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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Weß die Vögelein geleben,
Könnt' ihr mir das sagen,
So sollt ihr mein Kränzlein von hinnen tragen."

Der Sänger entgegnet:


"Der erst' gelebt eurer Jugend,
Der andere eurer Tugend,
'
Der dritt eurer süßen Aeuglein Blicke,
'
Der viere eures Gutes,
Der fünft' eures Muthes.
Der sechse' eures stolzen Leib's,
Der sichert eures reinen Herzen Schreins!
Zart' Jungfrau gebt mir das Kränzlein, es ist an der Zeit
Oder fürbaß mir versagen
Mit hübschen Worten und daran nicht verzagen."

Ein anderes dieser Räthsel lautet:


"Sänger, so merk' mich eben,
Ich will dir eine Frag' aufgeben:
Was ist höher wie der Gott?
Und was ist höher denn der Spott?
Und was ist weißer denn der Schnee?
Und was ist grüner denn der Klee?
Kannst mir das singen oder sagen,
Das Kränzlein sollst du gewonnen haben,
Darum will ich jetzt stille stehn
Und den Sänger zu mir her lassen gehen."

Letzterer erwidert:


"Du hast mir eine Frag aufgegeben,
Die gefällt mir wohl und ist mir eben.
Die Kron' ist höher, wie der Gott,
Die Schand' ist größer denn der Spott,
Der Tag ist weißer, denn der Schnee,
Das Märzenlaub ist grüner denn der Klee.
Die Frag' hab' ich dir thun sagen,
Das Kränzlein sollst du verloren haben!"

Es law ^auch wohl vor, *) daß der Sänger, wenn er den Kranz nun
endlich erhalten hatte, was oft erst nach einer langen Reihe von zu lösenden
Räthseln geschah, denselben auch zu vertheidigen hatte. Ein andrer Sänger
trat dann auf und legte ihm ebenfalls Räthsel vor. Löste er sie nicht, verlor



') Deutsche Volkslieder gesammelt von L. Uhland. Bd. 1. S. 9.
Grenzvoten III. l876. 15
Weß die Vögelein geleben,
Könnt' ihr mir das sagen,
So sollt ihr mein Kränzlein von hinnen tragen."

Der Sänger entgegnet:


„Der erst' gelebt eurer Jugend,
Der andere eurer Tugend,
'
Der dritt eurer süßen Aeuglein Blicke,
'
Der viere eures Gutes,
Der fünft' eures Muthes.
Der sechse' eures stolzen Leib's,
Der sichert eures reinen Herzen Schreins!
Zart' Jungfrau gebt mir das Kränzlein, es ist an der Zeit
Oder fürbaß mir versagen
Mit hübschen Worten und daran nicht verzagen."

Ein anderes dieser Räthsel lautet:


„Sänger, so merk' mich eben,
Ich will dir eine Frag' aufgeben:
Was ist höher wie der Gott?
Und was ist höher denn der Spott?
Und was ist weißer denn der Schnee?
Und was ist grüner denn der Klee?
Kannst mir das singen oder sagen,
Das Kränzlein sollst du gewonnen haben,
Darum will ich jetzt stille stehn
Und den Sänger zu mir her lassen gehen."

Letzterer erwidert:


„Du hast mir eine Frag aufgegeben,
Die gefällt mir wohl und ist mir eben.
Die Kron' ist höher, wie der Gott,
Die Schand' ist größer denn der Spott,
Der Tag ist weißer, denn der Schnee,
Das Märzenlaub ist grüner denn der Klee.
Die Frag' hab' ich dir thun sagen,
Das Kränzlein sollst du verloren haben!"

Es law ^auch wohl vor, *) daß der Sänger, wenn er den Kranz nun
endlich erhalten hatte, was oft erst nach einer langen Reihe von zu lösenden
Räthseln geschah, denselben auch zu vertheidigen hatte. Ein andrer Sänger
trat dann auf und legte ihm ebenfalls Räthsel vor. Löste er sie nicht, verlor



') Deutsche Volkslieder gesammelt von L. Uhland. Bd. 1. S. 9.
Grenzvoten III. l876. 15
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[0117] Weß die Vögelein geleben, Könnt' ihr mir das sagen, So sollt ihr mein Kränzlein von hinnen tragen." Der Sänger entgegnet: „Der erst' gelebt eurer Jugend, Der andere eurer Tugend, ' Der dritt eurer süßen Aeuglein Blicke, ' Der viere eures Gutes, Der fünft' eures Muthes. Der sechse' eures stolzen Leib's, Der sichert eures reinen Herzen Schreins! Zart' Jungfrau gebt mir das Kränzlein, es ist an der Zeit Oder fürbaß mir versagen Mit hübschen Worten und daran nicht verzagen." Ein anderes dieser Räthsel lautet: „Sänger, so merk' mich eben, Ich will dir eine Frag' aufgeben: Was ist höher wie der Gott? Und was ist höher denn der Spott? Und was ist weißer denn der Schnee? Und was ist grüner denn der Klee? Kannst mir das singen oder sagen, Das Kränzlein sollst du gewonnen haben, Darum will ich jetzt stille stehn Und den Sänger zu mir her lassen gehen." Letzterer erwidert: „Du hast mir eine Frag aufgegeben, Die gefällt mir wohl und ist mir eben. Die Kron' ist höher, wie der Gott, Die Schand' ist größer denn der Spott, Der Tag ist weißer, denn der Schnee, Das Märzenlaub ist grüner denn der Klee. Die Frag' hab' ich dir thun sagen, Das Kränzlein sollst du verloren haben!" Es law ^auch wohl vor, *) daß der Sänger, wenn er den Kranz nun endlich erhalten hatte, was oft erst nach einer langen Reihe von zu lösenden Räthseln geschah, denselben auch zu vertheidigen hatte. Ein andrer Sänger trat dann auf und legte ihm ebenfalls Räthsel vor. Löste er sie nicht, verlor ') Deutsche Volkslieder gesammelt von L. Uhland. Bd. 1. S. 9. Grenzvoten III. l876. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/117>, abgerufen am 09.06.2024.