Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stehen, -- so ist es doppelt auffällig und betrübend, daß auch nach der dech.
nischen Seite in der Dresdener Malerschule keine Spur von jenem frischen
Zuge zu bemerken ist, der durch die ganze Kunstrichtung der Neuzeit hindurch¬
geht, der frischen Naturwahrheit der Farbe ihre poetischen Reize abzulauschen
und sie mit gewandter Pinselführung wiederzugeben.

Wenn andere Schulen in diesen Bestrebungen stellenweise zu weit gehen
und alle übrigen zu einem Bilde nothwendigen Requisiten über dem Haschen
nach decorativer Farbeneffecten hintansetzen, so beharrt dagegen die Dresdener
Schule consequent in einer, fast möchte man sagen, antteolortstischen Richtung,
ohne dabei im Ganzen durch einen großartigen Zug in Zeichnung und Com-
position für jenen Mangel hinreichend zu entschädigen, und es thut jedem
aufrichtigen Verehrer der Kunst in der Seele weh. daß die Dresdener Maler
bei ihrer schwerfälligen Technik mit dem größten Fleiße und dem gewissen¬
haftesten Streben nicht annähernd leisten, was schon ganz junge Leute z. B.
von der Düsseldorfer, Münchener und der so schnell emporgeblühten kleinen
Weimarer Kunstschule in technischer Hinsicht mit fast spielender Leichtigkeit und
größter Sicherheit erreichen. Der Grund davon ist nicht etwa im Mangel an talent¬
vollen Leuten zu suchen, denn wir sehen auch auf dieser Ausstellung coloristisch
hervorragende Leistungen gerade von frühern Schülern der Dresdener Aka¬
demie, welche jedoch erst auf andern Kunstschulen erlernen mußten, was sie
trotz offenbarer Anlagen in Dresden nie erreicht halten.

Auch den höchst resp-ctablen Lehrkräften an sich kann durchaus kein Vor¬
wurf gemacht werden, wohl aber der unzweckmäßigen Disposition über die¬
selben. Es hat fast den Anschein, als ob man von der naiven Anschauung
ausginge, daß die Lehrer, ähnlich wie die Schüler, nach der Anciennität von
den untern Classen progressiv nach den obern vorrücken müßten, und Rang
und Würde derselben danach abzuschätzen wäre. Was bei den Schülern, als
dem naturgemäßen Bildungsgange entsprechend, förderlich ist, erweist sich bei
den Lehrern, deren individuelle Kunstrichtung als in sich abgeschlossen, in
ihrer Qualifikation nothwendig dieselbe bleiben muß, als durchaus unpractisch.
So bleibt es z. B. unerklärlich, daß zwei so eminent coloristisch begabte
Lehrkräfte, wie die Professoren Gönne und Scholtz im Anlikensaale Zeichnen
lehren müssen, während Professor Ehrhardt, bei dessen vorzüglichem Lehrer¬
talent das feine Gefühl für Form und Modellirung des menschlichen Körpers
seinen Sinn für Farbengebung ganz unverhältnißmäßig überragt, im Maler¬
saale unterrichtet und Professor Dr. Große, dessen ausgesprochne classische
Richtung unverkennbar auf die plastische Formenschönheit und die erhabene
Hoheit der Antike hinweist, einem akademischen Maleratelier vorsteht.

Zieht man noch in Erwägung, daß einem Künstler wie Professor Paul
Thumann, -- dessen edle, echt deutsche Kunstrichtung mit der tief empfundenen


stehen, — so ist es doppelt auffällig und betrübend, daß auch nach der dech.
nischen Seite in der Dresdener Malerschule keine Spur von jenem frischen
Zuge zu bemerken ist, der durch die ganze Kunstrichtung der Neuzeit hindurch¬
geht, der frischen Naturwahrheit der Farbe ihre poetischen Reize abzulauschen
und sie mit gewandter Pinselführung wiederzugeben.

Wenn andere Schulen in diesen Bestrebungen stellenweise zu weit gehen
und alle übrigen zu einem Bilde nothwendigen Requisiten über dem Haschen
nach decorativer Farbeneffecten hintansetzen, so beharrt dagegen die Dresdener
Schule consequent in einer, fast möchte man sagen, antteolortstischen Richtung,
ohne dabei im Ganzen durch einen großartigen Zug in Zeichnung und Com-
position für jenen Mangel hinreichend zu entschädigen, und es thut jedem
aufrichtigen Verehrer der Kunst in der Seele weh. daß die Dresdener Maler
bei ihrer schwerfälligen Technik mit dem größten Fleiße und dem gewissen¬
haftesten Streben nicht annähernd leisten, was schon ganz junge Leute z. B.
von der Düsseldorfer, Münchener und der so schnell emporgeblühten kleinen
Weimarer Kunstschule in technischer Hinsicht mit fast spielender Leichtigkeit und
größter Sicherheit erreichen. Der Grund davon ist nicht etwa im Mangel an talent¬
vollen Leuten zu suchen, denn wir sehen auch auf dieser Ausstellung coloristisch
hervorragende Leistungen gerade von frühern Schülern der Dresdener Aka¬
demie, welche jedoch erst auf andern Kunstschulen erlernen mußten, was sie
trotz offenbarer Anlagen in Dresden nie erreicht halten.

Auch den höchst resp-ctablen Lehrkräften an sich kann durchaus kein Vor¬
wurf gemacht werden, wohl aber der unzweckmäßigen Disposition über die¬
selben. Es hat fast den Anschein, als ob man von der naiven Anschauung
ausginge, daß die Lehrer, ähnlich wie die Schüler, nach der Anciennität von
den untern Classen progressiv nach den obern vorrücken müßten, und Rang
und Würde derselben danach abzuschätzen wäre. Was bei den Schülern, als
dem naturgemäßen Bildungsgange entsprechend, förderlich ist, erweist sich bei
den Lehrern, deren individuelle Kunstrichtung als in sich abgeschlossen, in
ihrer Qualifikation nothwendig dieselbe bleiben muß, als durchaus unpractisch.
So bleibt es z. B. unerklärlich, daß zwei so eminent coloristisch begabte
Lehrkräfte, wie die Professoren Gönne und Scholtz im Anlikensaale Zeichnen
lehren müssen, während Professor Ehrhardt, bei dessen vorzüglichem Lehrer¬
talent das feine Gefühl für Form und Modellirung des menschlichen Körpers
seinen Sinn für Farbengebung ganz unverhältnißmäßig überragt, im Maler¬
saale unterrichtet und Professor Dr. Große, dessen ausgesprochne classische
Richtung unverkennbar auf die plastische Formenschönheit und die erhabene
Hoheit der Antike hinweist, einem akademischen Maleratelier vorsteht.

Zieht man noch in Erwägung, daß einem Künstler wie Professor Paul
Thumann, — dessen edle, echt deutsche Kunstrichtung mit der tief empfundenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136674"/>
          <p xml:id="ID_80" prev="#ID_79"> stehen, &#x2014; so ist es doppelt auffällig und betrübend, daß auch nach der dech.<lb/>
nischen Seite in der Dresdener Malerschule keine Spur von jenem frischen<lb/>
Zuge zu bemerken ist, der durch die ganze Kunstrichtung der Neuzeit hindurch¬<lb/>
geht, der frischen Naturwahrheit der Farbe ihre poetischen Reize abzulauschen<lb/>
und sie mit gewandter Pinselführung wiederzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_81"> Wenn andere Schulen in diesen Bestrebungen stellenweise zu weit gehen<lb/>
und alle übrigen zu einem Bilde nothwendigen Requisiten über dem Haschen<lb/>
nach decorativer Farbeneffecten hintansetzen, so beharrt dagegen die Dresdener<lb/>
Schule consequent in einer, fast möchte man sagen, antteolortstischen Richtung,<lb/>
ohne dabei im Ganzen durch einen großartigen Zug in Zeichnung und Com-<lb/>
position für jenen Mangel hinreichend zu entschädigen, und es thut jedem<lb/>
aufrichtigen Verehrer der Kunst in der Seele weh. daß die Dresdener Maler<lb/>
bei ihrer schwerfälligen Technik mit dem größten Fleiße und dem gewissen¬<lb/>
haftesten Streben nicht annähernd leisten, was schon ganz junge Leute z. B.<lb/>
von der Düsseldorfer, Münchener und der so schnell emporgeblühten kleinen<lb/>
Weimarer Kunstschule in technischer Hinsicht mit fast spielender Leichtigkeit und<lb/>
größter Sicherheit erreichen. Der Grund davon ist nicht etwa im Mangel an talent¬<lb/>
vollen Leuten zu suchen, denn wir sehen auch auf dieser Ausstellung coloristisch<lb/>
hervorragende Leistungen gerade von frühern Schülern der Dresdener Aka¬<lb/>
demie, welche jedoch erst auf andern Kunstschulen erlernen mußten, was sie<lb/>
trotz offenbarer Anlagen in Dresden nie erreicht halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_82"> Auch den höchst resp-ctablen Lehrkräften an sich kann durchaus kein Vor¬<lb/>
wurf gemacht werden, wohl aber der unzweckmäßigen Disposition über die¬<lb/>
selben. Es hat fast den Anschein, als ob man von der naiven Anschauung<lb/>
ausginge, daß die Lehrer, ähnlich wie die Schüler, nach der Anciennität von<lb/>
den untern Classen progressiv nach den obern vorrücken müßten, und Rang<lb/>
und Würde derselben danach abzuschätzen wäre. Was bei den Schülern, als<lb/>
dem naturgemäßen Bildungsgange entsprechend, förderlich ist, erweist sich bei<lb/>
den Lehrern, deren individuelle Kunstrichtung als in sich abgeschlossen, in<lb/>
ihrer Qualifikation nothwendig dieselbe bleiben muß, als durchaus unpractisch.<lb/>
So bleibt es z. B. unerklärlich, daß zwei so eminent coloristisch begabte<lb/>
Lehrkräfte, wie die Professoren Gönne und Scholtz im Anlikensaale Zeichnen<lb/>
lehren müssen, während Professor Ehrhardt, bei dessen vorzüglichem Lehrer¬<lb/>
talent das feine Gefühl für Form und Modellirung des menschlichen Körpers<lb/>
seinen Sinn für Farbengebung ganz unverhältnißmäßig überragt, im Maler¬<lb/>
saale unterrichtet und Professor Dr. Große, dessen ausgesprochne classische<lb/>
Richtung unverkennbar auf die plastische Formenschönheit und die erhabene<lb/>
Hoheit der Antike hinweist, einem akademischen Maleratelier vorsteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83" next="#ID_84"> Zieht man noch in Erwägung, daß einem Künstler wie Professor Paul<lb/>
Thumann, &#x2014; dessen edle, echt deutsche Kunstrichtung mit der tief empfundenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] stehen, — so ist es doppelt auffällig und betrübend, daß auch nach der dech. nischen Seite in der Dresdener Malerschule keine Spur von jenem frischen Zuge zu bemerken ist, der durch die ganze Kunstrichtung der Neuzeit hindurch¬ geht, der frischen Naturwahrheit der Farbe ihre poetischen Reize abzulauschen und sie mit gewandter Pinselführung wiederzugeben. Wenn andere Schulen in diesen Bestrebungen stellenweise zu weit gehen und alle übrigen zu einem Bilde nothwendigen Requisiten über dem Haschen nach decorativer Farbeneffecten hintansetzen, so beharrt dagegen die Dresdener Schule consequent in einer, fast möchte man sagen, antteolortstischen Richtung, ohne dabei im Ganzen durch einen großartigen Zug in Zeichnung und Com- position für jenen Mangel hinreichend zu entschädigen, und es thut jedem aufrichtigen Verehrer der Kunst in der Seele weh. daß die Dresdener Maler bei ihrer schwerfälligen Technik mit dem größten Fleiße und dem gewissen¬ haftesten Streben nicht annähernd leisten, was schon ganz junge Leute z. B. von der Düsseldorfer, Münchener und der so schnell emporgeblühten kleinen Weimarer Kunstschule in technischer Hinsicht mit fast spielender Leichtigkeit und größter Sicherheit erreichen. Der Grund davon ist nicht etwa im Mangel an talent¬ vollen Leuten zu suchen, denn wir sehen auch auf dieser Ausstellung coloristisch hervorragende Leistungen gerade von frühern Schülern der Dresdener Aka¬ demie, welche jedoch erst auf andern Kunstschulen erlernen mußten, was sie trotz offenbarer Anlagen in Dresden nie erreicht halten. Auch den höchst resp-ctablen Lehrkräften an sich kann durchaus kein Vor¬ wurf gemacht werden, wohl aber der unzweckmäßigen Disposition über die¬ selben. Es hat fast den Anschein, als ob man von der naiven Anschauung ausginge, daß die Lehrer, ähnlich wie die Schüler, nach der Anciennität von den untern Classen progressiv nach den obern vorrücken müßten, und Rang und Würde derselben danach abzuschätzen wäre. Was bei den Schülern, als dem naturgemäßen Bildungsgange entsprechend, förderlich ist, erweist sich bei den Lehrern, deren individuelle Kunstrichtung als in sich abgeschlossen, in ihrer Qualifikation nothwendig dieselbe bleiben muß, als durchaus unpractisch. So bleibt es z. B. unerklärlich, daß zwei so eminent coloristisch begabte Lehrkräfte, wie die Professoren Gönne und Scholtz im Anlikensaale Zeichnen lehren müssen, während Professor Ehrhardt, bei dessen vorzüglichem Lehrer¬ talent das feine Gefühl für Form und Modellirung des menschlichen Körpers seinen Sinn für Farbengebung ganz unverhältnißmäßig überragt, im Maler¬ saale unterrichtet und Professor Dr. Große, dessen ausgesprochne classische Richtung unverkennbar auf die plastische Formenschönheit und die erhabene Hoheit der Antike hinweist, einem akademischen Maleratelier vorsteht. Zieht man noch in Erwägung, daß einem Künstler wie Professor Paul Thumann, — dessen edle, echt deutsche Kunstrichtung mit der tief empfundenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/35>, abgerufen am 15.05.2024.