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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Selbstvertrauen der bürgerlichen Elemente, die nun gleichfalls Sitz und
Stimme im Rath begehrten. Dazu kamen noch manche Mißbräuche, welche die
Patrizier sich nach und nach zu Schulden kommen ließen. Sie wurden stolz und
übermüthig, verfielen immer mehr, wie der Landadel, in Raufereien und zeit¬
raubende Ritter- und Turniersptele, vernachlässigten der Stadt Wohl, ja
neckten und quälten vielfach Bürger und Handwerker, wie die alten Chro¬
nisten Closener und Königshoven berichten. Größere Unzufriedenheit
erregte auch der Umstand, daß die Constoster immer herrischer und parteiischer
wurden und daß in Straßburg Niemand mehr ohne Bestechung der Richter
zu seinem guten Rechte kommen konnte. Andere Ursachen kamen noch da¬
zu, so die Wucherzinse, welche die Juden nahmen und die den kleinen Mann
völlig zu Grunde richteten und die religiösen und politischen Bewegungen
und Zeitereignisse. Ist doch die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts die Zeit
der Geißler und Mystiker gewesen; trat doch der Gegensatz der päpstlichen
und weltlichen Gewalt zwischen Friedrich von Oesterreich und Ludwig dem
Bayer gerade damals recht grell hervor. Wie im ganzen Reiche, so gab es
auch in jeder Reichsstadt zwei Parteien; während Bischöfe, Domherren und
Patrizier welfisch gesinnt waren, so war die Loosung der Bürger und Hand¬
werker: Hie Waldungen! In Straßburg kam zu diesen socialen und volks-
wirthschaftlichen Ursachen, welche die Revolution von 1332 vorbereiteten und
erklären, noch ein Umstand hinzu: die Constofler waren uneins unter sich; die
Zorn und Mülnhein, die beiden Hauptadelsgeschlechter der Stadt vertrugen
sich so wenig mit einander, daß der Rath am Rathhause, aus dem Martinsplatz,
zwei verschiedene Ausgänge hatte müssen machen lassen, um dem Unfrieden
zu wehren; die Zunftgenossen hingegen waren einig und standen alle für
einen. Der Anlaß zum Siege des demokratischen Elementes über das aristo¬
kratische war in Straßburg ein ganz zufälliger. In einem lustigen Gelage
in der adeligen Trinkstube der Zorn, im Ochsensteinischen Hof. bricht zwischen
tzü beiden Patrizierparteien Streit aus; derselbe nimmt solche Dimensionen
an, daß die Handwerker mit bewaffneter Hand einschreiten und die Gewalt
an sich bringen. Solches geschah im Jahre 1332 und durch diese Revolution
wurde der Grund zur neuen Verfassung der Stadt Straßburg gelegt. Von
nun an sind die Zünfte durch ihre Schöffen und Vertrauensmänner im
Rathe vertreten; an der Spitze desselben steht jetzt der Ammanm eist er,
das Haupt der Anhaltende, also ein Plebejer, die adeligen Stallmeister
stehen unter -ihm. Doch sind die Constofler aus dem Stadtregiment nicht
ausgeschlossen; ein Drittheil der Stellen kommt ihnen von Rechtswegen zu.
Ein Factor ist in der socialen und politischen Revolution Straßburgs im
Jahre 1332 nicht zu überzusehen, das ist die militärische Tüchtigkeit der
Handwerker. Schon im Jahre 1263 hatten sie davon in der blutigen Schlacht


Selbstvertrauen der bürgerlichen Elemente, die nun gleichfalls Sitz und
Stimme im Rath begehrten. Dazu kamen noch manche Mißbräuche, welche die
Patrizier sich nach und nach zu Schulden kommen ließen. Sie wurden stolz und
übermüthig, verfielen immer mehr, wie der Landadel, in Raufereien und zeit¬
raubende Ritter- und Turniersptele, vernachlässigten der Stadt Wohl, ja
neckten und quälten vielfach Bürger und Handwerker, wie die alten Chro¬
nisten Closener und Königshoven berichten. Größere Unzufriedenheit
erregte auch der Umstand, daß die Constoster immer herrischer und parteiischer
wurden und daß in Straßburg Niemand mehr ohne Bestechung der Richter
zu seinem guten Rechte kommen konnte. Andere Ursachen kamen noch da¬
zu, so die Wucherzinse, welche die Juden nahmen und die den kleinen Mann
völlig zu Grunde richteten und die religiösen und politischen Bewegungen
und Zeitereignisse. Ist doch die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts die Zeit
der Geißler und Mystiker gewesen; trat doch der Gegensatz der päpstlichen
und weltlichen Gewalt zwischen Friedrich von Oesterreich und Ludwig dem
Bayer gerade damals recht grell hervor. Wie im ganzen Reiche, so gab es
auch in jeder Reichsstadt zwei Parteien; während Bischöfe, Domherren und
Patrizier welfisch gesinnt waren, so war die Loosung der Bürger und Hand¬
werker: Hie Waldungen! In Straßburg kam zu diesen socialen und volks-
wirthschaftlichen Ursachen, welche die Revolution von 1332 vorbereiteten und
erklären, noch ein Umstand hinzu: die Constofler waren uneins unter sich; die
Zorn und Mülnhein, die beiden Hauptadelsgeschlechter der Stadt vertrugen
sich so wenig mit einander, daß der Rath am Rathhause, aus dem Martinsplatz,
zwei verschiedene Ausgänge hatte müssen machen lassen, um dem Unfrieden
zu wehren; die Zunftgenossen hingegen waren einig und standen alle für
einen. Der Anlaß zum Siege des demokratischen Elementes über das aristo¬
kratische war in Straßburg ein ganz zufälliger. In einem lustigen Gelage
in der adeligen Trinkstube der Zorn, im Ochsensteinischen Hof. bricht zwischen
tzü beiden Patrizierparteien Streit aus; derselbe nimmt solche Dimensionen
an, daß die Handwerker mit bewaffneter Hand einschreiten und die Gewalt
an sich bringen. Solches geschah im Jahre 1332 und durch diese Revolution
wurde der Grund zur neuen Verfassung der Stadt Straßburg gelegt. Von
nun an sind die Zünfte durch ihre Schöffen und Vertrauensmänner im
Rathe vertreten; an der Spitze desselben steht jetzt der Ammanm eist er,
das Haupt der Anhaltende, also ein Plebejer, die adeligen Stallmeister
stehen unter -ihm. Doch sind die Constofler aus dem Stadtregiment nicht
ausgeschlossen; ein Drittheil der Stellen kommt ihnen von Rechtswegen zu.
Ein Factor ist in der socialen und politischen Revolution Straßburgs im
Jahre 1332 nicht zu überzusehen, das ist die militärische Tüchtigkeit der
Handwerker. Schon im Jahre 1263 hatten sie davon in der blutigen Schlacht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/50>, abgerufen am 15.05.2024.