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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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wurden, als damals bei dem nächtlichen Ueberfall Ktrchditmolds ihre Frauen.
Und eben so sicher und wohlbehalten kehrten letztere wieder zurück zu ihren
Eltern nach Kirchditmold. Fürwahr, ein schönes, wohlthuendes Bild echter
französischer Galanterie inmitten all der Greuel, welche die Franzosen sonst
während des siebenjährigen Krieges im westlichen Deutschland und ganz be¬
sonders in Hessen verübt haben.

Das dritte erwähnenswerthe Ereigniß bezieht sich auf das für die Tapfer¬
keit der Hessen rühmliche, aber ihnen leider sehr ungünstige Gefecht bet
Sandershausen, einem Dorfe nahe bei Kassel (23. Juli 1758). Eine Com¬
pagnie hessischer Jäger, in welcher die Gebrüder Grau standen, hatte die
Aufgabe, die Franzosen an dem Uebergang über eine Schiffsbrücke zu hindern,
welche diese in der Ane über die Fulda geschlagen hatten. Die Jäger hatten
sich auf dem rechten Fuldaufer hinter den Hecken der dortigen Gärten ver¬
steckt. Ihr Hauptmann, welcher den Feind in einen Hinterhalt locken wollte,
hatte ihnen befohlen, nicht eher zu schießen, als bis die ersten Franzosen die
Schiffsbrücke passtrt hätte und ganz nahe heran wären; dann sollten sie ihnen
über das Kreuz halten, d. h. über die Stelle, wo sich die weißen Bandeliere
der Patronentasche und des damals noch nicht auf dem Rücken, sondern an
der linken Seite getragenen Schnappsackes kreuzten. Als nun die Franzosen
die Brücke überschritten hatten und in einen Hohlweg eindrangen, wurden
sie aus unmittelbarer Nähe von den hessischen Jägern, von denen ohnehin
jeder seines Mannes sicher war, so heftig beschossen, daß sich die Todten in
dem Hohlweg aufthürmten und das Vordringen der Franzosen völlig ins
Stocken gerieth. Plötzlich ertönt für die Jäger das Signal zum Rückzug.
Eine Abtheilung französischer Reiterei war oberhalb der Ane durch die Fulda
geritten und drohte den Jägern in den Rücken zu fallen. Bei diesem Rück¬
zug erhielt der jüngere der beiden Brüder Grau einen Schuß ins Bein, und
als er seinem Bruder zurief, er möge ihn um Gotteswillen nicht liegen lassen,
hoben ihn dieser und einige Kameraden auf und trugen ihn auf ihren
Büchsen in das erste Bauernhaus des Dorfes Bettenhausen, wo er Schutz
und Verpflegung fand. Unterdeß zogen sich die übrigen Jäger auf den
Sandershäuser Berg, wo ihr Hauptcorps stand, zurück und nahmen an dem
Weiteren Verlauf dieses für die Hessen so verhängnißvollen Gefechtes Theil,
bei welchem schließlich mehrere Hundert dieser Tapfern nach verzweifelter
Gegenwehr von der Uebermacht der Franzosen in die an jener Stelle sehr
tiefe Fulda gesprengt wurden und ertranken.

Noch in seinem hohen Alter gedachte der spätere Oberförster Grau mit
soldatischem Stolz der Heldenthaten, welche die hessischen Jäger in diesem
Gefecht verrichtet. Er war bereits pensionirt, als eines Tages, in der west¬
fälischen Zeit, der König Jerome mit seiner Gemahlin Katharina, der Tochter


wurden, als damals bei dem nächtlichen Ueberfall Ktrchditmolds ihre Frauen.
Und eben so sicher und wohlbehalten kehrten letztere wieder zurück zu ihren
Eltern nach Kirchditmold. Fürwahr, ein schönes, wohlthuendes Bild echter
französischer Galanterie inmitten all der Greuel, welche die Franzosen sonst
während des siebenjährigen Krieges im westlichen Deutschland und ganz be¬
sonders in Hessen verübt haben.

Das dritte erwähnenswerthe Ereigniß bezieht sich auf das für die Tapfer¬
keit der Hessen rühmliche, aber ihnen leider sehr ungünstige Gefecht bet
Sandershausen, einem Dorfe nahe bei Kassel (23. Juli 1758). Eine Com¬
pagnie hessischer Jäger, in welcher die Gebrüder Grau standen, hatte die
Aufgabe, die Franzosen an dem Uebergang über eine Schiffsbrücke zu hindern,
welche diese in der Ane über die Fulda geschlagen hatten. Die Jäger hatten
sich auf dem rechten Fuldaufer hinter den Hecken der dortigen Gärten ver¬
steckt. Ihr Hauptmann, welcher den Feind in einen Hinterhalt locken wollte,
hatte ihnen befohlen, nicht eher zu schießen, als bis die ersten Franzosen die
Schiffsbrücke passtrt hätte und ganz nahe heran wären; dann sollten sie ihnen
über das Kreuz halten, d. h. über die Stelle, wo sich die weißen Bandeliere
der Patronentasche und des damals noch nicht auf dem Rücken, sondern an
der linken Seite getragenen Schnappsackes kreuzten. Als nun die Franzosen
die Brücke überschritten hatten und in einen Hohlweg eindrangen, wurden
sie aus unmittelbarer Nähe von den hessischen Jägern, von denen ohnehin
jeder seines Mannes sicher war, so heftig beschossen, daß sich die Todten in
dem Hohlweg aufthürmten und das Vordringen der Franzosen völlig ins
Stocken gerieth. Plötzlich ertönt für die Jäger das Signal zum Rückzug.
Eine Abtheilung französischer Reiterei war oberhalb der Ane durch die Fulda
geritten und drohte den Jägern in den Rücken zu fallen. Bei diesem Rück¬
zug erhielt der jüngere der beiden Brüder Grau einen Schuß ins Bein, und
als er seinem Bruder zurief, er möge ihn um Gotteswillen nicht liegen lassen,
hoben ihn dieser und einige Kameraden auf und trugen ihn auf ihren
Büchsen in das erste Bauernhaus des Dorfes Bettenhausen, wo er Schutz
und Verpflegung fand. Unterdeß zogen sich die übrigen Jäger auf den
Sandershäuser Berg, wo ihr Hauptcorps stand, zurück und nahmen an dem
Weiteren Verlauf dieses für die Hessen so verhängnißvollen Gefechtes Theil,
bei welchem schließlich mehrere Hundert dieser Tapfern nach verzweifelter
Gegenwehr von der Uebermacht der Franzosen in die an jener Stelle sehr
tiefe Fulda gesprengt wurden und ertranken.

Noch in seinem hohen Alter gedachte der spätere Oberförster Grau mit
soldatischem Stolz der Heldenthaten, welche die hessischen Jäger in diesem
Gefecht verrichtet. Er war bereits pensionirt, als eines Tages, in der west¬
fälischen Zeit, der König Jerome mit seiner Gemahlin Katharina, der Tochter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/79>, abgerufen am 29.05.2024.