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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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um die hochwichtige Frage der Grenze zwischen Justiz und Verwaltung, oder
richtiger um die Grenze des öffentlichen Rechts und des Privatrechts. Der
Reichstag will grundsätzlich die Entscheidung den Gerichtshöfen des Privat¬
rechts zuweisen und will eventuell, falls die Landesgesetzgebung die Einsetzung
besonderer Gerichtshöfe vorsieht, die Zusammensetzung derselben an bestimmte
Vorschriften binden. Das wäre ganz gut. wenn man ein Mittel hätte, die
Landesgesetzgebung zu zwingen. Vielleicht ist der Zwiespalt an diesem Punkte
so gelöst worden, daß dem Reich die Competenz für die Einrichtung
der sogenannten Competenzhöfe in irgend einer Weise zugewiesen wird.
-- Alsdann handelt es sich um die Zuständigkeit der Schwurgerichte
für Preßvergehen. Hier scheint die national-liberale Partei nachzugeben,
indem sie sich begnügt, das kostbare Gut der schwurgerichtlichen Zu¬
ständigkeit in Preßsachen für Baiern und Baden zu retten. Gerade dieser
Punkt der Ausdehnung der Schwurgerichte auf Preßsachen ist vom Bundes¬
rathstisch bei der zweiten Lesung sehr schwach bekämpft worden. Man hat
immer betont, daß die Presse das Privilegium der Schwurgerichte nicht be¬
anspruchen könne. Als ob es ein Privilegium und nicht vielmehr eine
Strafe wäre, vor das Schwurgericht zu kommen. Derbe und grundsatzlose
Verurtheilungen würden in Preßsachen hier und da gerade so häufig sein,
wie an anderen Orten und bei anderen Geleg erhellen grundsatzlose und em¬
pörende Freisprechungen. Der Hauptgrund gegen die Zuständigkeit der
Schwurgerichte in Preßsachen ist die völlige Grundsatzlosigkeit und Willkür der
Rechtsprechung, welche die sichere Folge sein würde. Weise Politiker sagen,
daß man nie eine pessimistische Politik befolgen dürfe. Ich glaube, es giebt
Ausnahmen von dieser Regel und die allgemeine Zuständigkeit der Schwur¬
gerichte in Preßsachen wäre das beste Mittel gewesen, die Schwurgerichte los
zu werden. Ihre Anhänger mögen sich bet der Reichsregierung bedanken, daß
sie ihnen durch Abwehr einer Zuständigkeit, die sie nicht überstanden hätten,
das Leben fristet. --

Eine andere wichtige Differenz betrifft den Zeitpunkt, wo die Gerichts¬
verfassung ins Leben treten muß. Die Bestimmung wird aufhören auf
Schwierigkeiten zu stoßen, wenn man der Reichsregierung nicht zumuthet,
vorher andere Gesetze zu vereinbaren, deren Schicksal sie nicht in der Gewalt
hat; z. B. Einrichtung der Competenzhöfe auf dem Wege der Landesgesetz¬
gebung. Ein weiterer Differenzpunkt betrifft das in die Gerichtsverfassung
aufgenommene Bruchstück einer Anwaltsordnung. Es hat nicht das mindeste
Bedenken, dieses Bruchstück fallen zu lassen, da die Reichsregierung die Vor¬
legung einer vollständigen Anwaltsordnung für die nächste Legislatur zuge¬
sagt hat. Endlich kann die Verfolgbarkeit der Staatsbeamten vor den
ordentlichen Gerichten auf Seiten der Reichsregierung zugegeben werden,


um die hochwichtige Frage der Grenze zwischen Justiz und Verwaltung, oder
richtiger um die Grenze des öffentlichen Rechts und des Privatrechts. Der
Reichstag will grundsätzlich die Entscheidung den Gerichtshöfen des Privat¬
rechts zuweisen und will eventuell, falls die Landesgesetzgebung die Einsetzung
besonderer Gerichtshöfe vorsieht, die Zusammensetzung derselben an bestimmte
Vorschriften binden. Das wäre ganz gut. wenn man ein Mittel hätte, die
Landesgesetzgebung zu zwingen. Vielleicht ist der Zwiespalt an diesem Punkte
so gelöst worden, daß dem Reich die Competenz für die Einrichtung
der sogenannten Competenzhöfe in irgend einer Weise zugewiesen wird.
— Alsdann handelt es sich um die Zuständigkeit der Schwurgerichte
für Preßvergehen. Hier scheint die national-liberale Partei nachzugeben,
indem sie sich begnügt, das kostbare Gut der schwurgerichtlichen Zu¬
ständigkeit in Preßsachen für Baiern und Baden zu retten. Gerade dieser
Punkt der Ausdehnung der Schwurgerichte auf Preßsachen ist vom Bundes¬
rathstisch bei der zweiten Lesung sehr schwach bekämpft worden. Man hat
immer betont, daß die Presse das Privilegium der Schwurgerichte nicht be¬
anspruchen könne. Als ob es ein Privilegium und nicht vielmehr eine
Strafe wäre, vor das Schwurgericht zu kommen. Derbe und grundsatzlose
Verurtheilungen würden in Preßsachen hier und da gerade so häufig sein,
wie an anderen Orten und bei anderen Geleg erhellen grundsatzlose und em¬
pörende Freisprechungen. Der Hauptgrund gegen die Zuständigkeit der
Schwurgerichte in Preßsachen ist die völlige Grundsatzlosigkeit und Willkür der
Rechtsprechung, welche die sichere Folge sein würde. Weise Politiker sagen,
daß man nie eine pessimistische Politik befolgen dürfe. Ich glaube, es giebt
Ausnahmen von dieser Regel und die allgemeine Zuständigkeit der Schwur¬
gerichte in Preßsachen wäre das beste Mittel gewesen, die Schwurgerichte los
zu werden. Ihre Anhänger mögen sich bet der Reichsregierung bedanken, daß
sie ihnen durch Abwehr einer Zuständigkeit, die sie nicht überstanden hätten,
das Leben fristet. —

Eine andere wichtige Differenz betrifft den Zeitpunkt, wo die Gerichts¬
verfassung ins Leben treten muß. Die Bestimmung wird aufhören auf
Schwierigkeiten zu stoßen, wenn man der Reichsregierung nicht zumuthet,
vorher andere Gesetze zu vereinbaren, deren Schicksal sie nicht in der Gewalt
hat; z. B. Einrichtung der Competenzhöfe auf dem Wege der Landesgesetz¬
gebung. Ein weiterer Differenzpunkt betrifft das in die Gerichtsverfassung
aufgenommene Bruchstück einer Anwaltsordnung. Es hat nicht das mindeste
Bedenken, dieses Bruchstück fallen zu lassen, da die Reichsregierung die Vor¬
legung einer vollständigen Anwaltsordnung für die nächste Legislatur zuge¬
sagt hat. Endlich kann die Verfolgbarkeit der Staatsbeamten vor den
ordentlichen Gerichten auf Seiten der Reichsregierung zugegeben werden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/520>, abgerufen am 29.05.2024.