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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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gewissenhaft erfüllt wurden. So bietet denn das ältere Straßburg das Bild
einer großen Domänenverwaltung dar und hat einen durchaus agrarischen
Charakter. Doch schon zeigen sich die Anfänge einer freieren Entwicklung der
Gewerbe und die ersten Spuren eines volkswirthschaftltchen Lebens in den
Märkten, welche im Schatten der bischöflichen Kirchen und bei Anlaß großer
gottesdienstlicher Feste entstehen und Handel und Wandel hervorrufen.

Einen mächtigen Antrieb zu neuer Gewerbthätigkeit gaben die Kreuz-
Züge und die Römerfahrten. Neue Bahnen eröffneten sich durch die¬
selben für den Handel; das Rheinthal wird eine Hauptader für den neuen
Verkehr; Köln für den Niederrhein, Straß bürg für den Oberrhein werden
Haupthandelsplätze; die Bedürfnisse aller Art werden größer, die Bevölkerung
wächst und allmählich vollzieht sich auch in der innern Verwaltung und in der
Verfassung der Städte, speciell aber in Straßburg, ein völliger Umschwung.

Die Gewerbe durchbrechen ihre Fesseln; nicht mehr ausschließlich für des
Bischofs Leute, auch für den großen Markt des Lebens arbeitet der Hand¬
werker. Ein neuer Stand entsteht, der das Mittelglied zwischen den Dienern
des Krummstabs und dem Volke bildet, es ist der Kaufmannsstand, dem sich
die übrigen Gewerbetreibenden anschließen. Sie bilden ein neues Element in
der Bevölkerung, das sich durch Intelligenz, Weltkenntniß und Wohlhabenheit
auszeichnet. Das ist die eine Seite der Umgestaltung, die Volkswirth-
schaftliche; die andere ist mehr politischer Art; des Bischofs Diener und
Ministerialen kommen allmählich zur Erkenntniß, daß die Naturalleistungen
durch Geldsteuern ersetzt werden müssen, indem die Physiognomie der Stadt
sich völlig verändert habe und ganz neue Elemente der Bevölkerung zu den
Ackerleuten hinzugekommen sind. Ihre eigenen Interessen treiben sie immer
mehr der Bürgerschaft zu, aus bischöflichen Ministerialen werden sie allmählich
städtische consiliarii, die zwischen Stadt und Bischof vermitteln und auch die
Häupter der Bürger, iMZistri civium, in ihren Rath ziehen. So entsteht
allmählich, durch die Verhältnisse hervorgerufen, ein Stadtrath, um das Jahr
1200; 1214 erkennt Kaiser Friedrich II. denselben, unter der Zustimmung
des Bischofs und 1219 unbedingt an. Die Bischöfe fügten sich in der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in die neuen Zustände und verschafften
den Bürgern manche Erleichterung, wie die Beschränkung der lästigen Wein¬
steuer. Neue Stadtrechte entstehen, 1214 und 1244, die den Bürgern immer
größere Zugeständnisse einräumen. Eine Reaction aber konnte nicht aus¬
bleiben ; der energische und leidenschaftliche Bischof WalthervonGeroldseck
wollte sein altes Recht wieder behaupten und den früheren Zustand der Dinge
wieder herbeiführen. Es kam zum blutigen Kampfe und in der Schlacht von
Hausbergen. 1263, erlangten die Bürger nach heißem Ringen, was sie
schon vorher auf friedlichem Wege erstrebt hatten. Vom Jahre 1300 an


gewissenhaft erfüllt wurden. So bietet denn das ältere Straßburg das Bild
einer großen Domänenverwaltung dar und hat einen durchaus agrarischen
Charakter. Doch schon zeigen sich die Anfänge einer freieren Entwicklung der
Gewerbe und die ersten Spuren eines volkswirthschaftltchen Lebens in den
Märkten, welche im Schatten der bischöflichen Kirchen und bei Anlaß großer
gottesdienstlicher Feste entstehen und Handel und Wandel hervorrufen.

Einen mächtigen Antrieb zu neuer Gewerbthätigkeit gaben die Kreuz-
Züge und die Römerfahrten. Neue Bahnen eröffneten sich durch die¬
selben für den Handel; das Rheinthal wird eine Hauptader für den neuen
Verkehr; Köln für den Niederrhein, Straß bürg für den Oberrhein werden
Haupthandelsplätze; die Bedürfnisse aller Art werden größer, die Bevölkerung
wächst und allmählich vollzieht sich auch in der innern Verwaltung und in der
Verfassung der Städte, speciell aber in Straßburg, ein völliger Umschwung.

Die Gewerbe durchbrechen ihre Fesseln; nicht mehr ausschließlich für des
Bischofs Leute, auch für den großen Markt des Lebens arbeitet der Hand¬
werker. Ein neuer Stand entsteht, der das Mittelglied zwischen den Dienern
des Krummstabs und dem Volke bildet, es ist der Kaufmannsstand, dem sich
die übrigen Gewerbetreibenden anschließen. Sie bilden ein neues Element in
der Bevölkerung, das sich durch Intelligenz, Weltkenntniß und Wohlhabenheit
auszeichnet. Das ist die eine Seite der Umgestaltung, die Volkswirth-
schaftliche; die andere ist mehr politischer Art; des Bischofs Diener und
Ministerialen kommen allmählich zur Erkenntniß, daß die Naturalleistungen
durch Geldsteuern ersetzt werden müssen, indem die Physiognomie der Stadt
sich völlig verändert habe und ganz neue Elemente der Bevölkerung zu den
Ackerleuten hinzugekommen sind. Ihre eigenen Interessen treiben sie immer
mehr der Bürgerschaft zu, aus bischöflichen Ministerialen werden sie allmählich
städtische consiliarii, die zwischen Stadt und Bischof vermitteln und auch die
Häupter der Bürger, iMZistri civium, in ihren Rath ziehen. So entsteht
allmählich, durch die Verhältnisse hervorgerufen, ein Stadtrath, um das Jahr
1200; 1214 erkennt Kaiser Friedrich II. denselben, unter der Zustimmung
des Bischofs und 1219 unbedingt an. Die Bischöfe fügten sich in der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in die neuen Zustände und verschafften
den Bürgern manche Erleichterung, wie die Beschränkung der lästigen Wein¬
steuer. Neue Stadtrechte entstehen, 1214 und 1244, die den Bürgern immer
größere Zugeständnisse einräumen. Eine Reaction aber konnte nicht aus¬
bleiben ; der energische und leidenschaftliche Bischof WalthervonGeroldseck
wollte sein altes Recht wieder behaupten und den früheren Zustand der Dinge
wieder herbeiführen. Es kam zum blutigen Kampfe und in der Schlacht von
Hausbergen. 1263, erlangten die Bürger nach heißem Ringen, was sie
schon vorher auf friedlichem Wege erstrebt hatten. Vom Jahre 1300 an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/47>, abgerufen am 15.05.2024.