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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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lichen Nachbarn. Hier bestanden von jeher gewisse, an die kleineren Propor¬
tionen und an den engeren Rahmen deutscher Verhältnisse erinnernde Ein¬
richtungen, die dem schottischen Geiste ein wesentlich verschiedenes Gepräge
verliehen und ihn zu einem geeigneteren Recipienten deutscher Saatkörner
machten. In markirtester Weise kennzeichnet diese Verschiedenartigkeit die Hoch¬
schule; denn die Kluft zwischen Edinburgh und Oxford ist nicht kleiner als
die zwischen letzterem und einer neuern deutschen Universität, etwa Bonn
oder München.

Das bisher Gesagte führt zur Erwähnung einer in Deutschland bereits
nicht mehr ganz unbekannten Societät englischer Biedermänner und ihres
literarischen Organs, worin der Tradition zuwider den deutschen Vettern
gegenüber ein Annährungsversuch gemacht wird, aber auf einem Wege oder
vielmehr Umwege, der zu einem solchen Zwecke wohl noch schwerlich betreten
worden ist. Die Sache gehört auch noch insofern hierher, als sie einen Be¬
weis dafür liefert, welche Früchte das Zusammenwirken der mangelhaften
Geschichtskenntnisse mit der frommen Bornirtheit alttestamentlicher Forschung
oder Astergelehrsamkett zeitweilig dem anglosächsischen common sense zum
Trotze zu Tage fördert.

Schon vor drei Jahren gerieth mir während eines mormuA rambls in
den Hundstagen durch die erfrischend kühlen Paternosterwinkel hinter der
Paulskirche eine Brochüre in die Hände, deren barocker Titel anhub: ?Ko veil
likteä trou tds nations!c. und dann ferner andeutete, daß Preußen und
Engländer israelitischen Ursprungs seien. Den Hauptinhalt bildete denn auch
die frohe Kunde, daß die Jahrtausende lang vermißt und verschollen gewesenen
zehn Stämme an der Themse und an der Spree wieder aufgefunden seien.
Uebrigens berechtigten alle psychologischen Symptome, dem Verfasser ein mehr
pathologisches als ein andres Interesse entgegenzubringen. Man konnte da, um
nur Eines hervorzuheben, aus dem Munde des sächsischen Landpfarrers
(Esser) vernehmen, daß es im Mittelalter eine norddeutsche Stadt Bremen
gab und eine andre ähnlichen Namens auch in Northumberland. Daran
geknüpft die schüchterne Muthmaßung, daß hier ein Problem für die Geschichts¬
forschung vorliege, vielleicht der Hinweis auf irgend welche wechselseitige Be¬
ziehungen zwischen Norddeutschland und England. Indessen stellte sich, was ich
für die Grille eines sonderbaren Schwärmers gehalten hatte, später als ein Pro¬
dukt heraus, das nebst zahlreichen ähnlichen auf dem breiten Boden einer an
Bedeutung und Ausdehnung gewinnenden sectenähnlichen Genossenschaft ge¬
wachsen war. Die letztere nennt sich die ^.nglo Israel Association und be¬
treibt ihre Propaganda vermittelst einer stattlichen Monatsschrift, ?Ks
LtanÄarä ok Israel, deren zehnte Nummer eben vor mir liegt. Die Anglo-
Jsraelitische Gesellschaft, heißt es in dem als Anhang gegebenen Prospectus


lichen Nachbarn. Hier bestanden von jeher gewisse, an die kleineren Propor¬
tionen und an den engeren Rahmen deutscher Verhältnisse erinnernde Ein¬
richtungen, die dem schottischen Geiste ein wesentlich verschiedenes Gepräge
verliehen und ihn zu einem geeigneteren Recipienten deutscher Saatkörner
machten. In markirtester Weise kennzeichnet diese Verschiedenartigkeit die Hoch¬
schule; denn die Kluft zwischen Edinburgh und Oxford ist nicht kleiner als
die zwischen letzterem und einer neuern deutschen Universität, etwa Bonn
oder München.

Das bisher Gesagte führt zur Erwähnung einer in Deutschland bereits
nicht mehr ganz unbekannten Societät englischer Biedermänner und ihres
literarischen Organs, worin der Tradition zuwider den deutschen Vettern
gegenüber ein Annährungsversuch gemacht wird, aber auf einem Wege oder
vielmehr Umwege, der zu einem solchen Zwecke wohl noch schwerlich betreten
worden ist. Die Sache gehört auch noch insofern hierher, als sie einen Be¬
weis dafür liefert, welche Früchte das Zusammenwirken der mangelhaften
Geschichtskenntnisse mit der frommen Bornirtheit alttestamentlicher Forschung
oder Astergelehrsamkett zeitweilig dem anglosächsischen common sense zum
Trotze zu Tage fördert.

Schon vor drei Jahren gerieth mir während eines mormuA rambls in
den Hundstagen durch die erfrischend kühlen Paternosterwinkel hinter der
Paulskirche eine Brochüre in die Hände, deren barocker Titel anhub: ?Ko veil
likteä trou tds nations!c. und dann ferner andeutete, daß Preußen und
Engländer israelitischen Ursprungs seien. Den Hauptinhalt bildete denn auch
die frohe Kunde, daß die Jahrtausende lang vermißt und verschollen gewesenen
zehn Stämme an der Themse und an der Spree wieder aufgefunden seien.
Uebrigens berechtigten alle psychologischen Symptome, dem Verfasser ein mehr
pathologisches als ein andres Interesse entgegenzubringen. Man konnte da, um
nur Eines hervorzuheben, aus dem Munde des sächsischen Landpfarrers
(Esser) vernehmen, daß es im Mittelalter eine norddeutsche Stadt Bremen
gab und eine andre ähnlichen Namens auch in Northumberland. Daran
geknüpft die schüchterne Muthmaßung, daß hier ein Problem für die Geschichts¬
forschung vorliege, vielleicht der Hinweis auf irgend welche wechselseitige Be¬
ziehungen zwischen Norddeutschland und England. Indessen stellte sich, was ich
für die Grille eines sonderbaren Schwärmers gehalten hatte, später als ein Pro¬
dukt heraus, das nebst zahlreichen ähnlichen auf dem breiten Boden einer an
Bedeutung und Ausdehnung gewinnenden sectenähnlichen Genossenschaft ge¬
wachsen war. Die letztere nennt sich die ^.nglo Israel Association und be¬
treibt ihre Propaganda vermittelst einer stattlichen Monatsschrift, ?Ks
LtanÄarä ok Israel, deren zehnte Nummer eben vor mir liegt. Die Anglo-
Jsraelitische Gesellschaft, heißt es in dem als Anhang gegebenen Prospectus


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[0027] lichen Nachbarn. Hier bestanden von jeher gewisse, an die kleineren Propor¬ tionen und an den engeren Rahmen deutscher Verhältnisse erinnernde Ein¬ richtungen, die dem schottischen Geiste ein wesentlich verschiedenes Gepräge verliehen und ihn zu einem geeigneteren Recipienten deutscher Saatkörner machten. In markirtester Weise kennzeichnet diese Verschiedenartigkeit die Hoch¬ schule; denn die Kluft zwischen Edinburgh und Oxford ist nicht kleiner als die zwischen letzterem und einer neuern deutschen Universität, etwa Bonn oder München. Das bisher Gesagte führt zur Erwähnung einer in Deutschland bereits nicht mehr ganz unbekannten Societät englischer Biedermänner und ihres literarischen Organs, worin der Tradition zuwider den deutschen Vettern gegenüber ein Annährungsversuch gemacht wird, aber auf einem Wege oder vielmehr Umwege, der zu einem solchen Zwecke wohl noch schwerlich betreten worden ist. Die Sache gehört auch noch insofern hierher, als sie einen Be¬ weis dafür liefert, welche Früchte das Zusammenwirken der mangelhaften Geschichtskenntnisse mit der frommen Bornirtheit alttestamentlicher Forschung oder Astergelehrsamkett zeitweilig dem anglosächsischen common sense zum Trotze zu Tage fördert. Schon vor drei Jahren gerieth mir während eines mormuA rambls in den Hundstagen durch die erfrischend kühlen Paternosterwinkel hinter der Paulskirche eine Brochüre in die Hände, deren barocker Titel anhub: ?Ko veil likteä trou tds nations!c. und dann ferner andeutete, daß Preußen und Engländer israelitischen Ursprungs seien. Den Hauptinhalt bildete denn auch die frohe Kunde, daß die Jahrtausende lang vermißt und verschollen gewesenen zehn Stämme an der Themse und an der Spree wieder aufgefunden seien. Uebrigens berechtigten alle psychologischen Symptome, dem Verfasser ein mehr pathologisches als ein andres Interesse entgegenzubringen. Man konnte da, um nur Eines hervorzuheben, aus dem Munde des sächsischen Landpfarrers (Esser) vernehmen, daß es im Mittelalter eine norddeutsche Stadt Bremen gab und eine andre ähnlichen Namens auch in Northumberland. Daran geknüpft die schüchterne Muthmaßung, daß hier ein Problem für die Geschichts¬ forschung vorliege, vielleicht der Hinweis auf irgend welche wechselseitige Be¬ ziehungen zwischen Norddeutschland und England. Indessen stellte sich, was ich für die Grille eines sonderbaren Schwärmers gehalten hatte, später als ein Pro¬ dukt heraus, das nebst zahlreichen ähnlichen auf dem breiten Boden einer an Bedeutung und Ausdehnung gewinnenden sectenähnlichen Genossenschaft ge¬ wachsen war. Die letztere nennt sich die ^.nglo Israel Association und be¬ treibt ihre Propaganda vermittelst einer stattlichen Monatsschrift, ?Ks LtanÄarä ok Israel, deren zehnte Nummer eben vor mir liegt. Die Anglo- Jsraelitische Gesellschaft, heißt es in dem als Anhang gegebenen Prospectus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/27>, abgerufen am 15.05.2024.