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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Karl Heitz im Jahre 1836 unter dem Titel: "Das Zunftwesen in Straßburg.
Geschichtliche Darstellung, begleitet von Urkunden und Ackerstücken," eine
Schrift herausgegeben, die ein reiches urkundliches Material enthält; allein
es war das Zunftwesen der späteren Zeit, das Heitz schilderte, das Zunft¬
wesen, wie es noch wenige Jahre vor der französischen Revolution von 1789
in Straßburg bestand. Der Ursprung und die Gestaltung der Zünfte im
14. und Is. Jahrhundert war aber, für Straßburg wenigstens, so viel wie
unbekannt. Die gediegene Abhandlung, die wir anzeigen, ist wiederum eine
Frucht ernster archivalischer Studien und Forschungen; man fühlt es dem
Verfasser nach, daß er keinen Schritt vorwärts thut, ohne daß er festen ge-
schichtlichen Grund und Boden unter sich hat. Nach seiner Ansicht sind zu
Straßburg, wie auch vielfach anderwärts, die Zünfte aus den bischöflichen
Handwerksgenossenschaften hervorgegangen, und zwar in dem für dieselben
wichtigen Zeitraum von 1130 bis 1300. Zuerst bildeten sich Schwurgenossen¬
schaften und Einungen (eonkr-iternitaetM), die mehr gewerblicher als poli¬
tischer Natur waren. Als dieselben aber das Gewerbegericht und die
Gewerbepolizei an sich zogen und eine Gerichtsbarkeit ausübten, so
bildeten sie eine Corporation, eine Theilgemeinde, die auch an den städtischen
Rathsangelegenheiten sich betheiligte. An der Spitze der Zünfte standen zu¬
erst, ihrem Ursprünge gemäß, bischöfliche Ministerialen oder Patrizier; mit
der Zeit ersetzten dieselben Zunftmeister bürgerlicher Abkunft. Als eine ge¬
werbliche und politische Genossenschaft erscheint uns die Zunft zu Anfang des
16. Jahrhunderts; ihr Wirkungskreis erweitert sich noch in der Folge; es
kommt zu Reibungen Mit dem Adel, der ehemaligen bischöflichen und könig¬
lichen Ministerialität, und da in den gewaltigen Reichskämpfen Bürger und
Zünfte auf kaiserlicher, Bischöfe und Clerus auf päpstlicher Seite stehen, so
spiegelt sich in den Zunftkämpfen im Kleinen der große Kampf der Nation
in damaliger Zeit getreulich ab.

Neben dein gewerbetreibenden Theil der Straßburger Bevölkerung, ^der
später in selbständigen Zünften sich organisirte, finden wir dort ein Patrizmt,
das meist aus Adeligen und reich gewordenen Kaufleuten bestand und den
eigenthümlichen Namen Constofler, eovstabulai-ii, von dem Dienste zu
Pferde führte. Die Constofler waren auch als Genossenschaften constituirt;
sie bekleideten die Ehrenämter in der Stadt, saßen im Rath, versahen den
Wachdienst, trieben die Steuern ein und lebten zuerst in friedlichem Einver¬
nehmen mit der Bürgerschaft. Aus der bischöflichen Ministerialität waren
sie zumeist hervorgegangen und bildeten in Straßburg das aristokratische
Element, das im Besitz der Gewalt war. Um das Jahr 1300 jedoch regt
sich das Selbstgefühl der Handwerker; mit der eigenen Gerichtsbarkeit und'
dem selbständigen Verwaltungsrecht, das jede Zunft besaß, wuchs auch das


Karl Heitz im Jahre 1836 unter dem Titel: „Das Zunftwesen in Straßburg.
Geschichtliche Darstellung, begleitet von Urkunden und Ackerstücken," eine
Schrift herausgegeben, die ein reiches urkundliches Material enthält; allein
es war das Zunftwesen der späteren Zeit, das Heitz schilderte, das Zunft¬
wesen, wie es noch wenige Jahre vor der französischen Revolution von 1789
in Straßburg bestand. Der Ursprung und die Gestaltung der Zünfte im
14. und Is. Jahrhundert war aber, für Straßburg wenigstens, so viel wie
unbekannt. Die gediegene Abhandlung, die wir anzeigen, ist wiederum eine
Frucht ernster archivalischer Studien und Forschungen; man fühlt es dem
Verfasser nach, daß er keinen Schritt vorwärts thut, ohne daß er festen ge-
schichtlichen Grund und Boden unter sich hat. Nach seiner Ansicht sind zu
Straßburg, wie auch vielfach anderwärts, die Zünfte aus den bischöflichen
Handwerksgenossenschaften hervorgegangen, und zwar in dem für dieselben
wichtigen Zeitraum von 1130 bis 1300. Zuerst bildeten sich Schwurgenossen¬
schaften und Einungen (eonkr-iternitaetM), die mehr gewerblicher als poli¬
tischer Natur waren. Als dieselben aber das Gewerbegericht und die
Gewerbepolizei an sich zogen und eine Gerichtsbarkeit ausübten, so
bildeten sie eine Corporation, eine Theilgemeinde, die auch an den städtischen
Rathsangelegenheiten sich betheiligte. An der Spitze der Zünfte standen zu¬
erst, ihrem Ursprünge gemäß, bischöfliche Ministerialen oder Patrizier; mit
der Zeit ersetzten dieselben Zunftmeister bürgerlicher Abkunft. Als eine ge¬
werbliche und politische Genossenschaft erscheint uns die Zunft zu Anfang des
16. Jahrhunderts; ihr Wirkungskreis erweitert sich noch in der Folge; es
kommt zu Reibungen Mit dem Adel, der ehemaligen bischöflichen und könig¬
lichen Ministerialität, und da in den gewaltigen Reichskämpfen Bürger und
Zünfte auf kaiserlicher, Bischöfe und Clerus auf päpstlicher Seite stehen, so
spiegelt sich in den Zunftkämpfen im Kleinen der große Kampf der Nation
in damaliger Zeit getreulich ab.

Neben dein gewerbetreibenden Theil der Straßburger Bevölkerung, ^der
später in selbständigen Zünften sich organisirte, finden wir dort ein Patrizmt,
das meist aus Adeligen und reich gewordenen Kaufleuten bestand und den
eigenthümlichen Namen Constofler, eovstabulai-ii, von dem Dienste zu
Pferde führte. Die Constofler waren auch als Genossenschaften constituirt;
sie bekleideten die Ehrenämter in der Stadt, saßen im Rath, versahen den
Wachdienst, trieben die Steuern ein und lebten zuerst in friedlichem Einver¬
nehmen mit der Bürgerschaft. Aus der bischöflichen Ministerialität waren
sie zumeist hervorgegangen und bildeten in Straßburg das aristokratische
Element, das im Besitz der Gewalt war. Um das Jahr 1300 jedoch regt
sich das Selbstgefühl der Handwerker; mit der eigenen Gerichtsbarkeit und'
dem selbständigen Verwaltungsrecht, das jede Zunft besaß, wuchs auch das


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[0049] Karl Heitz im Jahre 1836 unter dem Titel: „Das Zunftwesen in Straßburg. Geschichtliche Darstellung, begleitet von Urkunden und Ackerstücken," eine Schrift herausgegeben, die ein reiches urkundliches Material enthält; allein es war das Zunftwesen der späteren Zeit, das Heitz schilderte, das Zunft¬ wesen, wie es noch wenige Jahre vor der französischen Revolution von 1789 in Straßburg bestand. Der Ursprung und die Gestaltung der Zünfte im 14. und Is. Jahrhundert war aber, für Straßburg wenigstens, so viel wie unbekannt. Die gediegene Abhandlung, die wir anzeigen, ist wiederum eine Frucht ernster archivalischer Studien und Forschungen; man fühlt es dem Verfasser nach, daß er keinen Schritt vorwärts thut, ohne daß er festen ge- schichtlichen Grund und Boden unter sich hat. Nach seiner Ansicht sind zu Straßburg, wie auch vielfach anderwärts, die Zünfte aus den bischöflichen Handwerksgenossenschaften hervorgegangen, und zwar in dem für dieselben wichtigen Zeitraum von 1130 bis 1300. Zuerst bildeten sich Schwurgenossen¬ schaften und Einungen (eonkr-iternitaetM), die mehr gewerblicher als poli¬ tischer Natur waren. Als dieselben aber das Gewerbegericht und die Gewerbepolizei an sich zogen und eine Gerichtsbarkeit ausübten, so bildeten sie eine Corporation, eine Theilgemeinde, die auch an den städtischen Rathsangelegenheiten sich betheiligte. An der Spitze der Zünfte standen zu¬ erst, ihrem Ursprünge gemäß, bischöfliche Ministerialen oder Patrizier; mit der Zeit ersetzten dieselben Zunftmeister bürgerlicher Abkunft. Als eine ge¬ werbliche und politische Genossenschaft erscheint uns die Zunft zu Anfang des 16. Jahrhunderts; ihr Wirkungskreis erweitert sich noch in der Folge; es kommt zu Reibungen Mit dem Adel, der ehemaligen bischöflichen und könig¬ lichen Ministerialität, und da in den gewaltigen Reichskämpfen Bürger und Zünfte auf kaiserlicher, Bischöfe und Clerus auf päpstlicher Seite stehen, so spiegelt sich in den Zunftkämpfen im Kleinen der große Kampf der Nation in damaliger Zeit getreulich ab. Neben dein gewerbetreibenden Theil der Straßburger Bevölkerung, ^der später in selbständigen Zünften sich organisirte, finden wir dort ein Patrizmt, das meist aus Adeligen und reich gewordenen Kaufleuten bestand und den eigenthümlichen Namen Constofler, eovstabulai-ii, von dem Dienste zu Pferde führte. Die Constofler waren auch als Genossenschaften constituirt; sie bekleideten die Ehrenämter in der Stadt, saßen im Rath, versahen den Wachdienst, trieben die Steuern ein und lebten zuerst in friedlichem Einver¬ nehmen mit der Bürgerschaft. Aus der bischöflichen Ministerialität waren sie zumeist hervorgegangen und bildeten in Straßburg das aristokratische Element, das im Besitz der Gewalt war. Um das Jahr 1300 jedoch regt sich das Selbstgefühl der Handwerker; mit der eigenen Gerichtsbarkeit und' dem selbständigen Verwaltungsrecht, das jede Zunft besaß, wuchs auch das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/49>, abgerufen am 15.05.2024.