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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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man mit frischem Brote an ihrer Badestelle hinbreite. Zu Veltheim im Aargau
schütten die Schlangen, bevor sie in's Wasser gehen, ihr Gift auf einen Stein
am Ufer aus. und nimmt man es ihnen dort weg, so müssen sie sterben.
Zu Vouvry im Kanton Wallis gab es eine fliegende Viper, die sich in die
Fässer der Keller hineinbohrte und den Leuten ihren rothen Wein austrank.
Als sie einmal an der Rhone schlief, stahl ihr ein Bauer den Edelstein, den
sie im Kopfe trug. Zuvor hatte er daheim ein Faß inwendig mit Nägeln
ausgeschlagen, und als ihn die Schlange nach dem Raube verfolgte, lief er
auf dieses Faß zu, in welches jene, da es Wein enthalten hatte, hineinschoß
und sich an den Spitzen der Nägel verblutete. Nach einer von Stöber mit¬
getheilten elsässischen Sage hat die Juraschlange im Auge einen Karfunkel.
Selbst die Lappen kennen nach Castre'n den Schlangenstetn, und merkwürdiger
Weise hat er bei ihnen eine Eigenschaft, welche die oben erwähnten Schlan¬
geneier bet römischen Processen gehabt zu haben scheinen. Alljährlich einmal
versammeln sich die Schlangen mit ihren Häuptlingen zu einem Thing, bei
dem^ jeder Unterthan Anträge stellen kann und die Häuptlinge Recht sprechen.
An der Stelle des Things aber findet man dann den sogenannten Gerichts¬
stein, der dem Finder bei Klagen vor dem Richter gute Dienste leistet. Sagen
von verwünschten Jungfrauen, die in Schlangengestalt Schätze hüten und
auf Erlösung harren, giebt es im Harz und in Westphalen, in Sachsen,
Thüringen und Hessen an vielen Orten.

In der Mark heißt es, wer eine Schlange mit in's Bett nimmt, wird viel
Glück haben. Wer in Tirol einen Bltndschleichenkopf mit in sein Gewehr ladet
und in die Luft schießt, trifft alles Wild, das ihm aufstößt. Nach dem Glauben
des Volkes in Tirol wohnt, wie Zingerle berichtet, unter den Haselnußsträuchen,
auf denen eine Mistel wächst, eine kleine weiße oder buntfarbige Schlange,
der Haselwurm, er nährt sich von den Haselblättern, in die er die kleinen
Löcher beißt, die man auf ihnen antrifft. Wer ihn fängt und von ihm ißt,
oder ihn bei sich trägt, der erwirbt sich allerhand Zauberkräfte: er kann sich
unsichtbar machen, kann Schätze finden und heben und die Kräuter davon
reden hören, wozu sie gut sind. In Ostpreußen lautet ein Spruch, mit welchem
Man Leute beschwört, die von einer giftigen Schlange gebissen worden sind:
"Du Schlange, Du Otterschlange, von wannen bist du geworden? Von
einer Weide. Zu einer Weide sollst du wieder werden. Ich will ja beißen
nicht mit meiner Macht, sondern mit Gottes und Christus des Herrn Macht,
daß es dir nicht soll schaden vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenunter-
Sang, im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Amen."




man mit frischem Brote an ihrer Badestelle hinbreite. Zu Veltheim im Aargau
schütten die Schlangen, bevor sie in's Wasser gehen, ihr Gift auf einen Stein
am Ufer aus. und nimmt man es ihnen dort weg, so müssen sie sterben.
Zu Vouvry im Kanton Wallis gab es eine fliegende Viper, die sich in die
Fässer der Keller hineinbohrte und den Leuten ihren rothen Wein austrank.
Als sie einmal an der Rhone schlief, stahl ihr ein Bauer den Edelstein, den
sie im Kopfe trug. Zuvor hatte er daheim ein Faß inwendig mit Nägeln
ausgeschlagen, und als ihn die Schlange nach dem Raube verfolgte, lief er
auf dieses Faß zu, in welches jene, da es Wein enthalten hatte, hineinschoß
und sich an den Spitzen der Nägel verblutete. Nach einer von Stöber mit¬
getheilten elsässischen Sage hat die Juraschlange im Auge einen Karfunkel.
Selbst die Lappen kennen nach Castre'n den Schlangenstetn, und merkwürdiger
Weise hat er bei ihnen eine Eigenschaft, welche die oben erwähnten Schlan¬
geneier bet römischen Processen gehabt zu haben scheinen. Alljährlich einmal
versammeln sich die Schlangen mit ihren Häuptlingen zu einem Thing, bei
dem^ jeder Unterthan Anträge stellen kann und die Häuptlinge Recht sprechen.
An der Stelle des Things aber findet man dann den sogenannten Gerichts¬
stein, der dem Finder bei Klagen vor dem Richter gute Dienste leistet. Sagen
von verwünschten Jungfrauen, die in Schlangengestalt Schätze hüten und
auf Erlösung harren, giebt es im Harz und in Westphalen, in Sachsen,
Thüringen und Hessen an vielen Orten.

In der Mark heißt es, wer eine Schlange mit in's Bett nimmt, wird viel
Glück haben. Wer in Tirol einen Bltndschleichenkopf mit in sein Gewehr ladet
und in die Luft schießt, trifft alles Wild, das ihm aufstößt. Nach dem Glauben
des Volkes in Tirol wohnt, wie Zingerle berichtet, unter den Haselnußsträuchen,
auf denen eine Mistel wächst, eine kleine weiße oder buntfarbige Schlange,
der Haselwurm, er nährt sich von den Haselblättern, in die er die kleinen
Löcher beißt, die man auf ihnen antrifft. Wer ihn fängt und von ihm ißt,
oder ihn bei sich trägt, der erwirbt sich allerhand Zauberkräfte: er kann sich
unsichtbar machen, kann Schätze finden und heben und die Kräuter davon
reden hören, wozu sie gut sind. In Ostpreußen lautet ein Spruch, mit welchem
Man Leute beschwört, die von einer giftigen Schlange gebissen worden sind:
»Du Schlange, Du Otterschlange, von wannen bist du geworden? Von
einer Weide. Zu einer Weide sollst du wieder werden. Ich will ja beißen
nicht mit meiner Macht, sondern mit Gottes und Christus des Herrn Macht,
daß es dir nicht soll schaden vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenunter-
Sang, im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Amen."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/299>, abgerufen am 16.05.2024.