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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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"Vielleicht", faselt der Verfasser weiter, "wird Preuszen nächstens oder
auch später noch einige Küstenländer erobern, entweder durch Waffengewalt
oder -- anders, das weiß nur Gott und der Reichskanzler; vielleicht gelingt
es ihm dereinst, unter den Matrosen des bereits annectirten Hannover und
Oldenburg(i) Sinn für den preußischen Seedienst zu erwecken -- vorläufig
wandern dieselben in Masse aus." (Vermuthlich gehen sie "mers le LleL^pig
et. 1s Holstein" nach jener "Seeveste Rendsburg", die im erstes Abschnitt
die linke Seitendeckung von Friedrichsort bildet.) "Vielleicht wird der Haß
gegen Frankreich, obwohl derselbe doch nachgerade übersättigt sein sollte,
diesen Seeleuten des deutschen Reiches Sympathie für den Kriegsdienst ein¬
flößen. So wenig Zeit aber diese Verwandlung in Anspruch nehmen wird,
der Zeit bedarf dieselbe immerhin, und die Marine Preußens hat diese Probe
noch nicht bestanden. Die fieberhafte Thätigkeit, welche die Regierung bet
den Arbeiten der Flotte zeigt, beweist übrigens, daß sie nicht gesonnen ist,
lange zu feiern. Noch ist ihr Werk nicht beendet, und bereits hat sie sich
verabredet, mit den Russen zusammen eine Erpedition gegen die chinesischen
Seeräuber zu unternehmen." (Ist bekanntlich erfolgreich beendet.) "Die Aus¬
wanderung hat den deutschen Interessen einen weiten Spielraum jenseits
des Oceans eröffnet, besonders in den Vereinigten Staaten und Brasilien,
"der noch hat Preußen keine Gelegenheit gefunden, seine Vormundschaft
ihnen aufzudrängen. Die Mehrzahl jener Auswanderer verzichtet auf ihr
Heimathsrecht, und außerdem sind sie zahlreich genug, sich selbst zu schützen.
Die deutsche Auswanderung beträgt mehr als drei Millionen Köpfe und
gewinnt besonders in den westlichen Staaten immer mehr Terrain.*) Die
deutschen Journale reichen bereits bis Ohio, Wisconsin, Michigan, Mis¬
souri, Illinois, Jndiana und -- einige andere Staaten." Aber lieber
Herr Merruau, sind denn das lauter entlaufene Matrosen der deutschen
Flotte, welche da drüben auf Zeitungen abonniren? Sie stellen es wenigstens
so dar. Ich habe nie bemerkt, daß unsere Blaujacken so eifrige Zeitungs-
leser sind, aber Sie wissen das natürlich besser: das kommt daher, daß sie
^ner so jungen Flotte angehören, die noch "in den Windeln liegt"; darum
sind ihre Deserteure so lernbegierig! "In Brasilien ist die deutsche Ein¬
wanderung gleichfalls beträchtlich, und die dortige Regierung macht alle
Anstrengungen, um durch sie die Bevölkerung zu mehren." Ganz recht, lieber
Erbfeind, man legt aber jetzt in Deutschland den brasilianischen Bauernfängern
ebenso das Handwerk, als den französischen Hallunken im Elsaß. "Brasilien
dder mag sich trotz alledem vorsehen, daß Deutschland nicht irgend einen



') Ueber Amsterdam allein sind im Jahre 1875 53.2V8 Auswanderer zurückgekehrt, und
^me Woche vergeht, ohne neue Züge von Amerika-Müden zu annouciren.
Grenzboten IV. 1"7<i. 58

„Vielleicht", faselt der Verfasser weiter, „wird Preuszen nächstens oder
auch später noch einige Küstenländer erobern, entweder durch Waffengewalt
oder — anders, das weiß nur Gott und der Reichskanzler; vielleicht gelingt
es ihm dereinst, unter den Matrosen des bereits annectirten Hannover und
Oldenburg(i) Sinn für den preußischen Seedienst zu erwecken — vorläufig
wandern dieselben in Masse aus." (Vermuthlich gehen sie „mers le LleL^pig
et. 1s Holstein" nach jener „Seeveste Rendsburg", die im erstes Abschnitt
die linke Seitendeckung von Friedrichsort bildet.) „Vielleicht wird der Haß
gegen Frankreich, obwohl derselbe doch nachgerade übersättigt sein sollte,
diesen Seeleuten des deutschen Reiches Sympathie für den Kriegsdienst ein¬
flößen. So wenig Zeit aber diese Verwandlung in Anspruch nehmen wird,
der Zeit bedarf dieselbe immerhin, und die Marine Preußens hat diese Probe
noch nicht bestanden. Die fieberhafte Thätigkeit, welche die Regierung bet
den Arbeiten der Flotte zeigt, beweist übrigens, daß sie nicht gesonnen ist,
lange zu feiern. Noch ist ihr Werk nicht beendet, und bereits hat sie sich
verabredet, mit den Russen zusammen eine Erpedition gegen die chinesischen
Seeräuber zu unternehmen." (Ist bekanntlich erfolgreich beendet.) „Die Aus¬
wanderung hat den deutschen Interessen einen weiten Spielraum jenseits
des Oceans eröffnet, besonders in den Vereinigten Staaten und Brasilien,
«der noch hat Preußen keine Gelegenheit gefunden, seine Vormundschaft
ihnen aufzudrängen. Die Mehrzahl jener Auswanderer verzichtet auf ihr
Heimathsrecht, und außerdem sind sie zahlreich genug, sich selbst zu schützen.
Die deutsche Auswanderung beträgt mehr als drei Millionen Köpfe und
gewinnt besonders in den westlichen Staaten immer mehr Terrain.*) Die
deutschen Journale reichen bereits bis Ohio, Wisconsin, Michigan, Mis¬
souri, Illinois, Jndiana und — einige andere Staaten." Aber lieber
Herr Merruau, sind denn das lauter entlaufene Matrosen der deutschen
Flotte, welche da drüben auf Zeitungen abonniren? Sie stellen es wenigstens
so dar. Ich habe nie bemerkt, daß unsere Blaujacken so eifrige Zeitungs-
leser sind, aber Sie wissen das natürlich besser: das kommt daher, daß sie
^ner so jungen Flotte angehören, die noch „in den Windeln liegt"; darum
sind ihre Deserteure so lernbegierig! „In Brasilien ist die deutsche Ein¬
wanderung gleichfalls beträchtlich, und die dortige Regierung macht alle
Anstrengungen, um durch sie die Bevölkerung zu mehren." Ganz recht, lieber
Erbfeind, man legt aber jetzt in Deutschland den brasilianischen Bauernfängern
ebenso das Handwerk, als den französischen Hallunken im Elsaß. „Brasilien
dder mag sich trotz alledem vorsehen, daß Deutschland nicht irgend einen



') Ueber Amsterdam allein sind im Jahre 1875 53.2V8 Auswanderer zurückgekehrt, und
^me Woche vergeht, ohne neue Züge von Amerika-Müden zu annouciren.
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[0461] „Vielleicht", faselt der Verfasser weiter, „wird Preuszen nächstens oder auch später noch einige Küstenländer erobern, entweder durch Waffengewalt oder — anders, das weiß nur Gott und der Reichskanzler; vielleicht gelingt es ihm dereinst, unter den Matrosen des bereits annectirten Hannover und Oldenburg(i) Sinn für den preußischen Seedienst zu erwecken — vorläufig wandern dieselben in Masse aus." (Vermuthlich gehen sie „mers le LleL^pig et. 1s Holstein" nach jener „Seeveste Rendsburg", die im erstes Abschnitt die linke Seitendeckung von Friedrichsort bildet.) „Vielleicht wird der Haß gegen Frankreich, obwohl derselbe doch nachgerade übersättigt sein sollte, diesen Seeleuten des deutschen Reiches Sympathie für den Kriegsdienst ein¬ flößen. So wenig Zeit aber diese Verwandlung in Anspruch nehmen wird, der Zeit bedarf dieselbe immerhin, und die Marine Preußens hat diese Probe noch nicht bestanden. Die fieberhafte Thätigkeit, welche die Regierung bet den Arbeiten der Flotte zeigt, beweist übrigens, daß sie nicht gesonnen ist, lange zu feiern. Noch ist ihr Werk nicht beendet, und bereits hat sie sich verabredet, mit den Russen zusammen eine Erpedition gegen die chinesischen Seeräuber zu unternehmen." (Ist bekanntlich erfolgreich beendet.) „Die Aus¬ wanderung hat den deutschen Interessen einen weiten Spielraum jenseits des Oceans eröffnet, besonders in den Vereinigten Staaten und Brasilien, «der noch hat Preußen keine Gelegenheit gefunden, seine Vormundschaft ihnen aufzudrängen. Die Mehrzahl jener Auswanderer verzichtet auf ihr Heimathsrecht, und außerdem sind sie zahlreich genug, sich selbst zu schützen. Die deutsche Auswanderung beträgt mehr als drei Millionen Köpfe und gewinnt besonders in den westlichen Staaten immer mehr Terrain.*) Die deutschen Journale reichen bereits bis Ohio, Wisconsin, Michigan, Mis¬ souri, Illinois, Jndiana und — einige andere Staaten." Aber lieber Herr Merruau, sind denn das lauter entlaufene Matrosen der deutschen Flotte, welche da drüben auf Zeitungen abonniren? Sie stellen es wenigstens so dar. Ich habe nie bemerkt, daß unsere Blaujacken so eifrige Zeitungs- leser sind, aber Sie wissen das natürlich besser: das kommt daher, daß sie ^ner so jungen Flotte angehören, die noch „in den Windeln liegt"; darum sind ihre Deserteure so lernbegierig! „In Brasilien ist die deutsche Ein¬ wanderung gleichfalls beträchtlich, und die dortige Regierung macht alle Anstrengungen, um durch sie die Bevölkerung zu mehren." Ganz recht, lieber Erbfeind, man legt aber jetzt in Deutschland den brasilianischen Bauernfängern ebenso das Handwerk, als den französischen Hallunken im Elsaß. „Brasilien dder mag sich trotz alledem vorsehen, daß Deutschland nicht irgend einen ') Ueber Amsterdam allein sind im Jahre 1875 53.2V8 Auswanderer zurückgekehrt, und ^me Woche vergeht, ohne neue Züge von Amerika-Müden zu annouciren. Grenzboten IV. 1«7<i. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/461>, abgerufen am 04.06.2024.