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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Ich lasse nun zunächst noch zwei schwäbische Sagen aus Meiers Samm¬
lung folgen. von denen uns die erste die Schlange in der etwas seltsamen
Rolle einer Wächterin bei dem dritten Gebote zeigt, während von der zweiten
nur zu sagen ist. daß sie auch in Sachsen erzählt wird.

Etwa drei Stunden von Stein an der Donau wohnte eine reiche Bauers¬
wittwe, die bei den dortigen Leuten in sehr schlechtem Rufe stand. Einst
schickte sie am Pfingstmontage ihre Magd auf die Wiese, um Gras für da"
Vieh zu holen. Kaum aber hatte diese zu grasen angefangen, so erschien vor
ihr eine große Schlange, die ihr befahl, sogleich nach Hause zu gehen, da
man an einem Feiertage keine Dienstbotenarbeit verrichten dürfe. Als die
Magd dieß hörte, lief sie eilends in das Haus und erzählte es ihrer Frau.
Diese aber schalt sie eine faule Dirne, die ihr etwas vorlüge, weil sie nichts
thun wolle, und sagte dann, sie werde mit ihr nach der Wiese zurückkehren,
damit sie ihre wunderbare Schlange auch sehe. So gingen sie denn mit¬
einander auf die Wiese, und die Bäuerin fing an, Gras zu schneiden. Da
aber war augenblicklich die Schlange wieder zur Stelle und gebot ihr, aufzu¬
hören, wo nicht, so solle sie schwer zu büßen haben. Als jene diese Drohung
hörte, wurde sie zornig und wollte mit der Sichel nach der Schlange hauen.
Kaum aber hatte sie dazu ausgeholt, so sprang ihr der Wurm an die Brust
und ringelte sich ihr um den Hals. Jetzt war die Bäuerin voll Angst und
Schrecken und versprach, das Weitergrasen sein zu lassen und nach Hause zu
gehen. Die Schlange aber antwortete: "Jetzt ist es zu spät. Du mußt mich
hinfort sieben Jahre am Halse tragen." So geschah es denn auch, und die Frau
mußte sich in ihr Schicksal fügen. Als die sieben Jahre aber bald um waren,
erkrankte sie, und am Morgen des Pfingstmontags war sie todt. Von der
Schlange aber war nichts mehr zu sehen.

Im vordern Schwarzwalde war eine Magd, die hatte beim Wasser¬
trinken eine ganz kleine Schlange verschluckt, (in Sachsen ist sie ihr, als sie
beim Grasmähen auf einem Heuhaufen schlief, in den offenstehenden Mund
gekrochen) wovon ihr der Leib allmählich sehr anschwoll; denn die Schlange
blieb bet ihr und wurde immer größer. Mittags aber, wenn die Magd die
Kühe moll, überfiel sie jedesmal eine solche Müdigkeit, daß sie eine Weile
die Augen schließen und schlafen mußte. Dann kam die Schlange aus ihrem
Munde heraus, trank von der warmen Milch im Eimer und kroch, wenn sie
genug hatte, wieder in das Mädchen hinein, worauf diese alsbald erwachte.
Endlich merkten die Hausleute, wie die Sache sich verhielt, paßten auf und
schlugen die Schlange todt, und die Magd verlor nun sogleich ihren
starken Leib.

Ich schließe mit einigen Nachträgen. Im kärnthener Lesachthale glaubt
man. die Königsschlange lege ihr Krönlein auf ein rothes Tuch ab. das


Ich lasse nun zunächst noch zwei schwäbische Sagen aus Meiers Samm¬
lung folgen. von denen uns die erste die Schlange in der etwas seltsamen
Rolle einer Wächterin bei dem dritten Gebote zeigt, während von der zweiten
nur zu sagen ist. daß sie auch in Sachsen erzählt wird.

Etwa drei Stunden von Stein an der Donau wohnte eine reiche Bauers¬
wittwe, die bei den dortigen Leuten in sehr schlechtem Rufe stand. Einst
schickte sie am Pfingstmontage ihre Magd auf die Wiese, um Gras für da«
Vieh zu holen. Kaum aber hatte diese zu grasen angefangen, so erschien vor
ihr eine große Schlange, die ihr befahl, sogleich nach Hause zu gehen, da
man an einem Feiertage keine Dienstbotenarbeit verrichten dürfe. Als die
Magd dieß hörte, lief sie eilends in das Haus und erzählte es ihrer Frau.
Diese aber schalt sie eine faule Dirne, die ihr etwas vorlüge, weil sie nichts
thun wolle, und sagte dann, sie werde mit ihr nach der Wiese zurückkehren,
damit sie ihre wunderbare Schlange auch sehe. So gingen sie denn mit¬
einander auf die Wiese, und die Bäuerin fing an, Gras zu schneiden. Da
aber war augenblicklich die Schlange wieder zur Stelle und gebot ihr, aufzu¬
hören, wo nicht, so solle sie schwer zu büßen haben. Als jene diese Drohung
hörte, wurde sie zornig und wollte mit der Sichel nach der Schlange hauen.
Kaum aber hatte sie dazu ausgeholt, so sprang ihr der Wurm an die Brust
und ringelte sich ihr um den Hals. Jetzt war die Bäuerin voll Angst und
Schrecken und versprach, das Weitergrasen sein zu lassen und nach Hause zu
gehen. Die Schlange aber antwortete: „Jetzt ist es zu spät. Du mußt mich
hinfort sieben Jahre am Halse tragen." So geschah es denn auch, und die Frau
mußte sich in ihr Schicksal fügen. Als die sieben Jahre aber bald um waren,
erkrankte sie, und am Morgen des Pfingstmontags war sie todt. Von der
Schlange aber war nichts mehr zu sehen.

Im vordern Schwarzwalde war eine Magd, die hatte beim Wasser¬
trinken eine ganz kleine Schlange verschluckt, (in Sachsen ist sie ihr, als sie
beim Grasmähen auf einem Heuhaufen schlief, in den offenstehenden Mund
gekrochen) wovon ihr der Leib allmählich sehr anschwoll; denn die Schlange
blieb bet ihr und wurde immer größer. Mittags aber, wenn die Magd die
Kühe moll, überfiel sie jedesmal eine solche Müdigkeit, daß sie eine Weile
die Augen schließen und schlafen mußte. Dann kam die Schlange aus ihrem
Munde heraus, trank von der warmen Milch im Eimer und kroch, wenn sie
genug hatte, wieder in das Mädchen hinein, worauf diese alsbald erwachte.
Endlich merkten die Hausleute, wie die Sache sich verhielt, paßten auf und
schlugen die Schlange todt, und die Magd verlor nun sogleich ihren
starken Leib.

Ich schließe mit einigen Nachträgen. Im kärnthener Lesachthale glaubt
man. die Königsschlange lege ihr Krönlein auf ein rothes Tuch ab. das


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[0298] Ich lasse nun zunächst noch zwei schwäbische Sagen aus Meiers Samm¬ lung folgen. von denen uns die erste die Schlange in der etwas seltsamen Rolle einer Wächterin bei dem dritten Gebote zeigt, während von der zweiten nur zu sagen ist. daß sie auch in Sachsen erzählt wird. Etwa drei Stunden von Stein an der Donau wohnte eine reiche Bauers¬ wittwe, die bei den dortigen Leuten in sehr schlechtem Rufe stand. Einst schickte sie am Pfingstmontage ihre Magd auf die Wiese, um Gras für da« Vieh zu holen. Kaum aber hatte diese zu grasen angefangen, so erschien vor ihr eine große Schlange, die ihr befahl, sogleich nach Hause zu gehen, da man an einem Feiertage keine Dienstbotenarbeit verrichten dürfe. Als die Magd dieß hörte, lief sie eilends in das Haus und erzählte es ihrer Frau. Diese aber schalt sie eine faule Dirne, die ihr etwas vorlüge, weil sie nichts thun wolle, und sagte dann, sie werde mit ihr nach der Wiese zurückkehren, damit sie ihre wunderbare Schlange auch sehe. So gingen sie denn mit¬ einander auf die Wiese, und die Bäuerin fing an, Gras zu schneiden. Da aber war augenblicklich die Schlange wieder zur Stelle und gebot ihr, aufzu¬ hören, wo nicht, so solle sie schwer zu büßen haben. Als jene diese Drohung hörte, wurde sie zornig und wollte mit der Sichel nach der Schlange hauen. Kaum aber hatte sie dazu ausgeholt, so sprang ihr der Wurm an die Brust und ringelte sich ihr um den Hals. Jetzt war die Bäuerin voll Angst und Schrecken und versprach, das Weitergrasen sein zu lassen und nach Hause zu gehen. Die Schlange aber antwortete: „Jetzt ist es zu spät. Du mußt mich hinfort sieben Jahre am Halse tragen." So geschah es denn auch, und die Frau mußte sich in ihr Schicksal fügen. Als die sieben Jahre aber bald um waren, erkrankte sie, und am Morgen des Pfingstmontags war sie todt. Von der Schlange aber war nichts mehr zu sehen. Im vordern Schwarzwalde war eine Magd, die hatte beim Wasser¬ trinken eine ganz kleine Schlange verschluckt, (in Sachsen ist sie ihr, als sie beim Grasmähen auf einem Heuhaufen schlief, in den offenstehenden Mund gekrochen) wovon ihr der Leib allmählich sehr anschwoll; denn die Schlange blieb bet ihr und wurde immer größer. Mittags aber, wenn die Magd die Kühe moll, überfiel sie jedesmal eine solche Müdigkeit, daß sie eine Weile die Augen schließen und schlafen mußte. Dann kam die Schlange aus ihrem Munde heraus, trank von der warmen Milch im Eimer und kroch, wenn sie genug hatte, wieder in das Mädchen hinein, worauf diese alsbald erwachte. Endlich merkten die Hausleute, wie die Sache sich verhielt, paßten auf und schlugen die Schlange todt, und die Magd verlor nun sogleich ihren starken Leib. Ich schließe mit einigen Nachträgen. Im kärnthener Lesachthale glaubt man. die Königsschlange lege ihr Krönlein auf ein rothes Tuch ab. das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/298>, abgerufen am 05.06.2024.