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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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einem Kranze zu sitzen pflegt. Anderswo erinnert nur eine im Erntekranz
angebrachte Hahnenfeder noch an ihn.

Von andem Gebräuchen der Getreideernte können wir hier nur die beiden
hessischen erwähnen, nach welchem man die ersten Halme von einem Kinde
unter fünf Jahren schneiden und das erste Strohseil zu den Garben von
einem Kinde unter sieben Jahren winden läßt und die erste gebundene Garbe
Nachts zwölf Uhr durch die Hintere Scheunenthür hinauswirft; sie ist "für
die Engel vom Himmel" und heißt der "Erntesegen/'

Mit dem Getreide fuhr der Bauer der alten Zeit seine Hauptnahrung,
mit dem Flachs seine Hauptkleidung in die Scheune, und so hat die Ernte
des letzteren ebenfalls manchen alten Zug bewahrt. Dieß ist namentlich in
Norddeutschland der Fall. Zu Riemke bei Bochum band man früher nach
beendigter Ernte, wenn der Flachs ins Wasser gelegt wurde, in eins der
Bunde ein Butterbrot, welches man den "Fretboden" nannte. In Frankenau
legt man noch jetzt in das Bund drei Wiesenblumen und eine Sichel. Butter¬
brot und Blumen sind wohl ein Opfer für die Göttin Frick oder Holle, die
dem Flachsbau vorstand, während die Sichel, wie alles Eisen im Aberglauben,
vor bösem Zauber schützen sollte. In einigen westphälischen Orten ferner
herrscht die Gewohnheit, demjenigen, der zuletzt mit dem Reinigen seines
Flachses zu Stande kommt, eine mit "Scheve", d. h. mit Flachs- oder Hanf¬
abfall, ausgestopfte Puppe, die der "Schevekerl" heißt, vor die Thür zu stellen.
Wer seinen Flachs zu spät schwingt, dem wird eine ähnliche Figur, die nach
der Schlepbrake, dem Werkzeuge der schwingenden, das "Schlepwif" genannt
wird, am Abend heimlich vor das Haus gesetzt.

Interessanter und poetischer sind die ländlichen Feste, die sich in einzelnen
einsam liegenden Weilern der Bergzüge am Niederrhein, vorzüglich im Ber¬
gischen und Siegenschen, erhalten haben, die sogenannten "Schmtngtage ",
an denen die Bäuerinnen des Ortes sich gemeinsam der Zubereitung des ge-
ernteten Flachses unterziehen. Nachdem die Stengel durch abwechselndes
Einweichen und Trocknen mürbe geworden sind, in der letzten Hälfte des
October, finden sich die Frauen und Mädchen des Dorfes in einem der größeren
Höfe desselben zusammen. Zuerst werden die Stengel auf der Breche oder
dem Flachsäuel, einer sehr einfachen Maschine, wo zwei in einandergreifende
gezähnte Holzscheeren sie fassen und zermalmen, bis auf den zähen Bast gänz¬
lich zerrieben. Dann wird dieser Bast bündelweise in dem Einschnitt eines
aufrechtstehenden Bretes, des sogenannten Schwingstocks, vermittelst der
Schwinge, eines dünnen fächerartigen Schlägels, von den daran noch fest¬
sitzenden Stengelbrocken, dem Schiff, gereinigt und durch anhaltendes Klopfen
in die einzelnen Fasern zertheilt. Zwanzig, ja bisweilen doppelt so viele
Frauen versammeln sich zu dieser Verrichtung unter freiem Himmel oder auf


einem Kranze zu sitzen pflegt. Anderswo erinnert nur eine im Erntekranz
angebrachte Hahnenfeder noch an ihn.

Von andem Gebräuchen der Getreideernte können wir hier nur die beiden
hessischen erwähnen, nach welchem man die ersten Halme von einem Kinde
unter fünf Jahren schneiden und das erste Strohseil zu den Garben von
einem Kinde unter sieben Jahren winden läßt und die erste gebundene Garbe
Nachts zwölf Uhr durch die Hintere Scheunenthür hinauswirft; sie ist „für
die Engel vom Himmel" und heißt der „Erntesegen/'

Mit dem Getreide fuhr der Bauer der alten Zeit seine Hauptnahrung,
mit dem Flachs seine Hauptkleidung in die Scheune, und so hat die Ernte
des letzteren ebenfalls manchen alten Zug bewahrt. Dieß ist namentlich in
Norddeutschland der Fall. Zu Riemke bei Bochum band man früher nach
beendigter Ernte, wenn der Flachs ins Wasser gelegt wurde, in eins der
Bunde ein Butterbrot, welches man den „Fretboden" nannte. In Frankenau
legt man noch jetzt in das Bund drei Wiesenblumen und eine Sichel. Butter¬
brot und Blumen sind wohl ein Opfer für die Göttin Frick oder Holle, die
dem Flachsbau vorstand, während die Sichel, wie alles Eisen im Aberglauben,
vor bösem Zauber schützen sollte. In einigen westphälischen Orten ferner
herrscht die Gewohnheit, demjenigen, der zuletzt mit dem Reinigen seines
Flachses zu Stande kommt, eine mit „Scheve", d. h. mit Flachs- oder Hanf¬
abfall, ausgestopfte Puppe, die der „Schevekerl" heißt, vor die Thür zu stellen.
Wer seinen Flachs zu spät schwingt, dem wird eine ähnliche Figur, die nach
der Schlepbrake, dem Werkzeuge der schwingenden, das „Schlepwif" genannt
wird, am Abend heimlich vor das Haus gesetzt.

Interessanter und poetischer sind die ländlichen Feste, die sich in einzelnen
einsam liegenden Weilern der Bergzüge am Niederrhein, vorzüglich im Ber¬
gischen und Siegenschen, erhalten haben, die sogenannten „Schmtngtage ",
an denen die Bäuerinnen des Ortes sich gemeinsam der Zubereitung des ge-
ernteten Flachses unterziehen. Nachdem die Stengel durch abwechselndes
Einweichen und Trocknen mürbe geworden sind, in der letzten Hälfte des
October, finden sich die Frauen und Mädchen des Dorfes in einem der größeren
Höfe desselben zusammen. Zuerst werden die Stengel auf der Breche oder
dem Flachsäuel, einer sehr einfachen Maschine, wo zwei in einandergreifende
gezähnte Holzscheeren sie fassen und zermalmen, bis auf den zähen Bast gänz¬
lich zerrieben. Dann wird dieser Bast bündelweise in dem Einschnitt eines
aufrechtstehenden Bretes, des sogenannten Schwingstocks, vermittelst der
Schwinge, eines dünnen fächerartigen Schlägels, von den daran noch fest¬
sitzenden Stengelbrocken, dem Schiff, gereinigt und durch anhaltendes Klopfen
in die einzelnen Fasern zertheilt. Zwanzig, ja bisweilen doppelt so viele
Frauen versammeln sich zu dieser Verrichtung unter freiem Himmel oder auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/68>, abgerufen am 31.05.2024.