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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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und war kurz vor der westfälischen Zeit in Pension getreten. Die franzö¬
sische Wirthschaft war ihm, als einem guten, alten Hessen in innerster Seele
verhaßt und er dankte Gott, daß er unter derselben nicht mehr zu dienen
brauchte. Mit wahrem Jubel begrüßte er daher den Umschwung des Jahres
1813. Freilich mußte er diesen Jubel zunächst theuer bezahlen. Denn
der auf dem Schlachtfelde viel erprobte, alte Kriegsheld mußte noch die
Schmach erleben, daß im Herbst 1813 von Kosaken sein Haus geplündert
und er selbst von den Unholden mißhandelt wurde. Auf seine Beschwerde
wurde vom russischen General von Winzingerode, welcher vormals hessischer
Jäger-Hauptmann gewesen war und den Oberförster Grau von jener Zeit
her sehr wohl kannte, sofort von Kassel aus eine Abtheilung Husaren auf¬
geboten, um die Marodeure einzufangen und zu bestrafen.

Als im November 1813 Kurfürst Wilhelm I. nach Hessen zurückkehrte,
war der alte Oberförster Grau einer der ersten, welche ihm auf Wilhelms¬
höhe ihre Aufwartung machten. Da der Oberförster Grau ein sehr hohes
Alter erreichte, so besuchte ihn der Kurfürst zuweilen und fragte ihn einst,
wie er es anfange, daß er immer an Geist und Körper so frisch und rüstig
bleibe. Der Oberförster war ein starker Raucher. Indem er nun dem Kur¬
fürsten seine tägliche Lebensweise schilderte, bezeichnete er die verschiedenen Ab¬
schnitte des Tages (Aufstehen, Kaffeetrinken, Frühstück. Mittagsessen u. s. w.)
jedesmal mit den Worten: "Dann mache ich mir eine Pfeife an", so daß der
Kurfürst, welcher selbst nicht rauchte, endlich zu ihm sagte: "Aber mein lieber
Oberförster, er thut ja den ganzen Tag nichts als Pfeifen anmachen." Der
Kurfürst blieb ihm stets gewogen und nahm ihn sich gewissermaßen zum
Muster, indem er hoffte ein ebenso hohes Alter zu erreichen, als der Ober¬
förster Grau zu Kirchdttmold. Doch starb Kurfürst Wilhelm I. vor letzterem
im Jahre 1821. 78 Jahre alt, während Grau 1823 in dem hohen Alter
von 93 Jahren zu Kirchditmold verschied. Er hinterließ zwei Söhne, von denen
der ältere, wie schon erwähnt, sein Amtsnachfolger in dem Forsthaus zu Kirch¬
ditmold geworden war. Dieser Sohn spielte in dem Aufstand der Hessen im
Jahre 1809 insofern eine Rolle, als er beschuldigt wurde, den Aufruhr in
dem zu seinem Bezirk gehörigen Dorf Dörnberg mit angestiftet zu haben.
Er wurde in Folge dessen verhaftet und in das Kastell abgeführt, welches
Mit Gefangenen aus allen Ständen überfüllt war. Während mehrere Führer
des Aufstandes durch das westfälische Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und
auf dem sog. Forste erschossen wurden, saß der Förster Grau, den Tod immer
vor Augen, längere Zeit in dem Kastell. Seine Schwester, eine durch Schön¬
heit und Entschlossenheit ausgezeichnete Frau, welche an einen Kasseler Bür¬
ger verheirathet war, that auf Wilhelms-, oder wie es damals hieß, Na¬
poleonshöhe einen Fußfall vor der Königin Katharina und bat um Gnade


und war kurz vor der westfälischen Zeit in Pension getreten. Die franzö¬
sische Wirthschaft war ihm, als einem guten, alten Hessen in innerster Seele
verhaßt und er dankte Gott, daß er unter derselben nicht mehr zu dienen
brauchte. Mit wahrem Jubel begrüßte er daher den Umschwung des Jahres
1813. Freilich mußte er diesen Jubel zunächst theuer bezahlen. Denn
der auf dem Schlachtfelde viel erprobte, alte Kriegsheld mußte noch die
Schmach erleben, daß im Herbst 1813 von Kosaken sein Haus geplündert
und er selbst von den Unholden mißhandelt wurde. Auf seine Beschwerde
wurde vom russischen General von Winzingerode, welcher vormals hessischer
Jäger-Hauptmann gewesen war und den Oberförster Grau von jener Zeit
her sehr wohl kannte, sofort von Kassel aus eine Abtheilung Husaren auf¬
geboten, um die Marodeure einzufangen und zu bestrafen.

Als im November 1813 Kurfürst Wilhelm I. nach Hessen zurückkehrte,
war der alte Oberförster Grau einer der ersten, welche ihm auf Wilhelms¬
höhe ihre Aufwartung machten. Da der Oberförster Grau ein sehr hohes
Alter erreichte, so besuchte ihn der Kurfürst zuweilen und fragte ihn einst,
wie er es anfange, daß er immer an Geist und Körper so frisch und rüstig
bleibe. Der Oberförster war ein starker Raucher. Indem er nun dem Kur¬
fürsten seine tägliche Lebensweise schilderte, bezeichnete er die verschiedenen Ab¬
schnitte des Tages (Aufstehen, Kaffeetrinken, Frühstück. Mittagsessen u. s. w.)
jedesmal mit den Worten: „Dann mache ich mir eine Pfeife an", so daß der
Kurfürst, welcher selbst nicht rauchte, endlich zu ihm sagte: „Aber mein lieber
Oberförster, er thut ja den ganzen Tag nichts als Pfeifen anmachen." Der
Kurfürst blieb ihm stets gewogen und nahm ihn sich gewissermaßen zum
Muster, indem er hoffte ein ebenso hohes Alter zu erreichen, als der Ober¬
förster Grau zu Kirchdttmold. Doch starb Kurfürst Wilhelm I. vor letzterem
im Jahre 1821. 78 Jahre alt, während Grau 1823 in dem hohen Alter
von 93 Jahren zu Kirchditmold verschied. Er hinterließ zwei Söhne, von denen
der ältere, wie schon erwähnt, sein Amtsnachfolger in dem Forsthaus zu Kirch¬
ditmold geworden war. Dieser Sohn spielte in dem Aufstand der Hessen im
Jahre 1809 insofern eine Rolle, als er beschuldigt wurde, den Aufruhr in
dem zu seinem Bezirk gehörigen Dorf Dörnberg mit angestiftet zu haben.
Er wurde in Folge dessen verhaftet und in das Kastell abgeführt, welches
Mit Gefangenen aus allen Ständen überfüllt war. Während mehrere Führer
des Aufstandes durch das westfälische Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und
auf dem sog. Forste erschossen wurden, saß der Förster Grau, den Tod immer
vor Augen, längere Zeit in dem Kastell. Seine Schwester, eine durch Schön¬
heit und Entschlossenheit ausgezeichnete Frau, welche an einen Kasseler Bür¬
ger verheirathet war, that auf Wilhelms-, oder wie es damals hieß, Na¬
poleonshöhe einen Fußfall vor der Königin Katharina und bat um Gnade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/81>, abgerufen am 15.05.2024.