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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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oder genauer der Wegfall einer besonderen Genehmigung für diese Verfolg-
barkeit, sobald präcis ausgesprochen wird, daß die Verfolgung nur stattfinden
darf wegen persönlichen Mißbrauchs der Amtsgewalt zu strafbaren Zwecken,
nicht aber wegen Ueberschreitung der streitigen Grenze der Amtsgewalt im
öffentlichen Interesse. Der letztere Punkt gehört vor die Competenzhöfe,

Dies waren die Differenzpunkte bei der Gerichtsverfassung. Die übrigen
Differenzpunkte betreffen die Strafprozeßordnung. Wie es scheint, haben die
Vertrauensmänner der national-liberalen Partei den Zeugnißzwang des Hülfs-
Personals zur Ermittlung des Verfassers eines strafbaren Zeitungsartikels
nachgegeben. Man kann ihnen dazu nur Glück wünschen, denn der entge¬
genstehende Reichstagsbeschluß lief hinaus auf die Einführung einer Ver¬
höhnung der Justiz durch das Institut der Sitzredacteure (? d. Red.). Mit diesem
Institut würde die Ehrenhaftigkeit und Achtbarkeit der Presse an der Wurzel
angegriffen. Man muß entweder für die Presse den Rechtssatz aufstellen, daß
die Ermittelung des Verfassers untersagt ist. Dazu gehört dann Cautions-
stellung und die Geldstrafe als einzige Strafe für Preßvergehen. Will
man aber die Bestrafung des individuellen Urhebers festhalten, wie es das
deutsche Preßgesetz thut*), so darf sie nicht zur unwürdigen Comödie und Ju¬
stizverhöhnung werden, dadurch, daß man erlaubt, als Redacteur einen ent-
laufener Hausknecht oder ein sonstiges untaugliches Subject zu miethen, der
die Strafen absitzt und vor Gericht zeigt, daß er nicht im Stande ist.
eine Zeile von dem zu verstehen, wofür er bestraft wird. Die übrigen Diffe¬
renzpunkte bei der Strafprozeßordnung sind technischer Art. Vielleicht findet
sich noch die Gelegenheit zu zeigen, daß auch bei ihnen das Verlassen der
Reichstagsbeschlüsse ein Gewinn ist, mit Ausnahme der in sehr zweckmäßiger
Gestalt eingeführten, aber zurückgewiesenen Popular-Klage.

Das Zustandekommen der Justizgesetze ist zur hohen Wahrscheinlichkeit
geworden, und darüber sich zu freuen hat jeder Freund des Reiches Ursache.
Die national-liberale Partei wird wieder einmal ihre Pflicht erfüllen und da¬
mit ihren Anspruch aufs neue erhärten, die ausschlaggebende Partei im par¬
V -- r. lamentarischen Leben zu sein.





*) Das deutsche Preßgesetz macht den verantwort!. Redacteur als fingirten Urheber jeden
Artikels haftbar, dessen Verfasser nicht genannt ist, adoptirt also gerade das von unserm
Correspondenten verurtheilte System. Dieser Rechtsvermuthung gegenüber war der Zeugni߬
zwang gegen den Redacteur geradezu ein Unsinn; nicht berechtigter, als wenn man einen An¬
D. Red. geklagten gleichzeitig als Thäter und als Zeugen schrauben wollte.

oder genauer der Wegfall einer besonderen Genehmigung für diese Verfolg-
barkeit, sobald präcis ausgesprochen wird, daß die Verfolgung nur stattfinden
darf wegen persönlichen Mißbrauchs der Amtsgewalt zu strafbaren Zwecken,
nicht aber wegen Ueberschreitung der streitigen Grenze der Amtsgewalt im
öffentlichen Interesse. Der letztere Punkt gehört vor die Competenzhöfe,

Dies waren die Differenzpunkte bei der Gerichtsverfassung. Die übrigen
Differenzpunkte betreffen die Strafprozeßordnung. Wie es scheint, haben die
Vertrauensmänner der national-liberalen Partei den Zeugnißzwang des Hülfs-
Personals zur Ermittlung des Verfassers eines strafbaren Zeitungsartikels
nachgegeben. Man kann ihnen dazu nur Glück wünschen, denn der entge¬
genstehende Reichstagsbeschluß lief hinaus auf die Einführung einer Ver¬
höhnung der Justiz durch das Institut der Sitzredacteure (? d. Red.). Mit diesem
Institut würde die Ehrenhaftigkeit und Achtbarkeit der Presse an der Wurzel
angegriffen. Man muß entweder für die Presse den Rechtssatz aufstellen, daß
die Ermittelung des Verfassers untersagt ist. Dazu gehört dann Cautions-
stellung und die Geldstrafe als einzige Strafe für Preßvergehen. Will
man aber die Bestrafung des individuellen Urhebers festhalten, wie es das
deutsche Preßgesetz thut*), so darf sie nicht zur unwürdigen Comödie und Ju¬
stizverhöhnung werden, dadurch, daß man erlaubt, als Redacteur einen ent-
laufener Hausknecht oder ein sonstiges untaugliches Subject zu miethen, der
die Strafen absitzt und vor Gericht zeigt, daß er nicht im Stande ist.
eine Zeile von dem zu verstehen, wofür er bestraft wird. Die übrigen Diffe¬
renzpunkte bei der Strafprozeßordnung sind technischer Art. Vielleicht findet
sich noch die Gelegenheit zu zeigen, daß auch bei ihnen das Verlassen der
Reichstagsbeschlüsse ein Gewinn ist, mit Ausnahme der in sehr zweckmäßiger
Gestalt eingeführten, aber zurückgewiesenen Popular-Klage.

Das Zustandekommen der Justizgesetze ist zur hohen Wahrscheinlichkeit
geworden, und darüber sich zu freuen hat jeder Freund des Reiches Ursache.
Die national-liberale Partei wird wieder einmal ihre Pflicht erfüllen und da¬
mit ihren Anspruch aufs neue erhärten, die ausschlaggebende Partei im par¬
V — r. lamentarischen Leben zu sein.





*) Das deutsche Preßgesetz macht den verantwort!. Redacteur als fingirten Urheber jeden
Artikels haftbar, dessen Verfasser nicht genannt ist, adoptirt also gerade das von unserm
Correspondenten verurtheilte System. Dieser Rechtsvermuthung gegenüber war der Zeugni߬
zwang gegen den Redacteur geradezu ein Unsinn; nicht berechtigter, als wenn man einen An¬
D. Red. geklagten gleichzeitig als Thäter und als Zeugen schrauben wollte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/521>, abgerufen am 16.05.2024.