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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Strebungen der sogenannten Steuer- und Wirthschaftsreformer und was sonst
derart auftaucht, sich nicht von Anfang feindlich stellen zu der Politik und
Persönlichkeit des Kanzlers, vielmehr sich mit diesem mächtigen Namen decken
möchten, so besorgt man in der Reihen der nationalen Partei, sich preisge¬
geben zu sehen. Das Verlangen aber, was hierin gefunden werden muß, daß
der Kanzler sagen soll: Diese Partei ist mein und alle andern sind meine
Gegner! ist nach der Gesammtlage des deutschen Parteilebens zur Zeit offen¬
bar unerfüllbar. Den besten Beweis liefern diejenigen Organe, welche jeden
Augenblick mit der Drohung bei der Hand sind, daß man unter bewandten
Umständen aufhören werde, national zu sein, um lediglich liberal zu werden.
Man braucht in die Gedanken des Fürsten Bismarck nicht eingeweiht zu sein,
um zu begreifen, daß für ihn der nationale Zweck über Allem steht, daß für
diesen Zweck alle anderen nur Mittel sind. Nur einer Partei, welche den
nationalen Zweck ebenso unbedingt hochhielte, ebenso unbedingt über alles
Andere stellte, ebenso unbedingt diesem Zweck alle persönlichen und Partei¬
rücksichten opferte, könnte der Fürst sich so zu sagen, verschreiben. Niemals
kann er eine Partei als die seinige ausschließlich bezeichnen und als
seiner eigenen politischen Stellung unlösbar verknüpft, welche noch Ziele
neben dem nationalen Zweck verfolgt und in unberechenbarer Weise von
diesem Ziele sich gelegentlich abhängig machen kann. Wenn die nationale
Partei bleibt was sie ist, national; wenn sie conservativ ist, wo es der
nationale Zweck erfordert, und liberal, wo es derselbe Zweck erfordert, dann
wird sie sicherlich den Reichskanzler immer auf ihrem Wege, immer zu
ihrem Ziele voranschreitend finden. Hat die nationalliberale Partei Stolz
und Klarheit genug, mit diesem Programme in den jetzigen Wahlkampf
einzutreten, so wird sie die Regierung, falls diese überhaupt in den Wahl¬
kampf eintritt, nicht nur nicht als Gegner finden, sondern die Erfahrung
machen, daß ihre Kandidaten allen andern Bewerbern vorgezogen werden.

Die nationalliberale Partei hat am 23. Juni bet den Angriffen der
Herren Windthorst und Virchow auf den abwesenden Reichskanzler aus An¬
laß der Ernennung des Staatssekretärs v. Bülow und des Präsidenten Hoff¬
mann zu Staatsministern geschwiegen, denn die Gesellung zu diesen Angriffen
würden wir für ein nationales Unglück erachtet haben. Bei den Wahlkämpfen
aber wird die Partei zu der ultramontan-fortschrittlichen Auffassung der Frage
über die Organisation des Staatsministeriums nicht schweigen können. Wenn
das Schweigen aufhört, was zunächst wohl in den Wahlreden geschehen muß,
O -- r. wird auch uns diese Frage eingehend beschäftigen.





") Oder besser, den Schein der Feindschaft vermeiden. Denn in Wahrheit giebt es nichts
Feindseligeres, als die Bestrebungen dieser Menschen im Vergleich zu dem hohen Lebensziele
D. Red. des Kanzlers.

Strebungen der sogenannten Steuer- und Wirthschaftsreformer und was sonst
derart auftaucht, sich nicht von Anfang feindlich stellen zu der Politik und
Persönlichkeit des Kanzlers, vielmehr sich mit diesem mächtigen Namen decken
möchten, so besorgt man in der Reihen der nationalen Partei, sich preisge¬
geben zu sehen. Das Verlangen aber, was hierin gefunden werden muß, daß
der Kanzler sagen soll: Diese Partei ist mein und alle andern sind meine
Gegner! ist nach der Gesammtlage des deutschen Parteilebens zur Zeit offen¬
bar unerfüllbar. Den besten Beweis liefern diejenigen Organe, welche jeden
Augenblick mit der Drohung bei der Hand sind, daß man unter bewandten
Umständen aufhören werde, national zu sein, um lediglich liberal zu werden.
Man braucht in die Gedanken des Fürsten Bismarck nicht eingeweiht zu sein,
um zu begreifen, daß für ihn der nationale Zweck über Allem steht, daß für
diesen Zweck alle anderen nur Mittel sind. Nur einer Partei, welche den
nationalen Zweck ebenso unbedingt hochhielte, ebenso unbedingt über alles
Andere stellte, ebenso unbedingt diesem Zweck alle persönlichen und Partei¬
rücksichten opferte, könnte der Fürst sich so zu sagen, verschreiben. Niemals
kann er eine Partei als die seinige ausschließlich bezeichnen und als
seiner eigenen politischen Stellung unlösbar verknüpft, welche noch Ziele
neben dem nationalen Zweck verfolgt und in unberechenbarer Weise von
diesem Ziele sich gelegentlich abhängig machen kann. Wenn die nationale
Partei bleibt was sie ist, national; wenn sie conservativ ist, wo es der
nationale Zweck erfordert, und liberal, wo es derselbe Zweck erfordert, dann
wird sie sicherlich den Reichskanzler immer auf ihrem Wege, immer zu
ihrem Ziele voranschreitend finden. Hat die nationalliberale Partei Stolz
und Klarheit genug, mit diesem Programme in den jetzigen Wahlkampf
einzutreten, so wird sie die Regierung, falls diese überhaupt in den Wahl¬
kampf eintritt, nicht nur nicht als Gegner finden, sondern die Erfahrung
machen, daß ihre Kandidaten allen andern Bewerbern vorgezogen werden.

Die nationalliberale Partei hat am 23. Juni bet den Angriffen der
Herren Windthorst und Virchow auf den abwesenden Reichskanzler aus An¬
laß der Ernennung des Staatssekretärs v. Bülow und des Präsidenten Hoff¬
mann zu Staatsministern geschwiegen, denn die Gesellung zu diesen Angriffen
würden wir für ein nationales Unglück erachtet haben. Bei den Wahlkämpfen
aber wird die Partei zu der ultramontan-fortschrittlichen Auffassung der Frage
über die Organisation des Staatsministeriums nicht schweigen können. Wenn
das Schweigen aufhört, was zunächst wohl in den Wahlreden geschehen muß,
O — r. wird auch uns diese Frage eingehend beschäftigen.





") Oder besser, den Schein der Feindschaft vermeiden. Denn in Wahrheit giebt es nichts
Feindseligeres, als die Bestrebungen dieser Menschen im Vergleich zu dem hohen Lebensziele
D. Red. des Kanzlers.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/80>, abgerufen am 10.06.2024.