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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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"gestattet." In den rein oder der Zahl nach überwiegend deutschen Gemeinden
der ganzen Provinz Posen sind ohne Zweifel die genannten Verhandlungen
schon bisher deutsch geführt worden, es wird darin also nicht noch jetzt für
wenige Jahre ein Rückschritt gethan oder auch nur erstrebt werden. Es kommt
dazu, daß die deutschen Landgemeinden in den Gegenden mit wenig Aus¬
nahmen von lutherischen sogen. Hauländern abstammen und wegen dieser
ihrer Konfession sehr gute Preußen und eifrige Deutsche sind im Gegensatz
zu ihren katholischen stam ngenossen, die sich polnisches oder sei es auch
römisches Nationalbewußtsein willig beibringen lassen, wenn es ihren Caplänen
so gefällt.

Ganz anders liegen die Verhältnisse in der Provinz Preußen, namentlich
auch in Westpreußen, welches von den Reichsfeinden noch immer als ein
ganz polnisches Land in Anspruch genommen wird. Zu unserem Erstaunen
finden wir in der Königlichen Verordnung in der ganzen großen Provinz, also
einschließlich des katholischen Ermland und des protestantischen Masuren, nur
22 Landgemeinden und diese nur im Kreise Thorn als Ausnahmen von der
sofortigen Anwendung des Amtssprachengesetzes aufgeführt. Es ist erklärlich,
daß von einer fünfjährigen Ausnahmsstellung polnischer Gutsbezirke in der
Verordnung in keiner Weise die Rede ist; die Anwendung der Staatssprache
hängt dort immer lediglich von dem Belieben des Gutsherrn ab, dem das
Gesetz keinerlei Fügsamkeit schuldet. Unser Erstaunen über das angeführte
Ergebniß der Ermittelungen der Behörden gründet sich am meisten darauf,
daß die beiden an den Kreis Thorn im Osten angrenzenden Kreise Straßburg
und Löbau, welche nach der statistischen Aufnahme vom Jahre 1861 (S. die
Sprachkarte des preußischen Staates von Richard Böckh) bedeutend größere
Flächen als mit Polen besetzt zeigten, als der erstere, gegenwärtig nicht in
einer, nicht in der abgelegensten Landgemeinde das Bedürfniß der vor¬
läufigen Fortdauer der polnischen Amtssprache hat. Da wir nicht annehmen
können, daß die Bedürfnißfrage von den Behörden so verschieden aufgefaßt
und entschieden worden ist, so muß das Deutschthum in jener Gegend West¬
preußens seit 1861 mit verschiedener Stärke Fortschritte gemacht haben. Auch
läßt sich das sehr wohl erklären. Von allen Ständen hält keiner, wie an
allem Altüberlieferten, so auch an der angestammten Sprache fester, als der
bäuerliche Grundbesitzerstand, und zwar um so mehr, je wohler er sich be¬
findet und je fester er deswegen sitzt. In diesem Zustande befinden sich aber
die polnischen Bauern des thorner Kreises, bei ihnen findet die deutsche
Sprache deswegen um so schwerer Eingang, als sie in solcher Lage das Ein¬
dringen von Deutschen in ihre Mitte gewöhnlich zu verhindern wissen. Der
Boden der Kreise Stroßburg und Löbau besitzt dagegen nicht die gleiche Güte
wie dort, er ist mehr sandig und steinig. In solcher Lage sitzen Bauern über-


„gestattet." In den rein oder der Zahl nach überwiegend deutschen Gemeinden
der ganzen Provinz Posen sind ohne Zweifel die genannten Verhandlungen
schon bisher deutsch geführt worden, es wird darin also nicht noch jetzt für
wenige Jahre ein Rückschritt gethan oder auch nur erstrebt werden. Es kommt
dazu, daß die deutschen Landgemeinden in den Gegenden mit wenig Aus¬
nahmen von lutherischen sogen. Hauländern abstammen und wegen dieser
ihrer Konfession sehr gute Preußen und eifrige Deutsche sind im Gegensatz
zu ihren katholischen stam ngenossen, die sich polnisches oder sei es auch
römisches Nationalbewußtsein willig beibringen lassen, wenn es ihren Caplänen
so gefällt.

Ganz anders liegen die Verhältnisse in der Provinz Preußen, namentlich
auch in Westpreußen, welches von den Reichsfeinden noch immer als ein
ganz polnisches Land in Anspruch genommen wird. Zu unserem Erstaunen
finden wir in der Königlichen Verordnung in der ganzen großen Provinz, also
einschließlich des katholischen Ermland und des protestantischen Masuren, nur
22 Landgemeinden und diese nur im Kreise Thorn als Ausnahmen von der
sofortigen Anwendung des Amtssprachengesetzes aufgeführt. Es ist erklärlich,
daß von einer fünfjährigen Ausnahmsstellung polnischer Gutsbezirke in der
Verordnung in keiner Weise die Rede ist; die Anwendung der Staatssprache
hängt dort immer lediglich von dem Belieben des Gutsherrn ab, dem das
Gesetz keinerlei Fügsamkeit schuldet. Unser Erstaunen über das angeführte
Ergebniß der Ermittelungen der Behörden gründet sich am meisten darauf,
daß die beiden an den Kreis Thorn im Osten angrenzenden Kreise Straßburg
und Löbau, welche nach der statistischen Aufnahme vom Jahre 1861 (S. die
Sprachkarte des preußischen Staates von Richard Böckh) bedeutend größere
Flächen als mit Polen besetzt zeigten, als der erstere, gegenwärtig nicht in
einer, nicht in der abgelegensten Landgemeinde das Bedürfniß der vor¬
läufigen Fortdauer der polnischen Amtssprache hat. Da wir nicht annehmen
können, daß die Bedürfnißfrage von den Behörden so verschieden aufgefaßt
und entschieden worden ist, so muß das Deutschthum in jener Gegend West¬
preußens seit 1861 mit verschiedener Stärke Fortschritte gemacht haben. Auch
läßt sich das sehr wohl erklären. Von allen Ständen hält keiner, wie an
allem Altüberlieferten, so auch an der angestammten Sprache fester, als der
bäuerliche Grundbesitzerstand, und zwar um so mehr, je wohler er sich be¬
findet und je fester er deswegen sitzt. In diesem Zustande befinden sich aber
die polnischen Bauern des thorner Kreises, bei ihnen findet die deutsche
Sprache deswegen um so schwerer Eingang, als sie in solcher Lage das Ein¬
dringen von Deutschen in ihre Mitte gewöhnlich zu verhindern wissen. Der
Boden der Kreise Stroßburg und Löbau besitzt dagegen nicht die gleiche Güte
wie dort, er ist mehr sandig und steinig. In solcher Lage sitzen Bauern über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/73>, abgerufen am 31.05.2024.