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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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burger aber weiß ein anderes erprobtes Mittel zur Erlangung einer guten
Flachsernte: er steckt beim Säen eine Harke in das Feld, damit der Flachs
sich daran ein Beispiel nehme und ebenso hoch zu werden strebe, wie der
Harkenstiel. Wieder andere Wege zu demselben Ziele schlägt der Landmann
in Thüringen ein, indem er beim Ausstreuen der Leinsaat möglichst weit
ausschreitet, an beiden Enden des Leinfeldes große Büsche von Hollunder,
der in der Heidenzeit ein heiliger Baum war, aufpflanzt, und auf dem be-
säeten Acker ein paar frische Eier ißt. An einigen Orten herrscht auch der
Gebrauch, daß die ganze Familie, damit der Flachs recht wohl gerathe, am
Himmelfahrtstage Milch und Semmel verspeist.

Mit ähnlichem Zauber düngen und pflegen die Altgläubigen ihre Ge¬
müsebeete und Obstgärten. Nach der Sitte der Väter steckt der Schlesier
seine Bohnen am Tage Christian (14. Mai), der Wetterauer die seinen am
Gründonnerstage, "damit sie nicht erfrieren". Damit sie aber recht reichlich
tragen, steckt sie der letztere immer in ungrader Zahl. Die Erbsen müssen
in Westpreußen und der Mark bei abnehmendem Monde gesäet werden; denn
sonst blühen sie, sagt man, zu lange; Kürbisse sind nach mecklenburgischer
und lauenburgischer Bauernregel am Abend vor Himmelfahrt zu stecken, wenn
das Fest mit der großen Glocke eingeläutet wird, da nach der Erfahrung der
alten Leute ihre Früchte dann sehr groß werden, Gurken aus demselben Grunde
und "weil ihnen dann der Frost nichts anhaben kann", nach schlesischen und
wetterauischem Volksglauben am Abend vor Walpurgis. Kohl muß man,
wofern er gedeihen soll, am Gründonnerstage, wenn zur Kirche geläutet wird,
pflanzen, sagt man unter den Landleuten der Wetterau, und ihn drei Freitage
nach einander bedanken, fügt der lauenburgische Bauer hinzu. Kartoffeln
dürfen, wie man im Meklenvurgischen meint, nicht an einem Tage gesteckt
werden, der im Kalender mit dem Zeichen des Steinbocks markirr ist, weil
sie in diesem Falle sich nicht gut kochen; dagegen ist zu rathen, sie bei weichem,
d. h. südlichem oder südwestlichem Winde zu pflanzen, da sie dann leicht auf¬
platzen.

Der heilige Karl, dessen Tag der 28. Januar ist, herrscht über Weinstöcke
und Obstbäume, und deshalb darf der, welcher diese nicht eher verschnitten hat,
nicht versäumen, dies an diesem Tage zu besorgen. Der heilige Blasius, dem
der 3. Februar geweiht ist, gilt als specieller Schutzpatron der Obstbäume,
darum soll man die Versetzung der letzteren an diesem Tage vornehmen.
Wer seine Apfel- und Birnbäume auf Fastnacht beschneidet, der sichert sie
nach einem andern Aberglauben vor Raupen und die Früchte vor Würmern.
Die am 19. Februar gepflanzten Bäume, sagt wieder eine andere Regel des
Volkes in verschiedenen katholischen Landstrichen, stehen unter der Obhut der
heiligen Susanna. Ganz allgemein herrscht der Gebrauch, die Obstbäume in


burger aber weiß ein anderes erprobtes Mittel zur Erlangung einer guten
Flachsernte: er steckt beim Säen eine Harke in das Feld, damit der Flachs
sich daran ein Beispiel nehme und ebenso hoch zu werden strebe, wie der
Harkenstiel. Wieder andere Wege zu demselben Ziele schlägt der Landmann
in Thüringen ein, indem er beim Ausstreuen der Leinsaat möglichst weit
ausschreitet, an beiden Enden des Leinfeldes große Büsche von Hollunder,
der in der Heidenzeit ein heiliger Baum war, aufpflanzt, und auf dem be-
säeten Acker ein paar frische Eier ißt. An einigen Orten herrscht auch der
Gebrauch, daß die ganze Familie, damit der Flachs recht wohl gerathe, am
Himmelfahrtstage Milch und Semmel verspeist.

Mit ähnlichem Zauber düngen und pflegen die Altgläubigen ihre Ge¬
müsebeete und Obstgärten. Nach der Sitte der Väter steckt der Schlesier
seine Bohnen am Tage Christian (14. Mai), der Wetterauer die seinen am
Gründonnerstage, „damit sie nicht erfrieren". Damit sie aber recht reichlich
tragen, steckt sie der letztere immer in ungrader Zahl. Die Erbsen müssen
in Westpreußen und der Mark bei abnehmendem Monde gesäet werden; denn
sonst blühen sie, sagt man, zu lange; Kürbisse sind nach mecklenburgischer
und lauenburgischer Bauernregel am Abend vor Himmelfahrt zu stecken, wenn
das Fest mit der großen Glocke eingeläutet wird, da nach der Erfahrung der
alten Leute ihre Früchte dann sehr groß werden, Gurken aus demselben Grunde
und „weil ihnen dann der Frost nichts anhaben kann", nach schlesischen und
wetterauischem Volksglauben am Abend vor Walpurgis. Kohl muß man,
wofern er gedeihen soll, am Gründonnerstage, wenn zur Kirche geläutet wird,
pflanzen, sagt man unter den Landleuten der Wetterau, und ihn drei Freitage
nach einander bedanken, fügt der lauenburgische Bauer hinzu. Kartoffeln
dürfen, wie man im Meklenvurgischen meint, nicht an einem Tage gesteckt
werden, der im Kalender mit dem Zeichen des Steinbocks markirr ist, weil
sie in diesem Falle sich nicht gut kochen; dagegen ist zu rathen, sie bei weichem,
d. h. südlichem oder südwestlichem Winde zu pflanzen, da sie dann leicht auf¬
platzen.

Der heilige Karl, dessen Tag der 28. Januar ist, herrscht über Weinstöcke
und Obstbäume, und deshalb darf der, welcher diese nicht eher verschnitten hat,
nicht versäumen, dies an diesem Tage zu besorgen. Der heilige Blasius, dem
der 3. Februar geweiht ist, gilt als specieller Schutzpatron der Obstbäume,
darum soll man die Versetzung der letzteren an diesem Tage vornehmen.
Wer seine Apfel- und Birnbäume auf Fastnacht beschneidet, der sichert sie
nach einem andern Aberglauben vor Raupen und die Früchte vor Würmern.
Die am 19. Februar gepflanzten Bäume, sagt wieder eine andere Regel des
Volkes in verschiedenen katholischen Landstrichen, stehen unter der Obhut der
heiligen Susanna. Ganz allgemein herrscht der Gebrauch, die Obstbäume in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/64>, abgerufen am 09.06.2024.