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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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konservativen Elementen des Abgeordnetenhauses oder des Reichstages. Die
letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus scheinen doch der Ausdruck dafür zu
sein, daß die große Mehrheit im Lande, und namentlich die Mehrheit der
liberalen Wähler das Verhalten der national-liberalen Partei und insbesondere
des rechten Flügels derselben vollkommen billigt. Es scheint also aller
Grund vorhanden, daß die Partei grundsätzlich und mit bewußtem Bekenntniß
fortfährt das zu thun, was sie in der letzten parlamentarischen Zeit an¬
scheinend etwas wider ihren eigentlichen Willen, halb gezwungen und mit
verdrießlicher Miene gethan.

Das Hauptblatt der national-liberalen Partei erklärte in der vergangenen
Woche, indem es die Zuversicht der Provinzial-Correspondenz, daß die Re¬
gierung in dem neuen Abgeordnetenhaus eine feste Stütze aus konservativen
und liberalen Elementen finden werde, billigte: es habe bisher weit mehr
die Art der Behandlung wichtiger Fragen Anlaß zum Zwist gegeben, als
der Geist, in welchem man von beiden Seiten den Dingen gegenübertrat.
Nun, die richtige Art der Behandlung wird sich wohl endlich finden lassen.
Daß dieselbe bisher zuweilen verfehlt worden, wen trifft eigentlich die
Schuld? Wir denken, die Schuld kann nur in der Unsicherheit unserer par¬
lamentarischen Sitten gefunden werden, die wir noch immer bemüht sind,
nach fremden Mustern zu modeln, von denen wir doch wesentliche Theile
weder annehmen wollen noch annehmen können.

Man sagt, die Regierung solle sich bet wichtigen Vorlagen mit den be¬
freundeten Parteien vor der Einbringung verständigen. Soll nun der
Minister-Präsident jeden der 180 national-liberalen Abgeordneten vor der
Einbringung einer wichtigen Vorlage zu sich aufs Sopha laden und mit
jedem die Sache durchsprechen? Wenn der Minister-Präsident oder der be¬
treffende Fachminister den nöthigen Ocean von Zeit zur Verfügung hätte, so
wäre die Sache immer noch nicht gebessert, denn die Hälfte der betreffenden
Abgeordneten würde sich nicht bekehren lassen. Die Sache wäre sogar ver¬
schlimmert, denn die Unbekehrten würden unisono ausrufen: wir haben ja
vorher gesagt, daß wir die Vorlage nicht wollen.

Man vergißt bei jener Forderung einer der parlamentarischen Berathung
vorausgehenden Verständigung zwischen Ministerium und befreundeten Par¬
teien, daß eine solche Verständigung zur Voraussetzung hat die monarchische
Organisation der Parteien, wie sie in England, im höchsten denkbaren Grade
besteht. Keinem englischen Minister fällt es ein, sich mit allen Mitgliedern
im einzelnen zu verständigen, auf deren Stimmen er zählt, und welcher Mi¬
nister außer in Flachsenfingen hätte auch die Zeit dazu? Ein englischer
Minister verständigt sich mit den Parteihäuptern, und da er in der Regel
selbst zu den Parteihäuptern gehört, so bedarf es einer Verständigung nur


konservativen Elementen des Abgeordnetenhauses oder des Reichstages. Die
letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus scheinen doch der Ausdruck dafür zu
sein, daß die große Mehrheit im Lande, und namentlich die Mehrheit der
liberalen Wähler das Verhalten der national-liberalen Partei und insbesondere
des rechten Flügels derselben vollkommen billigt. Es scheint also aller
Grund vorhanden, daß die Partei grundsätzlich und mit bewußtem Bekenntniß
fortfährt das zu thun, was sie in der letzten parlamentarischen Zeit an¬
scheinend etwas wider ihren eigentlichen Willen, halb gezwungen und mit
verdrießlicher Miene gethan.

Das Hauptblatt der national-liberalen Partei erklärte in der vergangenen
Woche, indem es die Zuversicht der Provinzial-Correspondenz, daß die Re¬
gierung in dem neuen Abgeordnetenhaus eine feste Stütze aus konservativen
und liberalen Elementen finden werde, billigte: es habe bisher weit mehr
die Art der Behandlung wichtiger Fragen Anlaß zum Zwist gegeben, als
der Geist, in welchem man von beiden Seiten den Dingen gegenübertrat.
Nun, die richtige Art der Behandlung wird sich wohl endlich finden lassen.
Daß dieselbe bisher zuweilen verfehlt worden, wen trifft eigentlich die
Schuld? Wir denken, die Schuld kann nur in der Unsicherheit unserer par¬
lamentarischen Sitten gefunden werden, die wir noch immer bemüht sind,
nach fremden Mustern zu modeln, von denen wir doch wesentliche Theile
weder annehmen wollen noch annehmen können.

Man sagt, die Regierung solle sich bet wichtigen Vorlagen mit den be¬
freundeten Parteien vor der Einbringung verständigen. Soll nun der
Minister-Präsident jeden der 180 national-liberalen Abgeordneten vor der
Einbringung einer wichtigen Vorlage zu sich aufs Sopha laden und mit
jedem die Sache durchsprechen? Wenn der Minister-Präsident oder der be¬
treffende Fachminister den nöthigen Ocean von Zeit zur Verfügung hätte, so
wäre die Sache immer noch nicht gebessert, denn die Hälfte der betreffenden
Abgeordneten würde sich nicht bekehren lassen. Die Sache wäre sogar ver¬
schlimmert, denn die Unbekehrten würden unisono ausrufen: wir haben ja
vorher gesagt, daß wir die Vorlage nicht wollen.

Man vergißt bei jener Forderung einer der parlamentarischen Berathung
vorausgehenden Verständigung zwischen Ministerium und befreundeten Par¬
teien, daß eine solche Verständigung zur Voraussetzung hat die monarchische
Organisation der Parteien, wie sie in England, im höchsten denkbaren Grade
besteht. Keinem englischen Minister fällt es ein, sich mit allen Mitgliedern
im einzelnen zu verständigen, auf deren Stimmen er zählt, und welcher Mi¬
nister außer in Flachsenfingen hätte auch die Zeit dazu? Ein englischer
Minister verständigt sich mit den Parteihäuptern, und da er in der Regel
selbst zu den Parteihäuptern gehört, so bedarf es einer Verständigung nur


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[0280] konservativen Elementen des Abgeordnetenhauses oder des Reichstages. Die letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus scheinen doch der Ausdruck dafür zu sein, daß die große Mehrheit im Lande, und namentlich die Mehrheit der liberalen Wähler das Verhalten der national-liberalen Partei und insbesondere des rechten Flügels derselben vollkommen billigt. Es scheint also aller Grund vorhanden, daß die Partei grundsätzlich und mit bewußtem Bekenntniß fortfährt das zu thun, was sie in der letzten parlamentarischen Zeit an¬ scheinend etwas wider ihren eigentlichen Willen, halb gezwungen und mit verdrießlicher Miene gethan. Das Hauptblatt der national-liberalen Partei erklärte in der vergangenen Woche, indem es die Zuversicht der Provinzial-Correspondenz, daß die Re¬ gierung in dem neuen Abgeordnetenhaus eine feste Stütze aus konservativen und liberalen Elementen finden werde, billigte: es habe bisher weit mehr die Art der Behandlung wichtiger Fragen Anlaß zum Zwist gegeben, als der Geist, in welchem man von beiden Seiten den Dingen gegenübertrat. Nun, die richtige Art der Behandlung wird sich wohl endlich finden lassen. Daß dieselbe bisher zuweilen verfehlt worden, wen trifft eigentlich die Schuld? Wir denken, die Schuld kann nur in der Unsicherheit unserer par¬ lamentarischen Sitten gefunden werden, die wir noch immer bemüht sind, nach fremden Mustern zu modeln, von denen wir doch wesentliche Theile weder annehmen wollen noch annehmen können. Man sagt, die Regierung solle sich bet wichtigen Vorlagen mit den be¬ freundeten Parteien vor der Einbringung verständigen. Soll nun der Minister-Präsident jeden der 180 national-liberalen Abgeordneten vor der Einbringung einer wichtigen Vorlage zu sich aufs Sopha laden und mit jedem die Sache durchsprechen? Wenn der Minister-Präsident oder der be¬ treffende Fachminister den nöthigen Ocean von Zeit zur Verfügung hätte, so wäre die Sache immer noch nicht gebessert, denn die Hälfte der betreffenden Abgeordneten würde sich nicht bekehren lassen. Die Sache wäre sogar ver¬ schlimmert, denn die Unbekehrten würden unisono ausrufen: wir haben ja vorher gesagt, daß wir die Vorlage nicht wollen. Man vergißt bei jener Forderung einer der parlamentarischen Berathung vorausgehenden Verständigung zwischen Ministerium und befreundeten Par¬ teien, daß eine solche Verständigung zur Voraussetzung hat die monarchische Organisation der Parteien, wie sie in England, im höchsten denkbaren Grade besteht. Keinem englischen Minister fällt es ein, sich mit allen Mitgliedern im einzelnen zu verständigen, auf deren Stimmen er zählt, und welcher Mi¬ nister außer in Flachsenfingen hätte auch die Zeit dazu? Ein englischer Minister verständigt sich mit den Parteihäuptern, und da er in der Regel selbst zu den Parteihäuptern gehört, so bedarf es einer Verständigung nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/280>, abgerufen am 29.05.2024.