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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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der Handlung, daß man die Personen und ihre Umgebung vor sich zu
sehen, sie reden zu hören glaubt. Sehr charakteristisch tritt auch die Kirche
W ihrer Herrschsucht, ihrer Verweltlichung, ihrer feingespitzten Intrigue, bei
ihm hervor, und höchst anziehend schildert er sodann den byzantinischen Hof
in seinem Luxus, seiner Frömmelei, seinem Jntriguenspiel, diesen Hof, an
dem man, wie Narses der Kaiserin in's Gesicht zu sagen wagte, an einem
Worte sterben kann, mag man es gesagt oder nicht gesagt haben. Malerisch
entfaltet sich ebenso die Buntheit des byzantinischen Heeres, dieser Musterkarte
aller Nationen der Welt. Mit wenigen Strichen versteht es endlich der
Dichter, indem er uns <auf den Hof eines gothischen Gutsbesitzers (Vitiges)
in der Nähe von Florenz führt, auf's Wirksamste die Innigkeit und das tief
empfundene Glück germanischen Familienlebens auf dem Gegensatze zwischen
holden und Römern, der unhaltbaren Stellung der ersteren inmitten einer
feindlichen romanischen Bevölkerung, zu contrastiren. Ein erquickender Friede
ruht auf diesem Bilde, es ist eine tief poetische Idylle, aber eine Idylle auf
dem Hintergrunde einer düsteren Tragödie.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß das Werk, trotz nicht leicht
wiegender Bedenken gegen manche Elemente in der Darstellung der Personen
und Zustände, wie in der Behandlung der Sprache, eben in diesen einen nicht
gewöhnlichen poetischen Werth besitzt. Hinsichtlich der Composition des Ganzen
und der Darstellungsweise bleibt derselbe noch zu erörtern. Für die erstere
'Nüssen wir zunächst festhalten, daß Dahn die Einheit des Ganzen nicht in
einer Person, sondern im Volke der Gothen sucht, daß also der Held des
Romans nicht die oder jene Einzelfigur, sondern das ganze, glänzend ver¬
tretene Volk der Gothen ist. Giebt man die Statthaftigkeit einer solchen
Auffassung zu, so mangelt es dem Werke durchaus nicht an der jedem Kunst¬
werke nothwendigen Einheit, und man hat dann nicht nöthig, Cethegus
Cäsarius zum Helden zu machen, der doch eben gar nicht das Volk, um
dessen Schicksal es sich handelt, vertritt und auch persönlich nicht die Sym¬
pathien erwecken kann, die dem Helden zukommen; dann sieht man in ihm
nur einen Gegner, dessen Bedeutung die Schwere des Kampfes für die Gothen
steigert. Dem entsprechend werden auch die Byzantiner nicht durch eine
Alles überragende Hauptfigur repräsentirt, sondern durch mehrere, wesentlich
gleich wichtige Persönlichkeiten, denn Volk kämpft hier gegen Volk, und wenn
die Italiener factisch nur von Cethegus vertreten werden -- die übrigen
Römer sind Nebenfiguren, nur der künftige Papst Silverius bedeutet etwas
mehr -- so entspricht das nur den Verhältnissen: Cethegus hat eben kein
Volk hinter sich, der Kampf um Rom ist sein Kampf, nicht der Kampf der
Italiener.


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der Handlung, daß man die Personen und ihre Umgebung vor sich zu
sehen, sie reden zu hören glaubt. Sehr charakteristisch tritt auch die Kirche
W ihrer Herrschsucht, ihrer Verweltlichung, ihrer feingespitzten Intrigue, bei
ihm hervor, und höchst anziehend schildert er sodann den byzantinischen Hof
in seinem Luxus, seiner Frömmelei, seinem Jntriguenspiel, diesen Hof, an
dem man, wie Narses der Kaiserin in's Gesicht zu sagen wagte, an einem
Worte sterben kann, mag man es gesagt oder nicht gesagt haben. Malerisch
entfaltet sich ebenso die Buntheit des byzantinischen Heeres, dieser Musterkarte
aller Nationen der Welt. Mit wenigen Strichen versteht es endlich der
Dichter, indem er uns <auf den Hof eines gothischen Gutsbesitzers (Vitiges)
in der Nähe von Florenz führt, auf's Wirksamste die Innigkeit und das tief
empfundene Glück germanischen Familienlebens auf dem Gegensatze zwischen
holden und Römern, der unhaltbaren Stellung der ersteren inmitten einer
feindlichen romanischen Bevölkerung, zu contrastiren. Ein erquickender Friede
ruht auf diesem Bilde, es ist eine tief poetische Idylle, aber eine Idylle auf
dem Hintergrunde einer düsteren Tragödie.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß das Werk, trotz nicht leicht
wiegender Bedenken gegen manche Elemente in der Darstellung der Personen
und Zustände, wie in der Behandlung der Sprache, eben in diesen einen nicht
gewöhnlichen poetischen Werth besitzt. Hinsichtlich der Composition des Ganzen
und der Darstellungsweise bleibt derselbe noch zu erörtern. Für die erstere
'Nüssen wir zunächst festhalten, daß Dahn die Einheit des Ganzen nicht in
einer Person, sondern im Volke der Gothen sucht, daß also der Held des
Romans nicht die oder jene Einzelfigur, sondern das ganze, glänzend ver¬
tretene Volk der Gothen ist. Giebt man die Statthaftigkeit einer solchen
Auffassung zu, so mangelt es dem Werke durchaus nicht an der jedem Kunst¬
werke nothwendigen Einheit, und man hat dann nicht nöthig, Cethegus
Cäsarius zum Helden zu machen, der doch eben gar nicht das Volk, um
dessen Schicksal es sich handelt, vertritt und auch persönlich nicht die Sym¬
pathien erwecken kann, die dem Helden zukommen; dann sieht man in ihm
nur einen Gegner, dessen Bedeutung die Schwere des Kampfes für die Gothen
steigert. Dem entsprechend werden auch die Byzantiner nicht durch eine
Alles überragende Hauptfigur repräsentirt, sondern durch mehrere, wesentlich
gleich wichtige Persönlichkeiten, denn Volk kämpft hier gegen Volk, und wenn
die Italiener factisch nur von Cethegus vertreten werden — die übrigen
Römer sind Nebenfiguren, nur der künftige Papst Silverius bedeutet etwas
mehr — so entspricht das nur den Verhältnissen: Cethegus hat eben kein
Volk hinter sich, der Kampf um Rom ist sein Kampf, nicht der Kampf der
Italiener.


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[0133] der Handlung, daß man die Personen und ihre Umgebung vor sich zu sehen, sie reden zu hören glaubt. Sehr charakteristisch tritt auch die Kirche W ihrer Herrschsucht, ihrer Verweltlichung, ihrer feingespitzten Intrigue, bei ihm hervor, und höchst anziehend schildert er sodann den byzantinischen Hof in seinem Luxus, seiner Frömmelei, seinem Jntriguenspiel, diesen Hof, an dem man, wie Narses der Kaiserin in's Gesicht zu sagen wagte, an einem Worte sterben kann, mag man es gesagt oder nicht gesagt haben. Malerisch entfaltet sich ebenso die Buntheit des byzantinischen Heeres, dieser Musterkarte aller Nationen der Welt. Mit wenigen Strichen versteht es endlich der Dichter, indem er uns <auf den Hof eines gothischen Gutsbesitzers (Vitiges) in der Nähe von Florenz führt, auf's Wirksamste die Innigkeit und das tief empfundene Glück germanischen Familienlebens auf dem Gegensatze zwischen holden und Römern, der unhaltbaren Stellung der ersteren inmitten einer feindlichen romanischen Bevölkerung, zu contrastiren. Ein erquickender Friede ruht auf diesem Bilde, es ist eine tief poetische Idylle, aber eine Idylle auf dem Hintergrunde einer düsteren Tragödie. Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß das Werk, trotz nicht leicht wiegender Bedenken gegen manche Elemente in der Darstellung der Personen und Zustände, wie in der Behandlung der Sprache, eben in diesen einen nicht gewöhnlichen poetischen Werth besitzt. Hinsichtlich der Composition des Ganzen und der Darstellungsweise bleibt derselbe noch zu erörtern. Für die erstere 'Nüssen wir zunächst festhalten, daß Dahn die Einheit des Ganzen nicht in einer Person, sondern im Volke der Gothen sucht, daß also der Held des Romans nicht die oder jene Einzelfigur, sondern das ganze, glänzend ver¬ tretene Volk der Gothen ist. Giebt man die Statthaftigkeit einer solchen Auffassung zu, so mangelt es dem Werke durchaus nicht an der jedem Kunst¬ werke nothwendigen Einheit, und man hat dann nicht nöthig, Cethegus Cäsarius zum Helden zu machen, der doch eben gar nicht das Volk, um dessen Schicksal es sich handelt, vertritt und auch persönlich nicht die Sym¬ pathien erwecken kann, die dem Helden zukommen; dann sieht man in ihm nur einen Gegner, dessen Bedeutung die Schwere des Kampfes für die Gothen steigert. Dem entsprechend werden auch die Byzantiner nicht durch eine Alles überragende Hauptfigur repräsentirt, sondern durch mehrere, wesentlich gleich wichtige Persönlichkeiten, denn Volk kämpft hier gegen Volk, und wenn die Italiener factisch nur von Cethegus vertreten werden — die übrigen Römer sind Nebenfiguren, nur der künftige Papst Silverius bedeutet etwas mehr — so entspricht das nur den Verhältnissen: Cethegus hat eben kein Volk hinter sich, der Kampf um Rom ist sein Kampf, nicht der Kampf der Italiener. Grenzten IV. >87<!. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/133>, abgerufen am 29.05.2024.