Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In Bezug auf die Composition wird nun ohne Frage die Exposition,
die etwa den ersten Band füllt, den ungeteiltesten Beifall beanspruchen
dürfen. Sie ist durchaus ein Meisterstück. Man sieht das Verderben von
allen Seiten heranziehen, unaufhaltsam, unerbittlich, eine dumpfe Schwüle
ruht auf dem Ganzen, bis der Blitz der byzantinischen Kriegserklärung sie
durchbricht. Nur wenige der Gothen ahnen das drohende Verhängniß: in
dunkler Nacht schwören Hildebrand und sein Bruder, Totila, Teja nach alt-
heidischem Brauche sich zu, den Kampf aufzunehmen bis zum Aeußersten.
Derweilen bildet Cethegus mit dem Priester Silverius die römische Kata¬
kombenverschwörung gegen die Gothen. Da stirbt Theodorich, Alamaswinthe
folgt ihm, vertraut in ihrer Verblendung dem Todfeinde Cethegus Rom an,
vernichtet -- auf seinen Rath! -- durch die Ermordung ihrer drei Haupt¬
gegner die letzten Sympathien der Gothen. Einen Moment noch scheint es,
als ob der junge Athalarich. ihr Sohn, sich ermannen, die Herrschaft an sich
nehmen werde: er fällt durch Cethegus. So sind Ostgothen und Italiener
scharf einander gegenübergestellt und die Sympathien von Anfang an für die
Germanen gesichert, deren Schutzgeist in Theodorich im verhängnißvollsten
Augenblicke stirbt, deren Königin sie verräth, gegen welche eine römische
Verschwörung mit Hinterlist und Mord im Dunklen schleicht, deren schlichtes
reines Familienleben, wie es im Hause des Vittges sich entwickelt, im er¬
greifendsten Gegensatze steht zu der Schwelgerei und dem Sinnentaumel der
vornehmen römischen Welt, wie sie beim Gastmahle erscheint. Zugleich ent¬
faltet sich nun in seinem Glänze und seiner Verderbniß der Hof von Byzanz;
wir werden in den Rath Justinians, in das geheime Cabinet Theodoras
eingeführt, wir sehen, wie hier jene Pläne zum Verderben der Gothen ge¬
schmiedet werden, und unsere Theilnahme für das unglückliche Volk, das
solchen Gegnern erliegen soll, so unwürdigen und doch so überlegnen, wird
noch höher gesteigert.

Dieser glänzenden Exposition entspricht jedoch der weitere Verlauf der
Handlung nicht völlig. Zu massenhaft drängen sich die Thatsachen aus den
verschiedensten Schauplätzen, die Zahl der handelnden Personen wird fast
verwirrend groß, so sicher auch Dahn jeder einzelnen ihre Stellung anzu¬
weisen, so kunstvoll er die Fäden zu entwirren weiß; das Schicksal der meisten
endlich gestaltet sich so tragisch, daß eine düstere Färbung sich mehr und mehr
über das Ganze legt. Der Schluß, der Kampf am Vesuv und der Abzug
der Gothen auf einer normannischen Flotte, ist äußerst effectvoll. aber mehr
phantastisch als poetisch. Umsonst sucht man nach einer sittlichen, poetischen
Rechtfertigung dieses Ausgangs; man ist versucht, mit dem Schicksale zu
grollen, dessen ehernen Gang soviel Heldenkraft und Edelsinn nicht aufzu"
halten vermochte, und kommt beinahe zu der Ansicht, daß Teja mit seiner Ver-


In Bezug auf die Composition wird nun ohne Frage die Exposition,
die etwa den ersten Band füllt, den ungeteiltesten Beifall beanspruchen
dürfen. Sie ist durchaus ein Meisterstück. Man sieht das Verderben von
allen Seiten heranziehen, unaufhaltsam, unerbittlich, eine dumpfe Schwüle
ruht auf dem Ganzen, bis der Blitz der byzantinischen Kriegserklärung sie
durchbricht. Nur wenige der Gothen ahnen das drohende Verhängniß: in
dunkler Nacht schwören Hildebrand und sein Bruder, Totila, Teja nach alt-
heidischem Brauche sich zu, den Kampf aufzunehmen bis zum Aeußersten.
Derweilen bildet Cethegus mit dem Priester Silverius die römische Kata¬
kombenverschwörung gegen die Gothen. Da stirbt Theodorich, Alamaswinthe
folgt ihm, vertraut in ihrer Verblendung dem Todfeinde Cethegus Rom an,
vernichtet — auf seinen Rath! — durch die Ermordung ihrer drei Haupt¬
gegner die letzten Sympathien der Gothen. Einen Moment noch scheint es,
als ob der junge Athalarich. ihr Sohn, sich ermannen, die Herrschaft an sich
nehmen werde: er fällt durch Cethegus. So sind Ostgothen und Italiener
scharf einander gegenübergestellt und die Sympathien von Anfang an für die
Germanen gesichert, deren Schutzgeist in Theodorich im verhängnißvollsten
Augenblicke stirbt, deren Königin sie verräth, gegen welche eine römische
Verschwörung mit Hinterlist und Mord im Dunklen schleicht, deren schlichtes
reines Familienleben, wie es im Hause des Vittges sich entwickelt, im er¬
greifendsten Gegensatze steht zu der Schwelgerei und dem Sinnentaumel der
vornehmen römischen Welt, wie sie beim Gastmahle erscheint. Zugleich ent¬
faltet sich nun in seinem Glänze und seiner Verderbniß der Hof von Byzanz;
wir werden in den Rath Justinians, in das geheime Cabinet Theodoras
eingeführt, wir sehen, wie hier jene Pläne zum Verderben der Gothen ge¬
schmiedet werden, und unsere Theilnahme für das unglückliche Volk, das
solchen Gegnern erliegen soll, so unwürdigen und doch so überlegnen, wird
noch höher gesteigert.

Dieser glänzenden Exposition entspricht jedoch der weitere Verlauf der
Handlung nicht völlig. Zu massenhaft drängen sich die Thatsachen aus den
verschiedensten Schauplätzen, die Zahl der handelnden Personen wird fast
verwirrend groß, so sicher auch Dahn jeder einzelnen ihre Stellung anzu¬
weisen, so kunstvoll er die Fäden zu entwirren weiß; das Schicksal der meisten
endlich gestaltet sich so tragisch, daß eine düstere Färbung sich mehr und mehr
über das Ganze legt. Der Schluß, der Kampf am Vesuv und der Abzug
der Gothen auf einer normannischen Flotte, ist äußerst effectvoll. aber mehr
phantastisch als poetisch. Umsonst sucht man nach einer sittlichen, poetischen
Rechtfertigung dieses Ausgangs; man ist versucht, mit dem Schicksale zu
grollen, dessen ehernen Gang soviel Heldenkraft und Edelsinn nicht aufzu"
halten vermochte, und kommt beinahe zu der Ansicht, daß Teja mit seiner Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136773"/>
          <p xml:id="ID_359"> In Bezug auf die Composition wird nun ohne Frage die Exposition,<lb/>
die etwa den ersten Band füllt, den ungeteiltesten Beifall beanspruchen<lb/>
dürfen. Sie ist durchaus ein Meisterstück. Man sieht das Verderben von<lb/>
allen Seiten heranziehen, unaufhaltsam, unerbittlich, eine dumpfe Schwüle<lb/>
ruht auf dem Ganzen, bis der Blitz der byzantinischen Kriegserklärung sie<lb/>
durchbricht. Nur wenige der Gothen ahnen das drohende Verhängniß: in<lb/>
dunkler Nacht schwören Hildebrand und sein Bruder, Totila, Teja nach alt-<lb/>
heidischem Brauche sich zu, den Kampf aufzunehmen bis zum Aeußersten.<lb/>
Derweilen bildet Cethegus mit dem Priester Silverius die römische Kata¬<lb/>
kombenverschwörung gegen die Gothen. Da stirbt Theodorich, Alamaswinthe<lb/>
folgt ihm, vertraut in ihrer Verblendung dem Todfeinde Cethegus Rom an,<lb/>
vernichtet &#x2014; auf seinen Rath! &#x2014; durch die Ermordung ihrer drei Haupt¬<lb/>
gegner die letzten Sympathien der Gothen. Einen Moment noch scheint es,<lb/>
als ob der junge Athalarich. ihr Sohn, sich ermannen, die Herrschaft an sich<lb/>
nehmen werde: er fällt durch Cethegus. So sind Ostgothen und Italiener<lb/>
scharf einander gegenübergestellt und die Sympathien von Anfang an für die<lb/>
Germanen gesichert, deren Schutzgeist in Theodorich im verhängnißvollsten<lb/>
Augenblicke stirbt, deren Königin sie verräth, gegen welche eine römische<lb/>
Verschwörung mit Hinterlist und Mord im Dunklen schleicht, deren schlichtes<lb/>
reines Familienleben, wie es im Hause des Vittges sich entwickelt, im er¬<lb/>
greifendsten Gegensatze steht zu der Schwelgerei und dem Sinnentaumel der<lb/>
vornehmen römischen Welt, wie sie beim Gastmahle erscheint. Zugleich ent¬<lb/>
faltet sich nun in seinem Glänze und seiner Verderbniß der Hof von Byzanz;<lb/>
wir werden in den Rath Justinians, in das geheime Cabinet Theodoras<lb/>
eingeführt, wir sehen, wie hier jene Pläne zum Verderben der Gothen ge¬<lb/>
schmiedet werden, und unsere Theilnahme für das unglückliche Volk, das<lb/>
solchen Gegnern erliegen soll, so unwürdigen und doch so überlegnen, wird<lb/>
noch höher gesteigert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_360" next="#ID_361"> Dieser glänzenden Exposition entspricht jedoch der weitere Verlauf der<lb/>
Handlung nicht völlig. Zu massenhaft drängen sich die Thatsachen aus den<lb/>
verschiedensten Schauplätzen, die Zahl der handelnden Personen wird fast<lb/>
verwirrend groß, so sicher auch Dahn jeder einzelnen ihre Stellung anzu¬<lb/>
weisen, so kunstvoll er die Fäden zu entwirren weiß; das Schicksal der meisten<lb/>
endlich gestaltet sich so tragisch, daß eine düstere Färbung sich mehr und mehr<lb/>
über das Ganze legt. Der Schluß, der Kampf am Vesuv und der Abzug<lb/>
der Gothen auf einer normannischen Flotte, ist äußerst effectvoll. aber mehr<lb/>
phantastisch als poetisch. Umsonst sucht man nach einer sittlichen, poetischen<lb/>
Rechtfertigung dieses Ausgangs; man ist versucht, mit dem Schicksale zu<lb/>
grollen, dessen ehernen Gang soviel Heldenkraft und Edelsinn nicht aufzu"<lb/>
halten vermochte, und kommt beinahe zu der Ansicht, daß Teja mit seiner Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] In Bezug auf die Composition wird nun ohne Frage die Exposition, die etwa den ersten Band füllt, den ungeteiltesten Beifall beanspruchen dürfen. Sie ist durchaus ein Meisterstück. Man sieht das Verderben von allen Seiten heranziehen, unaufhaltsam, unerbittlich, eine dumpfe Schwüle ruht auf dem Ganzen, bis der Blitz der byzantinischen Kriegserklärung sie durchbricht. Nur wenige der Gothen ahnen das drohende Verhängniß: in dunkler Nacht schwören Hildebrand und sein Bruder, Totila, Teja nach alt- heidischem Brauche sich zu, den Kampf aufzunehmen bis zum Aeußersten. Derweilen bildet Cethegus mit dem Priester Silverius die römische Kata¬ kombenverschwörung gegen die Gothen. Da stirbt Theodorich, Alamaswinthe folgt ihm, vertraut in ihrer Verblendung dem Todfeinde Cethegus Rom an, vernichtet — auf seinen Rath! — durch die Ermordung ihrer drei Haupt¬ gegner die letzten Sympathien der Gothen. Einen Moment noch scheint es, als ob der junge Athalarich. ihr Sohn, sich ermannen, die Herrschaft an sich nehmen werde: er fällt durch Cethegus. So sind Ostgothen und Italiener scharf einander gegenübergestellt und die Sympathien von Anfang an für die Germanen gesichert, deren Schutzgeist in Theodorich im verhängnißvollsten Augenblicke stirbt, deren Königin sie verräth, gegen welche eine römische Verschwörung mit Hinterlist und Mord im Dunklen schleicht, deren schlichtes reines Familienleben, wie es im Hause des Vittges sich entwickelt, im er¬ greifendsten Gegensatze steht zu der Schwelgerei und dem Sinnentaumel der vornehmen römischen Welt, wie sie beim Gastmahle erscheint. Zugleich ent¬ faltet sich nun in seinem Glänze und seiner Verderbniß der Hof von Byzanz; wir werden in den Rath Justinians, in das geheime Cabinet Theodoras eingeführt, wir sehen, wie hier jene Pläne zum Verderben der Gothen ge¬ schmiedet werden, und unsere Theilnahme für das unglückliche Volk, das solchen Gegnern erliegen soll, so unwürdigen und doch so überlegnen, wird noch höher gesteigert. Dieser glänzenden Exposition entspricht jedoch der weitere Verlauf der Handlung nicht völlig. Zu massenhaft drängen sich die Thatsachen aus den verschiedensten Schauplätzen, die Zahl der handelnden Personen wird fast verwirrend groß, so sicher auch Dahn jeder einzelnen ihre Stellung anzu¬ weisen, so kunstvoll er die Fäden zu entwirren weiß; das Schicksal der meisten endlich gestaltet sich so tragisch, daß eine düstere Färbung sich mehr und mehr über das Ganze legt. Der Schluß, der Kampf am Vesuv und der Abzug der Gothen auf einer normannischen Flotte, ist äußerst effectvoll. aber mehr phantastisch als poetisch. Umsonst sucht man nach einer sittlichen, poetischen Rechtfertigung dieses Ausgangs; man ist versucht, mit dem Schicksale zu grollen, dessen ehernen Gang soviel Heldenkraft und Edelsinn nicht aufzu" halten vermochte, und kommt beinahe zu der Ansicht, daß Teja mit seiner Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/134>, abgerufen am 31.05.2024.