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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Minister-Präsident mit v. Bennigsen oder mit Laster Rücksprache genommen
hätte? Diese hervorragenden Abgeordneten werden stets in der Lage sein,
wenn sie ihren individuellen Beistand zusichern, den Beistand ihrer Partei¬
genossen von dem erst zu ermittelnder Willen derselben abhängig zu erklären.
Der Hauptcharakterzug der deutschen Parteien, von denen einzig die kleri¬
kale Partei auszunehmen. ist, eine Genossenschaft, durch Grundsätze und Ge¬
sinnungen verwandt, aber ohne Führer zu sein. Mit solchen Parteien ist ein
für alle Mal keine vertrauliche Verständigung möglich. Die allein mögliche
Verständigung findet sich auf dem Wege der öffentlichen Berathung. Das
sollten wir endlich in Deutschland begreifen und nicht englische Sitten ver¬
langen, in deren Voraussetzungen bei uns kein Mensch sich schicken würde,
wenn es überhaupt anginge, einen ernstlichen Versuch damit anzustellen. --

Der am 30. Oktober eröffnete Reichstag hat in der vergangenen Woche
vier Sitzungen gehalten. Die Thronrede enthält den erwarteten Satz über
die auswärtige Politik und enthält ihn so, wie ihn die politisch Urtheils¬
kundigen ebenfalls erwartet hatten. Einen Anlaß zur Erörterung der aus¬
wärtigen Politik an dieser Stelle habe ich aus dem Satze nicht zu ent¬
nehmen, da ich hier dem Beispiel des Reichstags zu folgen habe. Es ist
eine unserer besten Eigenthümlichkeiten, daß unsere noch junge parlamentarische
Tradition darauf hinweist, die Erörterung der auswärtigen Politik nach
Möglichkeit zu vermeiden. Um einige gewundene und nichtssagende Phrasen
vom Ministertisch zu erpressen, wird in anderen Parlamenten durch solche Er¬
örterungen nicht selten das Interesse des Landes gefährdet.

Daß in den beiden ersten Sitzungen der Session der Reichstag wieder
nicht beschlußfähig war, soll heute ebenfalls keinen Anlaß geben, die schäd¬
liche Pedanterie der hohen Beschlußfähigkeitsziffer unserer Parlamente aufs
Neue zu tadeln. Die Sache wird doch einmal zur eingehenden Erörterung
kommen müssen, aber nicht in dieser Session. Auch der Umstand, daß der
bisherige zweite Vicepräsident, Herr Hänel, nicht mit seinen Collegen wieder¬
gewählt worden, soll nur berührt werden, da die Angelegenheit lediglich einen
persönlichen Charakter gehabt hat. Seltsam ist dabei nur, daß die national"
liberale Partei lieber das ganze Präsidium aus ihrer Mitte besetzen wollte,
als ein Mitglied der konservativen Partei betheiligen. So groß ist die Furcht
vor dem Anschein einer Schwenkung nach rechts, gegen den man sich dock
eben durch die Wahlbrüderschaft mit der Fortschrittspartei hinlänglich gewahrt
haben sollte.

Hoffen wir, daß trotz alledem das große Werk der Session, die Verein¬
barung der Justizgesetze, dadurch gelingt, daß die national-liberale Partei zu¬
sammen mit der konservativen Seite für die Annahme der auf wenig/ Punkte
beschränkten Regierungsforderungen eintritt. Die national-liberale Fraktion


Minister-Präsident mit v. Bennigsen oder mit Laster Rücksprache genommen
hätte? Diese hervorragenden Abgeordneten werden stets in der Lage sein,
wenn sie ihren individuellen Beistand zusichern, den Beistand ihrer Partei¬
genossen von dem erst zu ermittelnder Willen derselben abhängig zu erklären.
Der Hauptcharakterzug der deutschen Parteien, von denen einzig die kleri¬
kale Partei auszunehmen. ist, eine Genossenschaft, durch Grundsätze und Ge¬
sinnungen verwandt, aber ohne Führer zu sein. Mit solchen Parteien ist ein
für alle Mal keine vertrauliche Verständigung möglich. Die allein mögliche
Verständigung findet sich auf dem Wege der öffentlichen Berathung. Das
sollten wir endlich in Deutschland begreifen und nicht englische Sitten ver¬
langen, in deren Voraussetzungen bei uns kein Mensch sich schicken würde,
wenn es überhaupt anginge, einen ernstlichen Versuch damit anzustellen. —

Der am 30. Oktober eröffnete Reichstag hat in der vergangenen Woche
vier Sitzungen gehalten. Die Thronrede enthält den erwarteten Satz über
die auswärtige Politik und enthält ihn so, wie ihn die politisch Urtheils¬
kundigen ebenfalls erwartet hatten. Einen Anlaß zur Erörterung der aus¬
wärtigen Politik an dieser Stelle habe ich aus dem Satze nicht zu ent¬
nehmen, da ich hier dem Beispiel des Reichstags zu folgen habe. Es ist
eine unserer besten Eigenthümlichkeiten, daß unsere noch junge parlamentarische
Tradition darauf hinweist, die Erörterung der auswärtigen Politik nach
Möglichkeit zu vermeiden. Um einige gewundene und nichtssagende Phrasen
vom Ministertisch zu erpressen, wird in anderen Parlamenten durch solche Er¬
örterungen nicht selten das Interesse des Landes gefährdet.

Daß in den beiden ersten Sitzungen der Session der Reichstag wieder
nicht beschlußfähig war, soll heute ebenfalls keinen Anlaß geben, die schäd¬
liche Pedanterie der hohen Beschlußfähigkeitsziffer unserer Parlamente aufs
Neue zu tadeln. Die Sache wird doch einmal zur eingehenden Erörterung
kommen müssen, aber nicht in dieser Session. Auch der Umstand, daß der
bisherige zweite Vicepräsident, Herr Hänel, nicht mit seinen Collegen wieder¬
gewählt worden, soll nur berührt werden, da die Angelegenheit lediglich einen
persönlichen Charakter gehabt hat. Seltsam ist dabei nur, daß die national«
liberale Partei lieber das ganze Präsidium aus ihrer Mitte besetzen wollte,
als ein Mitglied der konservativen Partei betheiligen. So groß ist die Furcht
vor dem Anschein einer Schwenkung nach rechts, gegen den man sich dock
eben durch die Wahlbrüderschaft mit der Fortschrittspartei hinlänglich gewahrt
haben sollte.

Hoffen wir, daß trotz alledem das große Werk der Session, die Verein¬
barung der Justizgesetze, dadurch gelingt, daß die national-liberale Partei zu¬
sammen mit der konservativen Seite für die Annahme der auf wenig/ Punkte
beschränkten Regierungsforderungen eintritt. Die national-liberale Fraktion


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[0282] Minister-Präsident mit v. Bennigsen oder mit Laster Rücksprache genommen hätte? Diese hervorragenden Abgeordneten werden stets in der Lage sein, wenn sie ihren individuellen Beistand zusichern, den Beistand ihrer Partei¬ genossen von dem erst zu ermittelnder Willen derselben abhängig zu erklären. Der Hauptcharakterzug der deutschen Parteien, von denen einzig die kleri¬ kale Partei auszunehmen. ist, eine Genossenschaft, durch Grundsätze und Ge¬ sinnungen verwandt, aber ohne Führer zu sein. Mit solchen Parteien ist ein für alle Mal keine vertrauliche Verständigung möglich. Die allein mögliche Verständigung findet sich auf dem Wege der öffentlichen Berathung. Das sollten wir endlich in Deutschland begreifen und nicht englische Sitten ver¬ langen, in deren Voraussetzungen bei uns kein Mensch sich schicken würde, wenn es überhaupt anginge, einen ernstlichen Versuch damit anzustellen. — Der am 30. Oktober eröffnete Reichstag hat in der vergangenen Woche vier Sitzungen gehalten. Die Thronrede enthält den erwarteten Satz über die auswärtige Politik und enthält ihn so, wie ihn die politisch Urtheils¬ kundigen ebenfalls erwartet hatten. Einen Anlaß zur Erörterung der aus¬ wärtigen Politik an dieser Stelle habe ich aus dem Satze nicht zu ent¬ nehmen, da ich hier dem Beispiel des Reichstags zu folgen habe. Es ist eine unserer besten Eigenthümlichkeiten, daß unsere noch junge parlamentarische Tradition darauf hinweist, die Erörterung der auswärtigen Politik nach Möglichkeit zu vermeiden. Um einige gewundene und nichtssagende Phrasen vom Ministertisch zu erpressen, wird in anderen Parlamenten durch solche Er¬ örterungen nicht selten das Interesse des Landes gefährdet. Daß in den beiden ersten Sitzungen der Session der Reichstag wieder nicht beschlußfähig war, soll heute ebenfalls keinen Anlaß geben, die schäd¬ liche Pedanterie der hohen Beschlußfähigkeitsziffer unserer Parlamente aufs Neue zu tadeln. Die Sache wird doch einmal zur eingehenden Erörterung kommen müssen, aber nicht in dieser Session. Auch der Umstand, daß der bisherige zweite Vicepräsident, Herr Hänel, nicht mit seinen Collegen wieder¬ gewählt worden, soll nur berührt werden, da die Angelegenheit lediglich einen persönlichen Charakter gehabt hat. Seltsam ist dabei nur, daß die national« liberale Partei lieber das ganze Präsidium aus ihrer Mitte besetzen wollte, als ein Mitglied der konservativen Partei betheiligen. So groß ist die Furcht vor dem Anschein einer Schwenkung nach rechts, gegen den man sich dock eben durch die Wahlbrüderschaft mit der Fortschrittspartei hinlänglich gewahrt haben sollte. Hoffen wir, daß trotz alledem das große Werk der Session, die Verein¬ barung der Justizgesetze, dadurch gelingt, daß die national-liberale Partei zu¬ sammen mit der konservativen Seite für die Annahme der auf wenig/ Punkte beschränkten Regierungsforderungen eintritt. Die national-liberale Fraktion

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/282>, abgerufen am 15.05.2024.