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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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haften organischen Werkstätte sind organisirende Viele, deren Ursprung und
Uranlage sich allerdings unserer Erkenntniß entzieht." -- "Wir höheren
organisirten Gebilde sind nicht das erste, sondern das nee Product, die nee
Metamorphose einer unabsehbaren Reihe von Entwickelungen dieser bildenden
Kräfte. Ich, der Mensch, bin die Erscheinungsform eines Wesens, mit
welchem ich nach dem Ausdrucke Kant's wohl einerlei Subject sein mag. nicht
aber einerlei Person bin, wie Aehnliches im Traume vorkommt. Mein Ich,
dieser Reflex von Gehirnvorgängen, dieses Phantom, schwindet wie ein Traum,
das organisirende Wesen hingegen organisirt fort und fort, wenn auch seit
unfaßbarer Zeiten auf eine für mich unfaßbare Weise, und wenn auch in
den verschiedensten Formen, so doch jedenfalls mit steigender Vervollkommnung,
welche die Frucht seiner Arbeit ist. Ob diese Kette der Entwickelung eine
ewig fortlaufende sei, oder in unvorstellbaren Zeiten die indische Lehre von
der endlichen Auflösung des materiellen Alls eine Wahrheit werde, wissen
wir nicht und hat für uns gerade so viel Bedeutung als etwa die Frage,
ob der anziehende Mittelpunkt des Milchstraßensystems schon die Central-
sonne des Weltalls sei oder nicht. Wie aber mein Ich nur der Reflex eines
andern Wesens ist, so ist nothgedrungen meine vorgestellte Welt nur der
Reflex einer andern tiefer gelegenen; daher der Pessimismus (Schopenhauer's
und Hartmann's) nur für meine Welt richtig, hingegen in Betreff des meiner
-- d. h. der in meiner Vorstellung lebenden -- Welt zu Grunde Liegenden
fraglich ist. Von dem Augenblicke an, wo man die steigende Vervollkommnung
nicht nur der Cultur und Veredelung des Keimes, sondern auch dem organi-
sirenden Principe gutschreibt, gewinnt die Welt an Durchsichtigkeit und be¬
kommt durch die so gewonnene Vernünftigkeit eine optimistische Färbung, ja
mehr als das -- einen hoch moralischen Charakter." -- "Was das organi¬
sirende Princip bringt und nimmt, ist uns unbekannt; aber jede That, durch
die wir zur Cultur, sei es unseres Körpers, Geistes oder Gemüthes, sei es
der fremden organischen oder unorganischen Außenwelt, beitragen oder aber
ihr hindernd in den Weg treten, ist von folgenschwerer Wirkung für dieses
organisirende Princip, das durch die kleinsten Schritte und die größten Zeit¬
räume die Welt zum Wunder macht. Mit dem ewigen Lohne und der ewigen
Strafe hat es, so genommen, seine Richtigkeit."

Wir nehmen an, daß diese Auszüge die Leser veranlassen werden, sich
das Buch selbst anzusehen, eine Beachtung, die es auch von Seiten derjenigen
verdient, die nach dem Mitgetheilten nicht mit dem Verfasser einverstanden sind.




Verantwortlicher Redakteur: or. Ha"S Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hervig in Leipzig. - Druck von Hiithel 6 Herrmann in Leipzig.

haften organischen Werkstätte sind organisirende Viele, deren Ursprung und
Uranlage sich allerdings unserer Erkenntniß entzieht." — „Wir höheren
organisirten Gebilde sind nicht das erste, sondern das nee Product, die nee
Metamorphose einer unabsehbaren Reihe von Entwickelungen dieser bildenden
Kräfte. Ich, der Mensch, bin die Erscheinungsform eines Wesens, mit
welchem ich nach dem Ausdrucke Kant's wohl einerlei Subject sein mag. nicht
aber einerlei Person bin, wie Aehnliches im Traume vorkommt. Mein Ich,
dieser Reflex von Gehirnvorgängen, dieses Phantom, schwindet wie ein Traum,
das organisirende Wesen hingegen organisirt fort und fort, wenn auch seit
unfaßbarer Zeiten auf eine für mich unfaßbare Weise, und wenn auch in
den verschiedensten Formen, so doch jedenfalls mit steigender Vervollkommnung,
welche die Frucht seiner Arbeit ist. Ob diese Kette der Entwickelung eine
ewig fortlaufende sei, oder in unvorstellbaren Zeiten die indische Lehre von
der endlichen Auflösung des materiellen Alls eine Wahrheit werde, wissen
wir nicht und hat für uns gerade so viel Bedeutung als etwa die Frage,
ob der anziehende Mittelpunkt des Milchstraßensystems schon die Central-
sonne des Weltalls sei oder nicht. Wie aber mein Ich nur der Reflex eines
andern Wesens ist, so ist nothgedrungen meine vorgestellte Welt nur der
Reflex einer andern tiefer gelegenen; daher der Pessimismus (Schopenhauer's
und Hartmann's) nur für meine Welt richtig, hingegen in Betreff des meiner
— d. h. der in meiner Vorstellung lebenden — Welt zu Grunde Liegenden
fraglich ist. Von dem Augenblicke an, wo man die steigende Vervollkommnung
nicht nur der Cultur und Veredelung des Keimes, sondern auch dem organi-
sirenden Principe gutschreibt, gewinnt die Welt an Durchsichtigkeit und be¬
kommt durch die so gewonnene Vernünftigkeit eine optimistische Färbung, ja
mehr als das — einen hoch moralischen Charakter." — „Was das organi¬
sirende Princip bringt und nimmt, ist uns unbekannt; aber jede That, durch
die wir zur Cultur, sei es unseres Körpers, Geistes oder Gemüthes, sei es
der fremden organischen oder unorganischen Außenwelt, beitragen oder aber
ihr hindernd in den Weg treten, ist von folgenschwerer Wirkung für dieses
organisirende Princip, das durch die kleinsten Schritte und die größten Zeit¬
räume die Welt zum Wunder macht. Mit dem ewigen Lohne und der ewigen
Strafe hat es, so genommen, seine Richtigkeit."

Wir nehmen an, daß diese Auszüge die Leser veranlassen werden, sich
das Buch selbst anzusehen, eine Beachtung, die es auch von Seiten derjenigen
verdient, die nach dem Mitgetheilten nicht mit dem Verfasser einverstanden sind.




Verantwortlicher Redakteur: or. Ha«S Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hervig in Leipzig. - Druck von Hiithel 6 Herrmann in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/204>, abgerufen am 15.05.2024.