Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dieselbe aber den Rassenhaß zu nähren vermöchte, können wir unmöglich zu¬
geben, ebensowenig wie ein vielleicht übereiltes Wort Mommsen's dies ver¬
möchte.

Herr Brunetiere kommt bei Gelegenheit auch auf die Schilderung
der natürlichen Grenzen Deutschlands nach Daniel's Lehrbuch zu sprechen.
Wie viel Staub dieselbe in den letzten Jahren speciell in Frankreich
aufgewirbelt hat, wie viel Trugschlüsse, absichtliche und unabsichtliche,
daran geknüpft worden sind, läßt sich kaum sagen. Zunächst wollen
wir dazu bemerken, daß in den vielen Jahren vor dem deutsch-fran¬
zösischen Kriege, in denen das Daniel'sche Lehrbuch in den meisten
deutschen Schulen eingeführt war, es den Franzosen ebensowenig wie jetzt den
Oestreichern, Dänen und Russen, die nach Ansicht der Franzosen durch jene
deutsche Prätensionen auch bedroht sind, in den Sinn gekommen ist, jener
Stelle die jetzt so beliebte Deutung zu geben. Nichtsdestoweniger müssen
auch wir wünschen, daß der Verfasser bei einer erneuten Auflage seines Werkes
dieser Stelle eine solche Wendung giebt, daß jedes Mißverständniß zur Un¬
möglichkeit wird, nicht als ob wir es für denkbar hielten, die Herren Fran¬
zosen dadurch von unserer Friedensliebe und unserm Wunsche nach aufrichtiger
Aussöhnung zu überzeugen. Sie suchen doch nur nach Scheingründen und
nehmen sie, wo sie sie finden, um den von ihnen systematisch geschürten Rassen¬
haß zu beschönigen; es gilt vielmehr ihnen jedmöglichen Vorwand zu nehmen
und ihnen das Hassenswerthe eines von langer Hand vorbereiteten Rassen¬
krieges, den sie durch ihr Gebahren unvermeidlich heraufbeschwören werden,
allein zu überlassen.

Aufmerksame Beobachter und genaue Kenner des französischen Volkes, Deut¬
sche, welche sowohl vor als nach dem Kriege unter demselben geweilt haben und
noch weilen, und die aus einer gewissen Vorliebe für Land und Leute kein
Hehl machen, haben verschiedentlich ihre Stimme erhoben,*) um ihre deutschen
Landsleute auf die Symptome eines drohenden Völkerkrteges aufmerksam zu
zu machen, der, wenn auch voraussichtlich erst nach einer Reihe von Jahren,
aber dann ganz unvermeidlich und mit um so größerer Heftigkeit ausbrechen
wird. Wohl hat sich äußerlich manches geglättet, wohl mag der einzelne
Deutsche jetzt wieder unbehindert durch Frankreich reisen, ohne, wie noch vor
nicht allzulanger Zeit, auf Schritt und Tritt Insulten ausgesetzt zu sein: der
Franzose wird ihn vornehm übersehen, ihn vielleicht gar mit kalter Höflichkeit be¬
handeln; aber diese äußere Ruhe ist nur eine erzwungene; im Innern dieser in
ihrem Heiligsten, d. i. ihrer Eitelkeit, gekränkten Nation kocht und tobt es um so



") Man sehe unter anderen den Aufsatz in der Kölnischen Zeitung Ur. 166.

dieselbe aber den Rassenhaß zu nähren vermöchte, können wir unmöglich zu¬
geben, ebensowenig wie ein vielleicht übereiltes Wort Mommsen's dies ver¬
möchte.

Herr Brunetiere kommt bei Gelegenheit auch auf die Schilderung
der natürlichen Grenzen Deutschlands nach Daniel's Lehrbuch zu sprechen.
Wie viel Staub dieselbe in den letzten Jahren speciell in Frankreich
aufgewirbelt hat, wie viel Trugschlüsse, absichtliche und unabsichtliche,
daran geknüpft worden sind, läßt sich kaum sagen. Zunächst wollen
wir dazu bemerken, daß in den vielen Jahren vor dem deutsch-fran¬
zösischen Kriege, in denen das Daniel'sche Lehrbuch in den meisten
deutschen Schulen eingeführt war, es den Franzosen ebensowenig wie jetzt den
Oestreichern, Dänen und Russen, die nach Ansicht der Franzosen durch jene
deutsche Prätensionen auch bedroht sind, in den Sinn gekommen ist, jener
Stelle die jetzt so beliebte Deutung zu geben. Nichtsdestoweniger müssen
auch wir wünschen, daß der Verfasser bei einer erneuten Auflage seines Werkes
dieser Stelle eine solche Wendung giebt, daß jedes Mißverständniß zur Un¬
möglichkeit wird, nicht als ob wir es für denkbar hielten, die Herren Fran¬
zosen dadurch von unserer Friedensliebe und unserm Wunsche nach aufrichtiger
Aussöhnung zu überzeugen. Sie suchen doch nur nach Scheingründen und
nehmen sie, wo sie sie finden, um den von ihnen systematisch geschürten Rassen¬
haß zu beschönigen; es gilt vielmehr ihnen jedmöglichen Vorwand zu nehmen
und ihnen das Hassenswerthe eines von langer Hand vorbereiteten Rassen¬
krieges, den sie durch ihr Gebahren unvermeidlich heraufbeschwören werden,
allein zu überlassen.

Aufmerksame Beobachter und genaue Kenner des französischen Volkes, Deut¬
sche, welche sowohl vor als nach dem Kriege unter demselben geweilt haben und
noch weilen, und die aus einer gewissen Vorliebe für Land und Leute kein
Hehl machen, haben verschiedentlich ihre Stimme erhoben,*) um ihre deutschen
Landsleute auf die Symptome eines drohenden Völkerkrteges aufmerksam zu
zu machen, der, wenn auch voraussichtlich erst nach einer Reihe von Jahren,
aber dann ganz unvermeidlich und mit um so größerer Heftigkeit ausbrechen
wird. Wohl hat sich äußerlich manches geglättet, wohl mag der einzelne
Deutsche jetzt wieder unbehindert durch Frankreich reisen, ohne, wie noch vor
nicht allzulanger Zeit, auf Schritt und Tritt Insulten ausgesetzt zu sein: der
Franzose wird ihn vornehm übersehen, ihn vielleicht gar mit kalter Höflichkeit be¬
handeln; aber diese äußere Ruhe ist nur eine erzwungene; im Innern dieser in
ihrem Heiligsten, d. i. ihrer Eitelkeit, gekränkten Nation kocht und tobt es um so



") Man sehe unter anderen den Aufsatz in der Kölnischen Zeitung Ur. 166.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136646"/>
          <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8"> dieselbe aber den Rassenhaß zu nähren vermöchte, können wir unmöglich zu¬<lb/>
geben, ebensowenig wie ein vielleicht übereiltes Wort Mommsen's dies ver¬<lb/>
möchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_10"> Herr Brunetiere kommt bei Gelegenheit auch auf die Schilderung<lb/>
der natürlichen Grenzen Deutschlands nach Daniel's Lehrbuch zu sprechen.<lb/>
Wie viel Staub dieselbe in den letzten Jahren speciell in Frankreich<lb/>
aufgewirbelt hat, wie viel Trugschlüsse, absichtliche und unabsichtliche,<lb/>
daran geknüpft worden sind, läßt sich kaum sagen. Zunächst wollen<lb/>
wir dazu bemerken, daß in den vielen Jahren vor dem deutsch-fran¬<lb/>
zösischen Kriege, in denen das Daniel'sche Lehrbuch in den meisten<lb/>
deutschen Schulen eingeführt war, es den Franzosen ebensowenig wie jetzt den<lb/>
Oestreichern, Dänen und Russen, die nach Ansicht der Franzosen durch jene<lb/>
deutsche Prätensionen auch bedroht sind, in den Sinn gekommen ist, jener<lb/>
Stelle die jetzt so beliebte Deutung zu geben. Nichtsdestoweniger müssen<lb/>
auch wir wünschen, daß der Verfasser bei einer erneuten Auflage seines Werkes<lb/>
dieser Stelle eine solche Wendung giebt, daß jedes Mißverständniß zur Un¬<lb/>
möglichkeit wird, nicht als ob wir es für denkbar hielten, die Herren Fran¬<lb/>
zosen dadurch von unserer Friedensliebe und unserm Wunsche nach aufrichtiger<lb/>
Aussöhnung zu überzeugen. Sie suchen doch nur nach Scheingründen und<lb/>
nehmen sie, wo sie sie finden, um den von ihnen systematisch geschürten Rassen¬<lb/>
haß zu beschönigen; es gilt vielmehr ihnen jedmöglichen Vorwand zu nehmen<lb/>
und ihnen das Hassenswerthe eines von langer Hand vorbereiteten Rassen¬<lb/>
krieges, den sie durch ihr Gebahren unvermeidlich heraufbeschwören werden,<lb/>
allein zu überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Aufmerksame Beobachter und genaue Kenner des französischen Volkes, Deut¬<lb/>
sche, welche sowohl vor als nach dem Kriege unter demselben geweilt haben und<lb/>
noch weilen, und die aus einer gewissen Vorliebe für Land und Leute kein<lb/>
Hehl machen, haben verschiedentlich ihre Stimme erhoben,*) um ihre deutschen<lb/>
Landsleute auf die Symptome eines drohenden Völkerkrteges aufmerksam zu<lb/>
zu machen, der, wenn auch voraussichtlich erst nach einer Reihe von Jahren,<lb/>
aber dann ganz unvermeidlich und mit um so größerer Heftigkeit ausbrechen<lb/>
wird. Wohl hat sich äußerlich manches geglättet, wohl mag der einzelne<lb/>
Deutsche jetzt wieder unbehindert durch Frankreich reisen, ohne, wie noch vor<lb/>
nicht allzulanger Zeit, auf Schritt und Tritt Insulten ausgesetzt zu sein: der<lb/>
Franzose wird ihn vornehm übersehen, ihn vielleicht gar mit kalter Höflichkeit be¬<lb/>
handeln; aber diese äußere Ruhe ist nur eine erzwungene; im Innern dieser in<lb/>
ihrem Heiligsten, d. i. ihrer Eitelkeit, gekränkten Nation kocht und tobt es um so</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> ") Man sehe unter anderen den Aufsatz in der Kölnischen Zeitung Ur. 166.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0007] dieselbe aber den Rassenhaß zu nähren vermöchte, können wir unmöglich zu¬ geben, ebensowenig wie ein vielleicht übereiltes Wort Mommsen's dies ver¬ möchte. Herr Brunetiere kommt bei Gelegenheit auch auf die Schilderung der natürlichen Grenzen Deutschlands nach Daniel's Lehrbuch zu sprechen. Wie viel Staub dieselbe in den letzten Jahren speciell in Frankreich aufgewirbelt hat, wie viel Trugschlüsse, absichtliche und unabsichtliche, daran geknüpft worden sind, läßt sich kaum sagen. Zunächst wollen wir dazu bemerken, daß in den vielen Jahren vor dem deutsch-fran¬ zösischen Kriege, in denen das Daniel'sche Lehrbuch in den meisten deutschen Schulen eingeführt war, es den Franzosen ebensowenig wie jetzt den Oestreichern, Dänen und Russen, die nach Ansicht der Franzosen durch jene deutsche Prätensionen auch bedroht sind, in den Sinn gekommen ist, jener Stelle die jetzt so beliebte Deutung zu geben. Nichtsdestoweniger müssen auch wir wünschen, daß der Verfasser bei einer erneuten Auflage seines Werkes dieser Stelle eine solche Wendung giebt, daß jedes Mißverständniß zur Un¬ möglichkeit wird, nicht als ob wir es für denkbar hielten, die Herren Fran¬ zosen dadurch von unserer Friedensliebe und unserm Wunsche nach aufrichtiger Aussöhnung zu überzeugen. Sie suchen doch nur nach Scheingründen und nehmen sie, wo sie sie finden, um den von ihnen systematisch geschürten Rassen¬ haß zu beschönigen; es gilt vielmehr ihnen jedmöglichen Vorwand zu nehmen und ihnen das Hassenswerthe eines von langer Hand vorbereiteten Rassen¬ krieges, den sie durch ihr Gebahren unvermeidlich heraufbeschwören werden, allein zu überlassen. Aufmerksame Beobachter und genaue Kenner des französischen Volkes, Deut¬ sche, welche sowohl vor als nach dem Kriege unter demselben geweilt haben und noch weilen, und die aus einer gewissen Vorliebe für Land und Leute kein Hehl machen, haben verschiedentlich ihre Stimme erhoben,*) um ihre deutschen Landsleute auf die Symptome eines drohenden Völkerkrteges aufmerksam zu zu machen, der, wenn auch voraussichtlich erst nach einer Reihe von Jahren, aber dann ganz unvermeidlich und mit um so größerer Heftigkeit ausbrechen wird. Wohl hat sich äußerlich manches geglättet, wohl mag der einzelne Deutsche jetzt wieder unbehindert durch Frankreich reisen, ohne, wie noch vor nicht allzulanger Zeit, auf Schritt und Tritt Insulten ausgesetzt zu sein: der Franzose wird ihn vornehm übersehen, ihn vielleicht gar mit kalter Höflichkeit be¬ handeln; aber diese äußere Ruhe ist nur eine erzwungene; im Innern dieser in ihrem Heiligsten, d. i. ihrer Eitelkeit, gekränkten Nation kocht und tobt es um so ") Man sehe unter anderen den Aufsatz in der Kölnischen Zeitung Ur. 166.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/7
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/7>, abgerufen am 15.05.2024.