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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Vorwand zur Intervention sich heraussucht. Schwerer dürfte ihm dies schon
in China gelingen, wo das ganze Deutschland nur durch Genfer Uhren-
hausirer repräsentirt wird." Gott sei Dank, Paulchen, da sind Sie wieder
Sie Selbst! Der düstere, wenn auch unvergleichliche Scharfsinn, mit dem Sie
die schwache Seite der preußischen Flotte und Regierung ausgespürt hatten,
machte mir bereits Grauen. Sie haben entdeckt, wenn auch Ihr Adlerblick
verdunkelt ist -- von den aufsteigenden Thränen patriotischer Wuth -->. daß
entlaufene deutsche Matrosen in der Anzahl von drei Millionen, als Zeitungsleser
verkleidet, in den Vereinigten Staaten sich niedergelassen haben, daß Brasilien
alle Ursache hat, nächstens eine Invasion sämmtlicher berliner "Äppelkähne"
aus dem Amazonenstrom zu befürchten. Gut, sei es, wir sind erkannt! Und
scheu senken wir den Blick zur Erde, aber diese heitere chinesische Episode
richtet uns auf: Also Deutschland wird in China repräsentirt nur durch
"eourtiers en montres als 6euöv(z!" Sehen Sie, das ist ja allerliebst; wenn
Sie dann nach einigen Jahren, als getreuer Unterthan Badinguet II., der
dann den Thron seiner "Väter" wohl inne haben wird, wieder eine glorreiche
Expedition gegen die wehrlosen Chinesen mit unsterblichem Ruhm unter¬
nehmen, dann werden Sie dort genfer "Pendulen" in den chinesischen Palästen
zum Stehlen vorfinden! Und dies danken Sie dann den "Genseruhren-
Händlern, die allein Deutschland in China repräsentiren" ! --

Der Rest des Aufsatzes tadelt die deutschen Einrichtungen in Bezug auf
Ausbildung der Flvttenmannschaften und Officiere; es werden nach der An¬
sicht Merruau's zuviel Examina verlangt, dazu desertiren von Bremen aus
zuviel Seeleute, und zwar weil sie sich nicht Grundstücke kaufen können etc.
Klassisch in seiner fabelhaften Trivialität ist der Schlußsatz des Opus, in
dem Merruau von der Höhe seiner Erfahrung herab dem preußischen Staat
folgenden Rath ertheilt. "Wenn Preußen eine Marine haben will, so möge
es Geduld haben, und die Resultate nur von einer guten Organisation er¬
warten, denn eine Marine läßt sich nicht improvisiren. Wenn übrigens
Preußen keinen hinterlistigen Eroberungszug projectirt, so hat es keinen
Grund sich zu beeilen, der Friede allein kann ihm nützen."

Damit wollen wir Abschied nehmen von unserem ernsthaften Komiker.
Es scheint immer noch in Frankreich hinreichend zu sein, auf Preußen zu
schimpfen, um hierdurch Einlaß selbst in gewählte geistige Kreise zu erhalten,
welche früher nur einem geistreichen Manne sich öffneten.


von Clausewitz.
Hauptmann a. D.


Vorwand zur Intervention sich heraussucht. Schwerer dürfte ihm dies schon
in China gelingen, wo das ganze Deutschland nur durch Genfer Uhren-
hausirer repräsentirt wird." Gott sei Dank, Paulchen, da sind Sie wieder
Sie Selbst! Der düstere, wenn auch unvergleichliche Scharfsinn, mit dem Sie
die schwache Seite der preußischen Flotte und Regierung ausgespürt hatten,
machte mir bereits Grauen. Sie haben entdeckt, wenn auch Ihr Adlerblick
verdunkelt ist — von den aufsteigenden Thränen patriotischer Wuth —>. daß
entlaufene deutsche Matrosen in der Anzahl von drei Millionen, als Zeitungsleser
verkleidet, in den Vereinigten Staaten sich niedergelassen haben, daß Brasilien
alle Ursache hat, nächstens eine Invasion sämmtlicher berliner „Äppelkähne"
aus dem Amazonenstrom zu befürchten. Gut, sei es, wir sind erkannt! Und
scheu senken wir den Blick zur Erde, aber diese heitere chinesische Episode
richtet uns auf: Also Deutschland wird in China repräsentirt nur durch
„eourtiers en montres als 6euöv(z!" Sehen Sie, das ist ja allerliebst; wenn
Sie dann nach einigen Jahren, als getreuer Unterthan Badinguet II., der
dann den Thron seiner „Väter" wohl inne haben wird, wieder eine glorreiche
Expedition gegen die wehrlosen Chinesen mit unsterblichem Ruhm unter¬
nehmen, dann werden Sie dort genfer „Pendulen" in den chinesischen Palästen
zum Stehlen vorfinden! Und dies danken Sie dann den „Genseruhren-
Händlern, die allein Deutschland in China repräsentiren" ! —

Der Rest des Aufsatzes tadelt die deutschen Einrichtungen in Bezug auf
Ausbildung der Flvttenmannschaften und Officiere; es werden nach der An¬
sicht Merruau's zuviel Examina verlangt, dazu desertiren von Bremen aus
zuviel Seeleute, und zwar weil sie sich nicht Grundstücke kaufen können etc.
Klassisch in seiner fabelhaften Trivialität ist der Schlußsatz des Opus, in
dem Merruau von der Höhe seiner Erfahrung herab dem preußischen Staat
folgenden Rath ertheilt. „Wenn Preußen eine Marine haben will, so möge
es Geduld haben, und die Resultate nur von einer guten Organisation er¬
warten, denn eine Marine läßt sich nicht improvisiren. Wenn übrigens
Preußen keinen hinterlistigen Eroberungszug projectirt, so hat es keinen
Grund sich zu beeilen, der Friede allein kann ihm nützen."

Damit wollen wir Abschied nehmen von unserem ernsthaften Komiker.
Es scheint immer noch in Frankreich hinreichend zu sein, auf Preußen zu
schimpfen, um hierdurch Einlaß selbst in gewählte geistige Kreise zu erhalten,
welche früher nur einem geistreichen Manne sich öffneten.


von Clausewitz.
Hauptmann a. D.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/462>, abgerufen am 15.05.2024.