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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Jungfrau nahm ihn vom Scheitel und reichte ihn dem, welchen sie auszeichnen
wollte, -- aber nicht umsonst, er mußte sich denselben verdienen. Jm Wett-
gesänge traten Beide an solchen Abenden auf. Die Jungfrau inmitten der
sie umgebenden Gespielinnen, forderte dazu mit zierlichen Worten die jungen
Männer heraus und einer derselben nahm den Kampf an. Er wendet sich
an das Mädchen und bittet in Versen um den Kranz. Diese giebt ihm nun ein oder
mehrere Räthsel zu lösen und macht hiervon die Gewährung der Bitte abhängig.
Der Ursprung dieses Spieles führt uns in das früheste germanische Alterthum zu¬
rück. Die auf uns gekommenen Dichtungen der älteren Edda bringen uns schon
Wettgespräche, so versucht z. B. im Vafthrudnisliede selbst Odhin unter
dem Namen Gangrad ein Wettgespräch mit dem vielwissenden Riesen Vaft-
hrudnir. Auch die Räthsel sind ein uralter, vielbeliebter Theil unserer Poesie,
welcher sowohl mit dem ganzen Sinne des germanischen Volkes als auch mit der
Eigenthümlichkeit seiner Dichtungen zusammenhängt. Der Zug des Räthsel¬
haften, das Streben, die innerliche Anschauung und Empfindung über irgend
etwas in ein Gleichniß zu verbergen, das die Thatsache und die Meinung
davon zugleich ausdrückt, zeigte sich vielfach. Die ganze altnordische Poesie ist
schon voll von Räthseldichtungen, -- ist doch die Art der Statten im Denken
und Reden ein stetiges Räthselfinden und Räthselaufgeben. Dasselbe findet
auch bei den Angelsachsen statt. Aber auch in der innerdeutschen Poesie
tritt uns Ende des 12. Jahrhunderts die Räthselpoesie entgegen und war
jedenfalls auch dort schon früher vorhanden. Das Kranzsingen lehnte sich
allem Vermuthen nach an derartige alte Dichtungen und bildete sich erst mit
der Zeit zu der Form aus, wie wir sie im Mittelalter antreffen. -- Einige
dieser Kranzlieder haben sich uns erhalten, das nachfolgende ist einer alten
Handschrift entnommen.*) Der Sänger tritt hierbei mit der Bitte vor:


"Gott grüß' euch hübsche Jungfrau fein
Möcht euer Nosenkränzlein mein doch sein;
Ach so greift höflich und fein
Mit eurer schneeweißen Hand
Auf euer oberstes Haarband
So will ich es legen in einen Schrein
Und es euch sagen zu Ehre
Daß es von der schönsten Jungfrau wäre."

Das Mädchen ist nun zwar nicht abgeneigt, dies zu thun, sie giebt ihm
aber erst nachstehendes Räthsel mit den Worten auf:


"Hübscher junger Knab', auf meines Vaters Giebel
Sitzen der Vöglein sieben;


') Taschenbuch für Geschichte und Alterthum in Süddeutschland für das Jahr 1839.

Jungfrau nahm ihn vom Scheitel und reichte ihn dem, welchen sie auszeichnen
wollte, — aber nicht umsonst, er mußte sich denselben verdienen. Jm Wett-
gesänge traten Beide an solchen Abenden auf. Die Jungfrau inmitten der
sie umgebenden Gespielinnen, forderte dazu mit zierlichen Worten die jungen
Männer heraus und einer derselben nahm den Kampf an. Er wendet sich
an das Mädchen und bittet in Versen um den Kranz. Diese giebt ihm nun ein oder
mehrere Räthsel zu lösen und macht hiervon die Gewährung der Bitte abhängig.
Der Ursprung dieses Spieles führt uns in das früheste germanische Alterthum zu¬
rück. Die auf uns gekommenen Dichtungen der älteren Edda bringen uns schon
Wettgespräche, so versucht z. B. im Vafthrudnisliede selbst Odhin unter
dem Namen Gangrad ein Wettgespräch mit dem vielwissenden Riesen Vaft-
hrudnir. Auch die Räthsel sind ein uralter, vielbeliebter Theil unserer Poesie,
welcher sowohl mit dem ganzen Sinne des germanischen Volkes als auch mit der
Eigenthümlichkeit seiner Dichtungen zusammenhängt. Der Zug des Räthsel¬
haften, das Streben, die innerliche Anschauung und Empfindung über irgend
etwas in ein Gleichniß zu verbergen, das die Thatsache und die Meinung
davon zugleich ausdrückt, zeigte sich vielfach. Die ganze altnordische Poesie ist
schon voll von Räthseldichtungen, — ist doch die Art der Statten im Denken
und Reden ein stetiges Räthselfinden und Räthselaufgeben. Dasselbe findet
auch bei den Angelsachsen statt. Aber auch in der innerdeutschen Poesie
tritt uns Ende des 12. Jahrhunderts die Räthselpoesie entgegen und war
jedenfalls auch dort schon früher vorhanden. Das Kranzsingen lehnte sich
allem Vermuthen nach an derartige alte Dichtungen und bildete sich erst mit
der Zeit zu der Form aus, wie wir sie im Mittelalter antreffen. — Einige
dieser Kranzlieder haben sich uns erhalten, das nachfolgende ist einer alten
Handschrift entnommen.*) Der Sänger tritt hierbei mit der Bitte vor:


„Gott grüß' euch hübsche Jungfrau fein
Möcht euer Nosenkränzlein mein doch sein;
Ach so greift höflich und fein
Mit eurer schneeweißen Hand
Auf euer oberstes Haarband
So will ich es legen in einen Schrein
Und es euch sagen zu Ehre
Daß es von der schönsten Jungfrau wäre."

Das Mädchen ist nun zwar nicht abgeneigt, dies zu thun, sie giebt ihm
aber erst nachstehendes Räthsel mit den Worten auf:


„Hübscher junger Knab', auf meines Vaters Giebel
Sitzen der Vöglein sieben;


') Taschenbuch für Geschichte und Alterthum in Süddeutschland für das Jahr 1839.
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[0116] Jungfrau nahm ihn vom Scheitel und reichte ihn dem, welchen sie auszeichnen wollte, — aber nicht umsonst, er mußte sich denselben verdienen. Jm Wett- gesänge traten Beide an solchen Abenden auf. Die Jungfrau inmitten der sie umgebenden Gespielinnen, forderte dazu mit zierlichen Worten die jungen Männer heraus und einer derselben nahm den Kampf an. Er wendet sich an das Mädchen und bittet in Versen um den Kranz. Diese giebt ihm nun ein oder mehrere Räthsel zu lösen und macht hiervon die Gewährung der Bitte abhängig. Der Ursprung dieses Spieles führt uns in das früheste germanische Alterthum zu¬ rück. Die auf uns gekommenen Dichtungen der älteren Edda bringen uns schon Wettgespräche, so versucht z. B. im Vafthrudnisliede selbst Odhin unter dem Namen Gangrad ein Wettgespräch mit dem vielwissenden Riesen Vaft- hrudnir. Auch die Räthsel sind ein uralter, vielbeliebter Theil unserer Poesie, welcher sowohl mit dem ganzen Sinne des germanischen Volkes als auch mit der Eigenthümlichkeit seiner Dichtungen zusammenhängt. Der Zug des Räthsel¬ haften, das Streben, die innerliche Anschauung und Empfindung über irgend etwas in ein Gleichniß zu verbergen, das die Thatsache und die Meinung davon zugleich ausdrückt, zeigte sich vielfach. Die ganze altnordische Poesie ist schon voll von Räthseldichtungen, — ist doch die Art der Statten im Denken und Reden ein stetiges Räthselfinden und Räthselaufgeben. Dasselbe findet auch bei den Angelsachsen statt. Aber auch in der innerdeutschen Poesie tritt uns Ende des 12. Jahrhunderts die Räthselpoesie entgegen und war jedenfalls auch dort schon früher vorhanden. Das Kranzsingen lehnte sich allem Vermuthen nach an derartige alte Dichtungen und bildete sich erst mit der Zeit zu der Form aus, wie wir sie im Mittelalter antreffen. — Einige dieser Kranzlieder haben sich uns erhalten, das nachfolgende ist einer alten Handschrift entnommen.*) Der Sänger tritt hierbei mit der Bitte vor: „Gott grüß' euch hübsche Jungfrau fein Möcht euer Nosenkränzlein mein doch sein; Ach so greift höflich und fein Mit eurer schneeweißen Hand Auf euer oberstes Haarband So will ich es legen in einen Schrein Und es euch sagen zu Ehre Daß es von der schönsten Jungfrau wäre." Das Mädchen ist nun zwar nicht abgeneigt, dies zu thun, sie giebt ihm aber erst nachstehendes Räthsel mit den Worten auf: „Hübscher junger Knab', auf meines Vaters Giebel Sitzen der Vöglein sieben; ') Taschenbuch für Geschichte und Alterthum in Süddeutschland für das Jahr 1839.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/116>, abgerufen am 31.05.2024.