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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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seine ganze Gendarmerie auf die Fersen hetzt." Wahrlich par vodilo trg,t.rum!
Bei Beiden die gleiche Gemeinheit der Gesinnung, bei Beiden dieselbe naive
Beschränktheit, anzunehmen, daß man durch solche Redensarten andere Leute,
als ungebildete und halbgebildete Franzosen überzeugen könne; nur bei dem
einen eine größere Plumpheit und Unverfrorenheit des Ausdrucks. Herr
de Saint-Genis schließt dann seine Vorrede, die er, nebenbei bemerkt, nur an
den französischen Leser richtet, wie folgt: "Ich will euch beweisen, daß die mit
Ueberlegung gefälschte Geschichte in den Händen der Preußen eine gefährliche
Heuchelet geworden ist. Die Deutschen haben 28 Mal Frankreich mit Krieg
überzogen, und sie klagen unsern Ehrgeiz an! Ich werde in dieser mühseligen
Arbeit jede Lebhaftigkeit der Sprache vermeiden. Ich werde nicht Franzosen,
sondern Fremden die harten Wahrheiten entlehnen, welche man von den
Deutschen ausgesagt hat. Ich suche keineswegs Preußen verächtlich, sondern
Frankreich beliebt zu machen; der Geist der Rache ist ein unfruchtbares Ge¬
fühl; man muß das Unrecht vermeiden, was man seinen Feinden vorwirft.
Gerade einem kalten und geduldigen Haß gegenüber ziemt es sich mit Höf¬
lichkeit zu brüsten."

Wenn man sich den Schluß dieser Vorrede genauer ansieht, besonders
auch mit Rücksicht auf das, was vorhergeht, so wird man uns gerne zugeben,
daß wir vorher nicht zu viel behaupteten, als wir sagten, daß dieses Buch
das Tollste enthält, was seit langer Zeit jenseits der Vogesen gedruckt ist.
Nach den gemeinsten Ausfällen gegen die räuberischen und mordbrennerischen
barbarischen Deutschen, sagt er, er werde jede Lebhaftigkeit der Sprache ver¬
meiden, und in demselben Athemzug, in welchem er die von ihm erst er¬
fundene Behauptung uns an den Kopf schleudert, daß die Deutschen die
Geschichte absichtlich fälschen und sich daraus eine für Europa gefährliche
Waffe machen, erklärt er nur von Fremden seine sogenannten Wahrheit ent¬
lehnen zu wollen. Wenn man dabei bedenkt, daß der Verfasser die Dreistig¬
keit besessen hat, dieser Vorrede das tiefbedeutungsvolle Wort des Tacitus
"sine irg. se stuäio" vorzusetzen, so kann es zweifelhaft erscheinen, ob für
Frankreich der Umstand beschämender ist, daß es einen Menschen wie Victor
de Saint-Genis zu den Vertretern französischer Wissenschaft gezählt hat, oder aber
der, daß sich bis dato noch kein wirklicher französischer Gelehrter bereit gefunden
hat, diesen Herrn zur Rechenschaft zu ziehen, und ihn in seiner Nichtigkeit
und Erbärmlichkeit vor aller Welt bloszustellen. Doch sehen wir zu, wie
der ehrenwerthe Herr Verfasser sich mit seiner, wie er selbst einräumt, müh
seligen Arbeit abfindet.

"Die Erzählung, welche folgt", so hebt Herr de Saint-Genis nach
einigen gemeinen Ausfällen, leeren Wiederholungen und nichtssagenden Phrasen
im ersten Kapitel an, "hat zum Zweck, jedem, der es vergessen hat, ins Ge-


seine ganze Gendarmerie auf die Fersen hetzt." Wahrlich par vodilo trg,t.rum!
Bei Beiden die gleiche Gemeinheit der Gesinnung, bei Beiden dieselbe naive
Beschränktheit, anzunehmen, daß man durch solche Redensarten andere Leute,
als ungebildete und halbgebildete Franzosen überzeugen könne; nur bei dem
einen eine größere Plumpheit und Unverfrorenheit des Ausdrucks. Herr
de Saint-Genis schließt dann seine Vorrede, die er, nebenbei bemerkt, nur an
den französischen Leser richtet, wie folgt: „Ich will euch beweisen, daß die mit
Ueberlegung gefälschte Geschichte in den Händen der Preußen eine gefährliche
Heuchelet geworden ist. Die Deutschen haben 28 Mal Frankreich mit Krieg
überzogen, und sie klagen unsern Ehrgeiz an! Ich werde in dieser mühseligen
Arbeit jede Lebhaftigkeit der Sprache vermeiden. Ich werde nicht Franzosen,
sondern Fremden die harten Wahrheiten entlehnen, welche man von den
Deutschen ausgesagt hat. Ich suche keineswegs Preußen verächtlich, sondern
Frankreich beliebt zu machen; der Geist der Rache ist ein unfruchtbares Ge¬
fühl; man muß das Unrecht vermeiden, was man seinen Feinden vorwirft.
Gerade einem kalten und geduldigen Haß gegenüber ziemt es sich mit Höf¬
lichkeit zu brüsten."

Wenn man sich den Schluß dieser Vorrede genauer ansieht, besonders
auch mit Rücksicht auf das, was vorhergeht, so wird man uns gerne zugeben,
daß wir vorher nicht zu viel behaupteten, als wir sagten, daß dieses Buch
das Tollste enthält, was seit langer Zeit jenseits der Vogesen gedruckt ist.
Nach den gemeinsten Ausfällen gegen die räuberischen und mordbrennerischen
barbarischen Deutschen, sagt er, er werde jede Lebhaftigkeit der Sprache ver¬
meiden, und in demselben Athemzug, in welchem er die von ihm erst er¬
fundene Behauptung uns an den Kopf schleudert, daß die Deutschen die
Geschichte absichtlich fälschen und sich daraus eine für Europa gefährliche
Waffe machen, erklärt er nur von Fremden seine sogenannten Wahrheit ent¬
lehnen zu wollen. Wenn man dabei bedenkt, daß der Verfasser die Dreistig¬
keit besessen hat, dieser Vorrede das tiefbedeutungsvolle Wort des Tacitus
„sine irg. se stuäio" vorzusetzen, so kann es zweifelhaft erscheinen, ob für
Frankreich der Umstand beschämender ist, daß es einen Menschen wie Victor
de Saint-Genis zu den Vertretern französischer Wissenschaft gezählt hat, oder aber
der, daß sich bis dato noch kein wirklicher französischer Gelehrter bereit gefunden
hat, diesen Herrn zur Rechenschaft zu ziehen, und ihn in seiner Nichtigkeit
und Erbärmlichkeit vor aller Welt bloszustellen. Doch sehen wir zu, wie
der ehrenwerthe Herr Verfasser sich mit seiner, wie er selbst einräumt, müh
seligen Arbeit abfindet.

„Die Erzählung, welche folgt", so hebt Herr de Saint-Genis nach
einigen gemeinen Ausfällen, leeren Wiederholungen und nichtssagenden Phrasen
im ersten Kapitel an, „hat zum Zweck, jedem, der es vergessen hat, ins Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/11>, abgerufen am 15.05.2024.