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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Majorität zuführte. so sieht man, daß dieses Verhältniß jetzt verändert ist,
und zwar verändert durch den zweifachen Umstand, daß einmal die Zahl der
konservativen Stimmen gewachsen ist und daß ferner innerhalb der national¬
liberalen Partei der sogenannte rechte Flügel, wie es den Anschein hat, mehr
gewachsen ist, als der linke. Man muß endlich noch den Umstand hinzu¬
nehmen, daß unter der konservativen Partei zwar noch Ungewißheit darüber
herrscht, ob die verschiedenen Elemente derselben eine oder mehrere parla¬
mentarische Gruppen bilden werden, aber keine Ungewißheit darüber, daß alle
Konservativen fest der Regierung zur Seite stehen wollen. Unter diesen Um¬
standen wird die Zuversicht der "Provinzial-Correspondenz" erklärlich, welche
am 1. November aussprach: Die Regierung dürfe hoffen, in dem neuen
Abgeordnetenhause die Stütze einer festen Mehrheit aus konservativen und
liberalen Elementen zu finden. Eine Voraussetzung ist freilich zu machen,
ohne welche diese Zuversicht sich nicht bewähren könnte: die Voraussetzung
nämlich, daß die große Mehrheit der national-liberalen Partei, oder wenn
man den Ausdruck zulassen will, der an Zahl weit stärkere rechte Flügel der¬
selben fortfährt, in derjenigen Haltung zu beharren, die er in der vorigen
Legislatur-Periode eingenommen. Während des Wahlkampfes schien es, als
werde die Zusammensetzung der Partei und damit auch die oraussichtliche
Haltung ihrer Mehrheit sich verändern. Diese Möglichkeit, die zuweilen schon
eine Wahrscheinlichkeit war, hat sich gleichwohl nicht erfüllt. Der Umstand,
daß in vielen Wahlkreisen, welche der Fortschrittspartei angehörten, die national¬
liberalen Wähler fest zu den fortschrittlichen Candidaten standen, hat un¬
streitig dazu beigetragen, daß die Fortschrittspartei mit unverändertem Be¬
stände aus dem Wahlkampf hervorgegangen. Dagegen hat sich die Befürchtung
nicht bewahrheitet, daß das Aufstecken einer gemeinsamen Firma für fort¬
schrittlich und national unter dem Namen "liberale Partei" dazu dienen
werde, der Fortschrittspartei neue Sitze zuzuführen. Der Versuch zur Aus¬
beutung der Firma in diesem Sinne ist gemacht worden, hat aber keine
Früchte gebracht. Alles kommt nun darauf an, ob die Mehrheit der national¬
liberalen Partei an ihrer Spitze die sichere Leitung und in ihrer Mitte die
geschlossene Einheit findet, um in den entscheidenden Fragen eine sichere
Stütze der Regierung zu sein. Daß die Regierung recht wohl weiß, welche
Partei oder vielmehr welcher Parteitheil in diesem Hause neben den Conser-
vativen ihr zur Stütze dienen und dazu gewillt sein kann, darf nicht bezweifelt
werden. Ebensowenig, daß sie dieser ihrer Stütze alle erdenkbare Rücksicht
zu schenken entschlossen ist. Die Dinge lassen sich sonach im Ganzen recht gut
und hoffnungsvoll an. Denn was in den letzten Jahren, die an gesetzgeberischer
Production so reich waren, zu Stande gekommen, das ist erreicht worden
durch die Vereinigung des rechten Flügels der National-Liberalen mit den


Majorität zuführte. so sieht man, daß dieses Verhältniß jetzt verändert ist,
und zwar verändert durch den zweifachen Umstand, daß einmal die Zahl der
konservativen Stimmen gewachsen ist und daß ferner innerhalb der national¬
liberalen Partei der sogenannte rechte Flügel, wie es den Anschein hat, mehr
gewachsen ist, als der linke. Man muß endlich noch den Umstand hinzu¬
nehmen, daß unter der konservativen Partei zwar noch Ungewißheit darüber
herrscht, ob die verschiedenen Elemente derselben eine oder mehrere parla¬
mentarische Gruppen bilden werden, aber keine Ungewißheit darüber, daß alle
Konservativen fest der Regierung zur Seite stehen wollen. Unter diesen Um¬
standen wird die Zuversicht der „Provinzial-Correspondenz" erklärlich, welche
am 1. November aussprach: Die Regierung dürfe hoffen, in dem neuen
Abgeordnetenhause die Stütze einer festen Mehrheit aus konservativen und
liberalen Elementen zu finden. Eine Voraussetzung ist freilich zu machen,
ohne welche diese Zuversicht sich nicht bewähren könnte: die Voraussetzung
nämlich, daß die große Mehrheit der national-liberalen Partei, oder wenn
man den Ausdruck zulassen will, der an Zahl weit stärkere rechte Flügel der¬
selben fortfährt, in derjenigen Haltung zu beharren, die er in der vorigen
Legislatur-Periode eingenommen. Während des Wahlkampfes schien es, als
werde die Zusammensetzung der Partei und damit auch die oraussichtliche
Haltung ihrer Mehrheit sich verändern. Diese Möglichkeit, die zuweilen schon
eine Wahrscheinlichkeit war, hat sich gleichwohl nicht erfüllt. Der Umstand,
daß in vielen Wahlkreisen, welche der Fortschrittspartei angehörten, die national¬
liberalen Wähler fest zu den fortschrittlichen Candidaten standen, hat un¬
streitig dazu beigetragen, daß die Fortschrittspartei mit unverändertem Be¬
stände aus dem Wahlkampf hervorgegangen. Dagegen hat sich die Befürchtung
nicht bewahrheitet, daß das Aufstecken einer gemeinsamen Firma für fort¬
schrittlich und national unter dem Namen „liberale Partei" dazu dienen
werde, der Fortschrittspartei neue Sitze zuzuführen. Der Versuch zur Aus¬
beutung der Firma in diesem Sinne ist gemacht worden, hat aber keine
Früchte gebracht. Alles kommt nun darauf an, ob die Mehrheit der national¬
liberalen Partei an ihrer Spitze die sichere Leitung und in ihrer Mitte die
geschlossene Einheit findet, um in den entscheidenden Fragen eine sichere
Stütze der Regierung zu sein. Daß die Regierung recht wohl weiß, welche
Partei oder vielmehr welcher Parteitheil in diesem Hause neben den Conser-
vativen ihr zur Stütze dienen und dazu gewillt sein kann, darf nicht bezweifelt
werden. Ebensowenig, daß sie dieser ihrer Stütze alle erdenkbare Rücksicht
zu schenken entschlossen ist. Die Dinge lassen sich sonach im Ganzen recht gut
und hoffnungsvoll an. Denn was in den letzten Jahren, die an gesetzgeberischer
Production so reich waren, zu Stande gekommen, das ist erreicht worden
durch die Vereinigung des rechten Flügels der National-Liberalen mit den


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[0279] Majorität zuführte. so sieht man, daß dieses Verhältniß jetzt verändert ist, und zwar verändert durch den zweifachen Umstand, daß einmal die Zahl der konservativen Stimmen gewachsen ist und daß ferner innerhalb der national¬ liberalen Partei der sogenannte rechte Flügel, wie es den Anschein hat, mehr gewachsen ist, als der linke. Man muß endlich noch den Umstand hinzu¬ nehmen, daß unter der konservativen Partei zwar noch Ungewißheit darüber herrscht, ob die verschiedenen Elemente derselben eine oder mehrere parla¬ mentarische Gruppen bilden werden, aber keine Ungewißheit darüber, daß alle Konservativen fest der Regierung zur Seite stehen wollen. Unter diesen Um¬ standen wird die Zuversicht der „Provinzial-Correspondenz" erklärlich, welche am 1. November aussprach: Die Regierung dürfe hoffen, in dem neuen Abgeordnetenhause die Stütze einer festen Mehrheit aus konservativen und liberalen Elementen zu finden. Eine Voraussetzung ist freilich zu machen, ohne welche diese Zuversicht sich nicht bewähren könnte: die Voraussetzung nämlich, daß die große Mehrheit der national-liberalen Partei, oder wenn man den Ausdruck zulassen will, der an Zahl weit stärkere rechte Flügel der¬ selben fortfährt, in derjenigen Haltung zu beharren, die er in der vorigen Legislatur-Periode eingenommen. Während des Wahlkampfes schien es, als werde die Zusammensetzung der Partei und damit auch die oraussichtliche Haltung ihrer Mehrheit sich verändern. Diese Möglichkeit, die zuweilen schon eine Wahrscheinlichkeit war, hat sich gleichwohl nicht erfüllt. Der Umstand, daß in vielen Wahlkreisen, welche der Fortschrittspartei angehörten, die national¬ liberalen Wähler fest zu den fortschrittlichen Candidaten standen, hat un¬ streitig dazu beigetragen, daß die Fortschrittspartei mit unverändertem Be¬ stände aus dem Wahlkampf hervorgegangen. Dagegen hat sich die Befürchtung nicht bewahrheitet, daß das Aufstecken einer gemeinsamen Firma für fort¬ schrittlich und national unter dem Namen „liberale Partei" dazu dienen werde, der Fortschrittspartei neue Sitze zuzuführen. Der Versuch zur Aus¬ beutung der Firma in diesem Sinne ist gemacht worden, hat aber keine Früchte gebracht. Alles kommt nun darauf an, ob die Mehrheit der national¬ liberalen Partei an ihrer Spitze die sichere Leitung und in ihrer Mitte die geschlossene Einheit findet, um in den entscheidenden Fragen eine sichere Stütze der Regierung zu sein. Daß die Regierung recht wohl weiß, welche Partei oder vielmehr welcher Parteitheil in diesem Hause neben den Conser- vativen ihr zur Stütze dienen und dazu gewillt sein kann, darf nicht bezweifelt werden. Ebensowenig, daß sie dieser ihrer Stütze alle erdenkbare Rücksicht zu schenken entschlossen ist. Die Dinge lassen sich sonach im Ganzen recht gut und hoffnungsvoll an. Denn was in den letzten Jahren, die an gesetzgeberischer Production so reich waren, zu Stande gekommen, das ist erreicht worden durch die Vereinigung des rechten Flügels der National-Liberalen mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/279>, abgerufen am 15.05.2024.