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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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stürzten Bestrebungen der Gegenwart angesammelte reiche Material mit
ruhiger Besonnenheit gesichtet wird, erst wenn zu der unbedingten Herrschaft
über die Farbe eine eracte, charactervolle Formengebung, gewissenhafte Zeich¬
nung und edle Composition sich gesellt, wird den Anforderungen einer ge¬
diegenen Technik entsprochen werden. Das Beste fehlt dann freilich immer
noch, der gedankliche Inhalt, die poetische Conception und der geistige Gehalt
des Kunstwerkes, welchen als Zweck zu verwirklichen selbst die vollendetste
Technik immer nur als Mittel dienen soll, während bei vielen Bildern um¬
gekehrt oft der seichteste Gedanke als Mittel herhalten muß, an welchem sich
eine nicht selten virtuose Technik als Zweck entfaltet. Das traurige Deficit,
diese innere Geistesarmuth in glänzender Hülle, der wir auf dem Gebiete der
heutigen Kunst ebenso oft begegnen, wie im persönlichen Verkehrsleben, ist
im ersteren Falle wesentlich dem Bildungsgange der Akademien zur Last zu
legen. Daß dieselben ohne alle Vorbedingung Zöglinge, gleichviel ob von
der Dorf- oder Bürgerschule, vom Gymnasium oder der Universität, gleichviel
ob aus armen Bauern- oder Handwerksfamilien, aus reichen Bürger- oder
vornehmen Adelsfamilien stammend, mit gleicher Bereitwilligkeit aufnehmen,
ist vollständig in der Ordnung, denn das Talent für die Kunst tritt ohne
Unterschied in allen Volksclassen gleich bedeutend auf. Daß die Akademie
aber sich um die für jeden Künstler so wichtige ästhetische und humanistische
Bildung so ganz und gar nicht bekümmert und nur ausschließlich die tech¬
nische Ausbildung derselben ins Auge faßt, ist namentlich gegen die durch
Geburt und Verhältnisse in dieser Beziehung weniger begünstigten Schüler
ein Unrecht, dessen Folgen sich in spätern Jahren schwer beseitigen lassen.
Daraus mag sich wohl genügend der verhältnißmäßig ärmliche Inhalt er¬
klären, der die Kunst unseres sonst so hochgebildeten Jahrhunderts kennzeichnet
gegenüber früheren Kunstperioden, aus denen man nur wenige Namen zu
nennen braucht -- wie Leonhardo da Vinci, Michelangelo, Dürer, Rubens
u. a. Künstler, welche an humanistischer und wissenschaftlicher Bildung den
ersten Gelehrten und Staatsmännern ihrer Zeit vollständig ebenbürtig zur
Seite standen -- um sich klar zu machen, weshalb deren Werken außer der
technischen Vollkommenheit noch etwas Anderes innewohnt, dessen Werth und
Bedeutung selbst Jahrhunderte nicht abzuschwächen vermochten. Nur weil
sie mit ihrer Bildung und Intelligenz auf der Höhe ihrer Zeit standen, ver¬
mochten sie dieselbe vollständig zu verstehen und, vielleicht sich selbst unbewußt,
deren Geist in ihren Werken zu verkörpern.

Ist nun die Dresdener Akademie schon nach dieser Richtung hin im
Nachtheil gegen andere Kunstschulen wie Leipzig, Berlin, München, Wien
u. s. w. -- denen zur leichtern Ausfüllung der Lücken in der humanistischen
Bildung der Schüler die höchsten Lehranstalten, Universitäten, zu Gebote


stürzten Bestrebungen der Gegenwart angesammelte reiche Material mit
ruhiger Besonnenheit gesichtet wird, erst wenn zu der unbedingten Herrschaft
über die Farbe eine eracte, charactervolle Formengebung, gewissenhafte Zeich¬
nung und edle Composition sich gesellt, wird den Anforderungen einer ge¬
diegenen Technik entsprochen werden. Das Beste fehlt dann freilich immer
noch, der gedankliche Inhalt, die poetische Conception und der geistige Gehalt
des Kunstwerkes, welchen als Zweck zu verwirklichen selbst die vollendetste
Technik immer nur als Mittel dienen soll, während bei vielen Bildern um¬
gekehrt oft der seichteste Gedanke als Mittel herhalten muß, an welchem sich
eine nicht selten virtuose Technik als Zweck entfaltet. Das traurige Deficit,
diese innere Geistesarmuth in glänzender Hülle, der wir auf dem Gebiete der
heutigen Kunst ebenso oft begegnen, wie im persönlichen Verkehrsleben, ist
im ersteren Falle wesentlich dem Bildungsgange der Akademien zur Last zu
legen. Daß dieselben ohne alle Vorbedingung Zöglinge, gleichviel ob von
der Dorf- oder Bürgerschule, vom Gymnasium oder der Universität, gleichviel
ob aus armen Bauern- oder Handwerksfamilien, aus reichen Bürger- oder
vornehmen Adelsfamilien stammend, mit gleicher Bereitwilligkeit aufnehmen,
ist vollständig in der Ordnung, denn das Talent für die Kunst tritt ohne
Unterschied in allen Volksclassen gleich bedeutend auf. Daß die Akademie
aber sich um die für jeden Künstler so wichtige ästhetische und humanistische
Bildung so ganz und gar nicht bekümmert und nur ausschließlich die tech¬
nische Ausbildung derselben ins Auge faßt, ist namentlich gegen die durch
Geburt und Verhältnisse in dieser Beziehung weniger begünstigten Schüler
ein Unrecht, dessen Folgen sich in spätern Jahren schwer beseitigen lassen.
Daraus mag sich wohl genügend der verhältnißmäßig ärmliche Inhalt er¬
klären, der die Kunst unseres sonst so hochgebildeten Jahrhunderts kennzeichnet
gegenüber früheren Kunstperioden, aus denen man nur wenige Namen zu
nennen braucht — wie Leonhardo da Vinci, Michelangelo, Dürer, Rubens
u. a. Künstler, welche an humanistischer und wissenschaftlicher Bildung den
ersten Gelehrten und Staatsmännern ihrer Zeit vollständig ebenbürtig zur
Seite standen — um sich klar zu machen, weshalb deren Werken außer der
technischen Vollkommenheit noch etwas Anderes innewohnt, dessen Werth und
Bedeutung selbst Jahrhunderte nicht abzuschwächen vermochten. Nur weil
sie mit ihrer Bildung und Intelligenz auf der Höhe ihrer Zeit standen, ver¬
mochten sie dieselbe vollständig zu verstehen und, vielleicht sich selbst unbewußt,
deren Geist in ihren Werken zu verkörpern.

Ist nun die Dresdener Akademie schon nach dieser Richtung hin im
Nachtheil gegen andere Kunstschulen wie Leipzig, Berlin, München, Wien
u. s. w. — denen zur leichtern Ausfüllung der Lücken in der humanistischen
Bildung der Schüler die höchsten Lehranstalten, Universitäten, zu Gebote


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/34>, abgerufen am 15.05.2024.