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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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reich und aus der Katastrophe des Jahres 1870 unversehrt hervorgegangen.
Die beiden ersten der oben genannten Monographien, zwei Rectoratsreden
des bekannten Nationalökonomen Professors Dr. Gustav Schmoller, der-
maligem Rector der Universität Straßburg, beruhen auf den gründlichsten
Quellenstudien im Straßburger Archiv und eröffnen dem Geschichtsforscher
weite Blicke auf ein bisher wenig bekanntes Gebiet. Denn wenn auch im
Allgemeinen die Geschichte der alten Reichsstadt am Oberrhein in ihrer poli¬
tischen Entwicklung ihren wesentlichen Grundzügen nach bekannt war; wenn
für einzelne Perioden dieser Geschichte, wie für die der deutschen Mystik, für
die Zeit der Reformation, für die französische Revolution, ein reiches Material
und vielfache Specialstudien vorlagen, so war dagegen Straßburgs innerliche
Geschichte vom 13. bis zum 13. Jahrhundert in ein gewisses, mystisches
Dunkel gehüllt. Dasselbe in lichtvoller Weise, in edler classischer Form und
gestützt auf deutliche Urkunden, aus denen die Thatsachen sich wie von selbst
ergeben, aufgehellt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst der vorliegenden
Abhandlungen. Es ist die innere Geschichte der Stadt Straßburg in socialer
und volkswirthschaftlicher Beziehung; es ist die Entstehung ihrer viel gerühmten
und oft bewunderten Verfassung, die Analogie hatte mit derjenigen von Venedig;
es ist das verschlungene Räderwerk ihrer Verwaltungskörper, welche Prof.
Schmoller uns in lichtvoller Darstellung vorführt.

Das alte römische Argentoratum war in den Stürmen der Völkerwan¬
derung untergegangen. Die fränkischen Könige, die im Elsaß sich so oft auf¬
hielten und Paläste wie die Isendurg bei Rufach und Kirchheim, so¬
wie die Kronen bürg, unweit Maßlenheim bewohnten, scheinen, wie die
älteren Historiker behaupten, auch in der Nähe der Trümmer des alten Ar¬
gentoratum, einen Palast in Königshosen besessen zu haben. Daher der Ur¬
sprung einer Pfalz in Straßburg. Die Stadt war auch von alter Zeit her
ein Bischofssitz; die Bischöfe besaßen dort, in der Nähe der von Chlodwig
erbauten, zuerst in Holz aufgeführten Hauptkirche, dem späteren Münster,
einen Frohnhof. Auch andere Gebäude, die zu agrarischen Zwecken dienten,
erhoben sich allmählich. Die Ansiedler, die um die Mitte des zehnten Jahr¬
hunderts sich dort niederließen, waren entweder Beamte des Bischofs oder
Landleute, die dessen Felder bebauten oder endlich Handwerker, welche für die
leiblichen Bedürfnisse des Bischofs und seiner Leute zu sorgen hatten. Bis
um das Jahr 11S0 ist also Straßburg eine Ackerbaustadt; die Häuser darin
sind klein und unansehnlich; jedes hat Scheune und Stallung, Feld und
Garten; zählte man doch im elften Jahrhundert 800 Gartenräume in der
Stadt. Naturalleistungen aller Art hatte sowohl der ackerbautreibende als
auch der gewerbliche Theil der Bevölkerung zu leisten und die Ministerialen
des Bischofs sorgten dafür, daß alle Verpflichtungen zu Gunsten ihres Herrn


reich und aus der Katastrophe des Jahres 1870 unversehrt hervorgegangen.
Die beiden ersten der oben genannten Monographien, zwei Rectoratsreden
des bekannten Nationalökonomen Professors Dr. Gustav Schmoller, der-
maligem Rector der Universität Straßburg, beruhen auf den gründlichsten
Quellenstudien im Straßburger Archiv und eröffnen dem Geschichtsforscher
weite Blicke auf ein bisher wenig bekanntes Gebiet. Denn wenn auch im
Allgemeinen die Geschichte der alten Reichsstadt am Oberrhein in ihrer poli¬
tischen Entwicklung ihren wesentlichen Grundzügen nach bekannt war; wenn
für einzelne Perioden dieser Geschichte, wie für die der deutschen Mystik, für
die Zeit der Reformation, für die französische Revolution, ein reiches Material
und vielfache Specialstudien vorlagen, so war dagegen Straßburgs innerliche
Geschichte vom 13. bis zum 13. Jahrhundert in ein gewisses, mystisches
Dunkel gehüllt. Dasselbe in lichtvoller Weise, in edler classischer Form und
gestützt auf deutliche Urkunden, aus denen die Thatsachen sich wie von selbst
ergeben, aufgehellt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst der vorliegenden
Abhandlungen. Es ist die innere Geschichte der Stadt Straßburg in socialer
und volkswirthschaftlicher Beziehung; es ist die Entstehung ihrer viel gerühmten
und oft bewunderten Verfassung, die Analogie hatte mit derjenigen von Venedig;
es ist das verschlungene Räderwerk ihrer Verwaltungskörper, welche Prof.
Schmoller uns in lichtvoller Darstellung vorführt.

Das alte römische Argentoratum war in den Stürmen der Völkerwan¬
derung untergegangen. Die fränkischen Könige, die im Elsaß sich so oft auf¬
hielten und Paläste wie die Isendurg bei Rufach und Kirchheim, so¬
wie die Kronen bürg, unweit Maßlenheim bewohnten, scheinen, wie die
älteren Historiker behaupten, auch in der Nähe der Trümmer des alten Ar¬
gentoratum, einen Palast in Königshosen besessen zu haben. Daher der Ur¬
sprung einer Pfalz in Straßburg. Die Stadt war auch von alter Zeit her
ein Bischofssitz; die Bischöfe besaßen dort, in der Nähe der von Chlodwig
erbauten, zuerst in Holz aufgeführten Hauptkirche, dem späteren Münster,
einen Frohnhof. Auch andere Gebäude, die zu agrarischen Zwecken dienten,
erhoben sich allmählich. Die Ansiedler, die um die Mitte des zehnten Jahr¬
hunderts sich dort niederließen, waren entweder Beamte des Bischofs oder
Landleute, die dessen Felder bebauten oder endlich Handwerker, welche für die
leiblichen Bedürfnisse des Bischofs und seiner Leute zu sorgen hatten. Bis
um das Jahr 11S0 ist also Straßburg eine Ackerbaustadt; die Häuser darin
sind klein und unansehnlich; jedes hat Scheune und Stallung, Feld und
Garten; zählte man doch im elften Jahrhundert 800 Gartenräume in der
Stadt. Naturalleistungen aller Art hatte sowohl der ackerbautreibende als
auch der gewerbliche Theil der Bevölkerung zu leisten und die Ministerialen
des Bischofs sorgten dafür, daß alle Verpflichtungen zu Gunsten ihres Herrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/46>, abgerufen am 15.05.2024.