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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Die Regierung will nun diesem Unwesen und offenbaren Mißbrauch der
Auswanderungsfreiheit der elsaß-lothringenschen Schuljugend zur rechten Zeit
einen Damm entgegensetzen. Sie characterisirt daher jene Maßregel als eine
wesentlich präventive für zukünftige Fälle, als eine "Warnung" im Interesse
der Eltern der Minderjährigen, die sich vergeblich darüber beklagen, wenn
ihren großjährig gewordenen Söhnen in der Zukunft absolut alle und jede
Einwirkung auf die Regelung der Verhältnisse ihres Geburth- und Heimath¬
landes versagt bleibt, alle Stellen mit eingewanderten Altdeutschen besetzt
werden u. dergl., wenn eben diese Söhne schon in jungen Jahren dem
Stammlande den Rücken kehren und ihre Ausbildung statt in deutschen Er¬
ziehungsanstalten, deren das Land zahlreiche und vorzügliche besitzt, in der
Fremde suchen, wo sie im Princip ja doch nur zur Verachtung, um nicht
zu sagen zum Haß gegen ihr neues deutsches Vaterland erzogen werden.

Dazu kommt noch ein Punkt, der dabei noch viel schwerer ins Gewicht
fällt und auch bei Erlaß jener Ausweisungen von offiziöser Seite hinlänglich
betont worden ist. Nach dem herrschenden Landesrechte kann der Minder¬
jährige nach der diesseitigen Entlassung, die mit dem Zeitpunkte der Ein¬
händigung der Entlassungsurkunde sofort den Verlust der deutschen Staats¬
und elsaß-lothringischen Landesangehörigkeit zur Folge hat, ein selbständiges
Domizil in Frankreich nicht erwerben; denn er behält bis zu seiner Gro߬
jährigkeit gemäß Art. 108 coäs sein gesetzliches Domizil bei seinen
Eltern oder Vormündern. Nun wird aber jede Entlassungsurkunde vo ixsv
nach 6 Monaten ungültig, wenn der Entlassene nicht innerhalb dieser Frist
seinen Wohnsitz nach dem Auslande verlegt hat, oder doch wenigstens den
Beweis liefert, daß er eine anderweite Nationalität erworben hat. Wie soll
der nach Frankreich ausgewanderte Minderjährige, der ja noch keine volle
Rechts- und Handlungsfähigkeit in juristischer wie bürgerlicher Hinsicht hat,
diesen Beweis liefern? Unmöglich. Liefert er ihn aber nicht, so wird er ge¬
mäß §. 11 des Reichs -Militärgesetzes vom 2. Mai 1874, bei dauerndem
Aufenthalte im Reichslande trotz des Verlustes der deutschen Staatsan¬
gehörigkeit in militärischer Beziehung so behandelt, als ob er nicht
ausgewandert wäre, und dem deutschen Heere einfach eingereiht. In
sonstiger Hinsicht aber ist das Verhältniß sin gäriz sonderbares. Deutscher
ist der Minderjährige nicht mehr; denn er hat seine Entlassung genommen.
Franzose kann er nicht werden, da er dort als Minderjähriger keinen selbst¬
ständigen Wohnsitz haben und die französische Nationalität nicht erwerben
kann. So wenigstens die hier seit einigen Monaten in Brauch gekommene
Interpretation des Ober-Präsidiums der betr. Paragraphen des Gesetzes über
den Erwerb und Verlust det Staatsangehörigkeit. Die Entlassung schwebt
also einfach in der Luft; sie ist nach K Monaten ein Richtiger Act geworden,


Die Regierung will nun diesem Unwesen und offenbaren Mißbrauch der
Auswanderungsfreiheit der elsaß-lothringenschen Schuljugend zur rechten Zeit
einen Damm entgegensetzen. Sie characterisirt daher jene Maßregel als eine
wesentlich präventive für zukünftige Fälle, als eine „Warnung" im Interesse
der Eltern der Minderjährigen, die sich vergeblich darüber beklagen, wenn
ihren großjährig gewordenen Söhnen in der Zukunft absolut alle und jede
Einwirkung auf die Regelung der Verhältnisse ihres Geburth- und Heimath¬
landes versagt bleibt, alle Stellen mit eingewanderten Altdeutschen besetzt
werden u. dergl., wenn eben diese Söhne schon in jungen Jahren dem
Stammlande den Rücken kehren und ihre Ausbildung statt in deutschen Er¬
ziehungsanstalten, deren das Land zahlreiche und vorzügliche besitzt, in der
Fremde suchen, wo sie im Princip ja doch nur zur Verachtung, um nicht
zu sagen zum Haß gegen ihr neues deutsches Vaterland erzogen werden.

Dazu kommt noch ein Punkt, der dabei noch viel schwerer ins Gewicht
fällt und auch bei Erlaß jener Ausweisungen von offiziöser Seite hinlänglich
betont worden ist. Nach dem herrschenden Landesrechte kann der Minder¬
jährige nach der diesseitigen Entlassung, die mit dem Zeitpunkte der Ein¬
händigung der Entlassungsurkunde sofort den Verlust der deutschen Staats¬
und elsaß-lothringischen Landesangehörigkeit zur Folge hat, ein selbständiges
Domizil in Frankreich nicht erwerben; denn er behält bis zu seiner Gro߬
jährigkeit gemäß Art. 108 coäs sein gesetzliches Domizil bei seinen
Eltern oder Vormündern. Nun wird aber jede Entlassungsurkunde vo ixsv
nach 6 Monaten ungültig, wenn der Entlassene nicht innerhalb dieser Frist
seinen Wohnsitz nach dem Auslande verlegt hat, oder doch wenigstens den
Beweis liefert, daß er eine anderweite Nationalität erworben hat. Wie soll
der nach Frankreich ausgewanderte Minderjährige, der ja noch keine volle
Rechts- und Handlungsfähigkeit in juristischer wie bürgerlicher Hinsicht hat,
diesen Beweis liefern? Unmöglich. Liefert er ihn aber nicht, so wird er ge¬
mäß §. 11 des Reichs -Militärgesetzes vom 2. Mai 1874, bei dauerndem
Aufenthalte im Reichslande trotz des Verlustes der deutschen Staatsan¬
gehörigkeit in militärischer Beziehung so behandelt, als ob er nicht
ausgewandert wäre, und dem deutschen Heere einfach eingereiht. In
sonstiger Hinsicht aber ist das Verhältniß sin gäriz sonderbares. Deutscher
ist der Minderjährige nicht mehr; denn er hat seine Entlassung genommen.
Franzose kann er nicht werden, da er dort als Minderjähriger keinen selbst¬
ständigen Wohnsitz haben und die französische Nationalität nicht erwerben
kann. So wenigstens die hier seit einigen Monaten in Brauch gekommene
Interpretation des Ober-Präsidiums der betr. Paragraphen des Gesetzes über
den Erwerb und Verlust det Staatsangehörigkeit. Die Entlassung schwebt
also einfach in der Luft; sie ist nach K Monaten ein Richtiger Act geworden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/112>, abgerufen am 15.05.2024.