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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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des Königs von Württemberg, eine Spazierfahrt nach Kirchditmold machte.
Der König hatte von dem originellen Oberförster so viel erzählen hören,
daß er begierig war, denselben persönlich kennen zu lernen. Der königliche
Wagen hält vor dem Försterhaus, der alte Oberförster wird herausgerufen
und über seine Erlebnisse von der Königin befragt; diese verdolmetschte dann
seine Antworten dem König Jerome, der bekanntlich die Sprache seiner ge¬
liebten Unterthanen nie gelernt. Bei dieser Gelegenheit kam der alte Ober¬
förster Grau auch auf das Sanderhäuser Gefecht zu sprechen, und hierbei
gerieth das hessische Soldatenblut so in Wallung, daß er, ohne zu bedenken,
mit wem er sprach, ausrief: "Majestät, da haben wir Jäger aber die Fran¬
zosen so zusammengeschossen, daß die Todten haufenhoch gelegen haben."
König Jerome, dem auch diese Aeußerung übersetzt wurde, lachte darüber
und ließ den alten Oberförster fragen, wie lange er als Förster gedient hätte,
und welche Pension er bezöge. Letztere erschien dem König so geringfügig,
daß er sie hinfort aus seiner Schatullkasse verdoppelte.

Trotzdem blieb Grau stets ein guter Hesse. Seinen weidmännischen Zorn
erregte es, wenn sein Sohn, welcher sein Nachfolger im Amt geworden war,
in den Waldungen des sog. Leibgeheges starke Hirsche von 16 oder 18 Enden
einfangen mußte, welche dann bei den Parforcejagden in der Ane bei Kassel
zu Tod gehetzt wurden. Die Königin Katharina, welche selbst eine große
Liebhaberin der Jagd war, ließ sich außerdem durch ihren Stallmeister vier
Sechzehnender so dressiren, daß sie mit ihnen Schlitten fahren konnte.

Der Oberförster Grau war übrigens kein Forstmann nach heutiger Art,
sondern ein Jäger alten Schlages, wie man sie damals nur kannte. Denn
in jener Zeit "studirte" man nicht, wie heutzutage, "Forstwissenschaft", son¬
dern man "erlernte" zunftmäßig bei einem bewährten Jäger die "Jägerei"
und erhielt nach überstandener Lehrzeit, wie bei jedem Handwerk, einen ord¬
nungsmäßigen Lehrbrief, durch welchen man die Berechtigung erlangte, in
das militärische Jägercorps aufgenommen zu werden. In demselben blieb
man, bis man eine Anstellung als Förster fand. Bor einer solchen fand
eine Art Examen statt; dieses wurde aber nicht vor einer hochgelehrten
Prüfungscommission, sondern sehr einfach vor dem jedesmaligen Oberförster
von Kirchditmold abgelegt, welcher damit beauftragt war, die Qualification
sämmtlicher hessischen Förster festzustellen. Das Verfahren bei dieser sog.
Prüfung muß ein ebenso praktisches als kurzes gewesen sein; denn in der
Regel war die ganze Sache binnen einer Stunde abgemacht. Der Geprüfte
erhielt dann ein Zeugniß und legte dieses dem Oberforstcollegium vor, wo¬
rauf er in die sog. Versorgungsliste ausgenommen wurde und seine Anstellung
als Förster abwartete. --

Bis in seine siebziger Jahre hatte Grau sein Amt treulich verwaltet


des Königs von Württemberg, eine Spazierfahrt nach Kirchditmold machte.
Der König hatte von dem originellen Oberförster so viel erzählen hören,
daß er begierig war, denselben persönlich kennen zu lernen. Der königliche
Wagen hält vor dem Försterhaus, der alte Oberförster wird herausgerufen
und über seine Erlebnisse von der Königin befragt; diese verdolmetschte dann
seine Antworten dem König Jerome, der bekanntlich die Sprache seiner ge¬
liebten Unterthanen nie gelernt. Bei dieser Gelegenheit kam der alte Ober¬
förster Grau auch auf das Sanderhäuser Gefecht zu sprechen, und hierbei
gerieth das hessische Soldatenblut so in Wallung, daß er, ohne zu bedenken,
mit wem er sprach, ausrief: „Majestät, da haben wir Jäger aber die Fran¬
zosen so zusammengeschossen, daß die Todten haufenhoch gelegen haben."
König Jerome, dem auch diese Aeußerung übersetzt wurde, lachte darüber
und ließ den alten Oberförster fragen, wie lange er als Förster gedient hätte,
und welche Pension er bezöge. Letztere erschien dem König so geringfügig,
daß er sie hinfort aus seiner Schatullkasse verdoppelte.

Trotzdem blieb Grau stets ein guter Hesse. Seinen weidmännischen Zorn
erregte es, wenn sein Sohn, welcher sein Nachfolger im Amt geworden war,
in den Waldungen des sog. Leibgeheges starke Hirsche von 16 oder 18 Enden
einfangen mußte, welche dann bei den Parforcejagden in der Ane bei Kassel
zu Tod gehetzt wurden. Die Königin Katharina, welche selbst eine große
Liebhaberin der Jagd war, ließ sich außerdem durch ihren Stallmeister vier
Sechzehnender so dressiren, daß sie mit ihnen Schlitten fahren konnte.

Der Oberförster Grau war übrigens kein Forstmann nach heutiger Art,
sondern ein Jäger alten Schlages, wie man sie damals nur kannte. Denn
in jener Zeit „studirte" man nicht, wie heutzutage, „Forstwissenschaft", son¬
dern man „erlernte" zunftmäßig bei einem bewährten Jäger die „Jägerei"
und erhielt nach überstandener Lehrzeit, wie bei jedem Handwerk, einen ord¬
nungsmäßigen Lehrbrief, durch welchen man die Berechtigung erlangte, in
das militärische Jägercorps aufgenommen zu werden. In demselben blieb
man, bis man eine Anstellung als Förster fand. Bor einer solchen fand
eine Art Examen statt; dieses wurde aber nicht vor einer hochgelehrten
Prüfungscommission, sondern sehr einfach vor dem jedesmaligen Oberförster
von Kirchditmold abgelegt, welcher damit beauftragt war, die Qualification
sämmtlicher hessischen Förster festzustellen. Das Verfahren bei dieser sog.
Prüfung muß ein ebenso praktisches als kurzes gewesen sein; denn in der
Regel war die ganze Sache binnen einer Stunde abgemacht. Der Geprüfte
erhielt dann ein Zeugniß und legte dieses dem Oberforstcollegium vor, wo¬
rauf er in die sog. Versorgungsliste ausgenommen wurde und seine Anstellung
als Förster abwartete. —

Bis in seine siebziger Jahre hatte Grau sein Amt treulich verwaltet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/80>, abgerufen am 31.05.2024.