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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Alles um uns her hat zusammenstürzen lassen, streckt er uns edelmüthig die
Hand entgegegen, um uns aus Schutt und Trümmern aufzulesen und uns
zugleich mit der Freundschaft der großen Nation Schutz und Sicherheit zu
gewähren. Daß dafür einige kleine Gegenforderungen gestellt werden, kann
weiter nicht auffallen. Für diesen großen Liebesdienst der Freundschaftsver¬
leihung von Seiten Frankreichs an Deutschland verlangt er folgende Kleinig¬
keiten, die ein demnächstiger europäischer Congreß, auf dem natürlich die
große Nation, vielleicht durch den Mund seines preisgekrönten Historikers,
wieder das große Wort führen wird, sanctionirt werden sollen:

1) Rückkauf von Elsaß-Lothringen. Zwei Milliarden denkt er, würden
unserer Habgier genügen. Herr Victor läßt dann seiner Phantasie die Zügel
schießen, indem er uns in farbenreicher Schilderung ein wahrhaft idyllisches
Bild von den Zuständen Frankreichs am Tage der Auflage der Befreiungs¬
anleihe entwirft.

2) Rectificirung der Grenzen: am Mittelmeer bis Vintimillia, in den
Alpen bis zum Plateau vom Mont Cenis und bis zum kleinen Sanct Bern¬
hard, im Norden Zurückgabe der vier Grenzfestungen Vauvans, Lcindau,
Saarlouis, Marienburg und Philippeville.

3) Neutralisation des rheinischen Frankreichs. Herr Victor vertheilt
dies mit bekannter französischer Großmuth unter Belgier und Holländer, und
doch verschenkt man auch in Frankreich den Pelz nicht eher, als bis man
den Bären gefangen hat. Belgien, welches in Rasse, Sitten und Religion
mit Frankreich identisch ist und nie seine politische Verwandtschaft mit seinem
Mutterlande verleugnet hat, empfängt 1) Luxemburg, 2) die Preußische
Rheinprovinz zwischen Rhein und Mosel. Holland, welches durch die Natur
seines Bodens und durch seine geographische Configuration für deutsche In¬
vasionen vorherbestimmt zu sein scheint, und nach dessen Städten, wo die
Wissenschaft, die Kunst, der Handel Reichthümer aufgehäuft haben, Preußen
lüstern hinüberschaut, bekommt, um sein Territorium unverletzlich zu machen
1) die Preußische Rheinprovinz zwischen Mosel und Maas, 2) das linke
Ufer der Ems.

4) Skandinavische Union. Dänemark, welches auf ungerechte Weise im
Jahre 1864 beraubt worden ist, tritt wieder in den Besitz von Schleswig
und selbst von Holstein, wenn dieses Land es vorziehen sollte, in seine frühern
Verhältnisse zurückzukehren. Die skandinavische Union würde die Neutralität
des baltischen Meeres sichern.

5) Regelung des italienischen Gleichgewichts. Herr Victor versteht da¬
runter Wiederaufrichtung des Thrones des unfehlbaren Papstkönigs.

6) Regelung der Orientfrage. Von den tiefsinnigen Combinationen, die
er bei dieser Gelegenheit zu Tage fördert, wollen wir aus verschiedenen


Alles um uns her hat zusammenstürzen lassen, streckt er uns edelmüthig die
Hand entgegegen, um uns aus Schutt und Trümmern aufzulesen und uns
zugleich mit der Freundschaft der großen Nation Schutz und Sicherheit zu
gewähren. Daß dafür einige kleine Gegenforderungen gestellt werden, kann
weiter nicht auffallen. Für diesen großen Liebesdienst der Freundschaftsver¬
leihung von Seiten Frankreichs an Deutschland verlangt er folgende Kleinig¬
keiten, die ein demnächstiger europäischer Congreß, auf dem natürlich die
große Nation, vielleicht durch den Mund seines preisgekrönten Historikers,
wieder das große Wort führen wird, sanctionirt werden sollen:

1) Rückkauf von Elsaß-Lothringen. Zwei Milliarden denkt er, würden
unserer Habgier genügen. Herr Victor läßt dann seiner Phantasie die Zügel
schießen, indem er uns in farbenreicher Schilderung ein wahrhaft idyllisches
Bild von den Zuständen Frankreichs am Tage der Auflage der Befreiungs¬
anleihe entwirft.

2) Rectificirung der Grenzen: am Mittelmeer bis Vintimillia, in den
Alpen bis zum Plateau vom Mont Cenis und bis zum kleinen Sanct Bern¬
hard, im Norden Zurückgabe der vier Grenzfestungen Vauvans, Lcindau,
Saarlouis, Marienburg und Philippeville.

3) Neutralisation des rheinischen Frankreichs. Herr Victor vertheilt
dies mit bekannter französischer Großmuth unter Belgier und Holländer, und
doch verschenkt man auch in Frankreich den Pelz nicht eher, als bis man
den Bären gefangen hat. Belgien, welches in Rasse, Sitten und Religion
mit Frankreich identisch ist und nie seine politische Verwandtschaft mit seinem
Mutterlande verleugnet hat, empfängt 1) Luxemburg, 2) die Preußische
Rheinprovinz zwischen Rhein und Mosel. Holland, welches durch die Natur
seines Bodens und durch seine geographische Configuration für deutsche In¬
vasionen vorherbestimmt zu sein scheint, und nach dessen Städten, wo die
Wissenschaft, die Kunst, der Handel Reichthümer aufgehäuft haben, Preußen
lüstern hinüberschaut, bekommt, um sein Territorium unverletzlich zu machen
1) die Preußische Rheinprovinz zwischen Mosel und Maas, 2) das linke
Ufer der Ems.

4) Skandinavische Union. Dänemark, welches auf ungerechte Weise im
Jahre 1864 beraubt worden ist, tritt wieder in den Besitz von Schleswig
und selbst von Holstein, wenn dieses Land es vorziehen sollte, in seine frühern
Verhältnisse zurückzukehren. Die skandinavische Union würde die Neutralität
des baltischen Meeres sichern.

5) Regelung des italienischen Gleichgewichts. Herr Victor versteht da¬
runter Wiederaufrichtung des Thrones des unfehlbaren Papstkönigs.

6) Regelung der Orientfrage. Von den tiefsinnigen Combinationen, die
er bei dieser Gelegenheit zu Tage fördert, wollen wir aus verschiedenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/23>, abgerufen am 15.05.2024.