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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Während sich das Gefecht von dem Försterhof in das Innere des Dorfes,
namentlich nach dem befestigten Friedhof hin fortwälzte, blieben die beiden
Brüder Grau zurück und pochten ungestüm an die Thüre des verrammelten
Försterhauses. Nachdem sie auf ihren wiederholten Zuruf endlich von den
Ihrigen drinnen an den Stimmen erkannt worden waren, öffnete sich die
Thüre, und es traten ihnen ihre beiden jungen Frauen, jede mit einem kleinen
Kinde auf den Armen, entgegen; diese Kinder hatten kurz nach dem Aus¬
marsch der jungen Männer das Licht der Welt erblickt. Man braucht das
Entzücken eines solchen Wiedersehens nicht weiter auszumalen. Doch dasselbe
sollte nur wenige Minuten dauern, denn die Franzosen hatten aus ihrem
Lager Verstärkungen erhalten und drängten die hessischen Jäger wieder aus
Kirchditmold hinaus. Noch einmal umarmten die Brüder Grau Weib und
Kind -- dann waren sie mit ihren Kameraden wieder im Dunkel der Nacht
verschwunden, und die jungen Frauen mit ihren Eltern lauschten zitternd
und zagend auf das Knallen der Schüsse, das sich mehr und mehr in der
Ferne verlor.

Am andern Morgen bot der Forsthof einen schauerlichen Anblick dar.
Derselbe war ganz mit todten Franzosen bedeckt. Unter ihnen befand sich
auch die Leiche des Hauptmannes, von welcher der Oberförster zum Andenken
ein Crucifix mit Rosenkranz ablöste, das jener als Amulet unter der Uni¬
form um den Hals getragen hatte.

Einige Jahre später, während deren sich die beiden jungen Männer und
ihre Frauen nicht gesehen hatten, standen die Franzosen und die alliirten
Truppen des Herzogs von Braunschweig wieder in der Gegend von Kassel
sich feindlich gegenüber. Letztere hatten wieder ihr Lager auf den Höhen des
langgestreckten, waldigen Bergrückens, des sog. Brandes, bei dem Dorf Hoben-
kirchen; ihr Befehlshaber, Herzog Ferdinand, hatte sein Hauptquartier in
dem landgräflichen Lustschloß Wilhelmsthal bei Mönchehof. Im Försterhaus
zu Kirchditmold lag ein französischer General im Quartier welcher von jenem
oben erzählten Wiedersehen der Gebrüder Grau und ihrer jungen Frauen
Kenntniß erhalten hatte. Derselbe war ein menschenfreundlicher Mann, ein
ritterlicher Franzose besten Schlages. Er erbot sich, die erforderlichen Schritte
zu thun, um wieder einmal ein Zusammentreffen zwischen den beiden jungen
Männern und ihren Frauen zu ermöglichen. Er schrieb daher an den feind¬
lichen Befehlshaber, den Herzog von Braunschweig, und bat für die beiden
Frauen mit ihren Kindern um einen Geleitsbrief in das alliirte Lager. Dieser
wurde bereitwilligst gewährt, und der französische General ließ darauf in
seinem Wagen unter Bedeckung die Frauen und Kinder nach den feindlichen
Borposten bringen. Durch diese hindurch gelangten sie glücklich zu ihren
Männern, die von diesem unerwarteten Besuch nicht weniger überrascht


Während sich das Gefecht von dem Försterhof in das Innere des Dorfes,
namentlich nach dem befestigten Friedhof hin fortwälzte, blieben die beiden
Brüder Grau zurück und pochten ungestüm an die Thüre des verrammelten
Försterhauses. Nachdem sie auf ihren wiederholten Zuruf endlich von den
Ihrigen drinnen an den Stimmen erkannt worden waren, öffnete sich die
Thüre, und es traten ihnen ihre beiden jungen Frauen, jede mit einem kleinen
Kinde auf den Armen, entgegen; diese Kinder hatten kurz nach dem Aus¬
marsch der jungen Männer das Licht der Welt erblickt. Man braucht das
Entzücken eines solchen Wiedersehens nicht weiter auszumalen. Doch dasselbe
sollte nur wenige Minuten dauern, denn die Franzosen hatten aus ihrem
Lager Verstärkungen erhalten und drängten die hessischen Jäger wieder aus
Kirchditmold hinaus. Noch einmal umarmten die Brüder Grau Weib und
Kind — dann waren sie mit ihren Kameraden wieder im Dunkel der Nacht
verschwunden, und die jungen Frauen mit ihren Eltern lauschten zitternd
und zagend auf das Knallen der Schüsse, das sich mehr und mehr in der
Ferne verlor.

Am andern Morgen bot der Forsthof einen schauerlichen Anblick dar.
Derselbe war ganz mit todten Franzosen bedeckt. Unter ihnen befand sich
auch die Leiche des Hauptmannes, von welcher der Oberförster zum Andenken
ein Crucifix mit Rosenkranz ablöste, das jener als Amulet unter der Uni¬
form um den Hals getragen hatte.

Einige Jahre später, während deren sich die beiden jungen Männer und
ihre Frauen nicht gesehen hatten, standen die Franzosen und die alliirten
Truppen des Herzogs von Braunschweig wieder in der Gegend von Kassel
sich feindlich gegenüber. Letztere hatten wieder ihr Lager auf den Höhen des
langgestreckten, waldigen Bergrückens, des sog. Brandes, bei dem Dorf Hoben-
kirchen; ihr Befehlshaber, Herzog Ferdinand, hatte sein Hauptquartier in
dem landgräflichen Lustschloß Wilhelmsthal bei Mönchehof. Im Försterhaus
zu Kirchditmold lag ein französischer General im Quartier welcher von jenem
oben erzählten Wiedersehen der Gebrüder Grau und ihrer jungen Frauen
Kenntniß erhalten hatte. Derselbe war ein menschenfreundlicher Mann, ein
ritterlicher Franzose besten Schlages. Er erbot sich, die erforderlichen Schritte
zu thun, um wieder einmal ein Zusammentreffen zwischen den beiden jungen
Männern und ihren Frauen zu ermöglichen. Er schrieb daher an den feind¬
lichen Befehlshaber, den Herzog von Braunschweig, und bat für die beiden
Frauen mit ihren Kindern um einen Geleitsbrief in das alliirte Lager. Dieser
wurde bereitwilligst gewährt, und der französische General ließ darauf in
seinem Wagen unter Bedeckung die Frauen und Kinder nach den feindlichen
Borposten bringen. Durch diese hindurch gelangten sie glücklich zu ihren
Männern, die von diesem unerwarteten Besuch nicht weniger überrascht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/78>, abgerufen am 09.06.2024.