, weil sie in den bevor¬
stehenden Wahlkämpfen, die ungewöhnlich lebhast zu werden versprechen,
vermuthlich mehrfach wieder auftauchen wird. — Sodann wurden einige
frühere Beschlüsse in Bezug auf das Competenzgesetz wieder hergestellt, denen
sich, wie oben berichtet, das Herrenhaus durch en dive Annahme gefügt hat.
Am 28. Juni wurde bei dem Gesetz über den höheren Verwaltungsdienst die
Landrathsklausel in der oben angeführten Fassung beschlossen, der sich das
Herrenhaus nicht gefügt hat. Dagegen wurde das Gesetz über den Austritt
aus den Synagogengemeinden nach der Fassung des Herrenhauses ange¬
nommen. Am 30. Juni erfolgte die letzte Sitzung mit den üblichen For¬
matiert und sodann in vereinigter Sitzung der beiden Häuser der Schluß des
Landtages.

Alle Welt, so weit sie überhaupt den parlamentarischen Verhandlungen
noch folgt, und das ist vielleicht ein kleiner Theil von aller Welt, ist müde.
So muß unser Epilog kurz sein. Einige der vorgelegten mühsam durchver¬
handelten Gesetze sind nicht zu Stande gebracht worden, weil die Einigung
der beiden Häuser nicht zu erzielen war. Darum ist die Session doch eine
bedeutungsvolle und fruchtbare gewesen. Wir erinnern nur an das Gesetz
über die staatliche Genehmigung der evangelischen Kirchenverfassung und an
das Gesetz über die Ermächtigung der Staatsregierung, mit dem Reich wegen
Abtretung der Staatsbahnen in Verhandlung zu treten. Gerade diese beiden
Gesetze waren es auch, im welcher die Mehrheit des Hauses durch das Ver¬
dienst der national-liberalen Partei einen so gesunden und staatsmännischen
Sinn bewahrte, daß man glauben konnte, das Band der Partei mit dem
Kanzler sei wiederum fest geschlossen. Es wäre das für unsere innere
politische Entwicklung im Reich wie in Preußen ein großer Segen gewesen.
Statt dessen erscheint das so wünschenswerthe und natürliche Einverständniß
der nationalen Partei mit dem Manne, dessen unentreißbares Verdienst es
bleibt, daß der nationale Staat endlich einmal ins Leben getreten, plötzlich
aufs Neue getrübt. Es ist nicht leicht, zu sagen, woher diese beständigen
Trübungen kommen. Man ist auf Seiten der Partei mißtrauisch, weil die
wirthschaftliche Krise, welche seit den Wahlen von 1872 und 1874 über
unsere Nation gekommen, Bestrebungen wach gerufen hat, welche den wirth¬
schaftlichen Druck in verschiedener Weise ausbeuten möchten. Weil diese Be-


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[0079] parlamentarischen Verhandlungen zu einer bessern Einsicht kommt, als wenn seine festgehaltene Einsicht in einem der beiden Häuser zurückgewiesen wird. Wir können uns die Erörterung dieser Frage, bei welcher die verkehrtesten Anschauungen über ausländische Sitten eine bisher nicht zu beseitigende Rolle spielen, indem falsch verstandene ausländische Vorbilder auf unsere Zustände übertragen werden sollen, ohne zu fragen, was uns frommt und ansteht — wir können die Erörterung dieser Frage sparen, weil sie in den bevor¬ stehenden Wahlkämpfen, die ungewöhnlich lebhast zu werden versprechen, vermuthlich mehrfach wieder auftauchen wird. — Sodann wurden einige frühere Beschlüsse in Bezug auf das Competenzgesetz wieder hergestellt, denen sich, wie oben berichtet, das Herrenhaus durch en dive Annahme gefügt hat. Am 28. Juni wurde bei dem Gesetz über den höheren Verwaltungsdienst die Landrathsklausel in der oben angeführten Fassung beschlossen, der sich das Herrenhaus nicht gefügt hat. Dagegen wurde das Gesetz über den Austritt aus den Synagogengemeinden nach der Fassung des Herrenhauses ange¬ nommen. Am 30. Juni erfolgte die letzte Sitzung mit den üblichen For¬ matiert und sodann in vereinigter Sitzung der beiden Häuser der Schluß des Landtages. Alle Welt, so weit sie überhaupt den parlamentarischen Verhandlungen noch folgt, und das ist vielleicht ein kleiner Theil von aller Welt, ist müde. So muß unser Epilog kurz sein. Einige der vorgelegten mühsam durchver¬ handelten Gesetze sind nicht zu Stande gebracht worden, weil die Einigung der beiden Häuser nicht zu erzielen war. Darum ist die Session doch eine bedeutungsvolle und fruchtbare gewesen. Wir erinnern nur an das Gesetz über die staatliche Genehmigung der evangelischen Kirchenverfassung und an das Gesetz über die Ermächtigung der Staatsregierung, mit dem Reich wegen Abtretung der Staatsbahnen in Verhandlung zu treten. Gerade diese beiden Gesetze waren es auch, im welcher die Mehrheit des Hauses durch das Ver¬ dienst der national-liberalen Partei einen so gesunden und staatsmännischen Sinn bewahrte, daß man glauben konnte, das Band der Partei mit dem Kanzler sei wiederum fest geschlossen. Es wäre das für unsere innere politische Entwicklung im Reich wie in Preußen ein großer Segen gewesen. Statt dessen erscheint das so wünschenswerthe und natürliche Einverständniß der nationalen Partei mit dem Manne, dessen unentreißbares Verdienst es bleibt, daß der nationale Staat endlich einmal ins Leben getreten, plötzlich aufs Neue getrübt. Es ist nicht leicht, zu sagen, woher diese beständigen Trübungen kommen. Man ist auf Seiten der Partei mißtrauisch, weil die wirthschaftliche Krise, welche seit den Wahlen von 1872 und 1874 über unsere Nation gekommen, Bestrebungen wach gerufen hat, welche den wirth¬ schaftlichen Druck in verschiedener Weise ausbeuten möchten. Weil diese Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/79>, abgerufen am 19.05.2024.