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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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zwischen beiden Heeren über einen Waffenstillstand unterhandelte, erging sich
Harald im nahen Walde, und als er hier eines Bedürfnisses wegen hinter
einem Gebüsch sich niederließ, wurde er von Toko überrascht und von dem
nach Rache lechzender Manne mit einem Pfeilschuß tödtlich verwundet. Die
Seinigen brachten ihn nach Julin, wo er bald darauf verschied.

Man sieht, daß hier alle Hauptpunkte mit der Sage vom schweizerischen
Tell zusammentreffen: der Schuß nach dem Apfel auf dem Haupte des Kindes,
das Bereithalten mehrerer Geschosse von Seiten des Schützen, dessen freies
Wort an den grausamen Gebieter, der wagehalsige Rutsch vom Felsen, der
in der Schweiz zum wagehalsigen Sprunge wird, und der Fall des Bedrängers
durch die Hand des Bedrängten. Mit Harald's Sohn Sweno, der die Waffen
gegen den eigenen Vater kehrt, ist Johann Parricida zu vergleichen. Der
König bringt dadurch, daß er Menschen und Ochsen zusammenspannt, sein
Volk zur Empörung, in der Chronik des Weißen Buches, die Tell's zuerst
gedenkt, bewirkt der Vogt Landenberg dasselbe, indem er dem Melchthal die
Ochsen vom Pfluge nehmen und ihm sagen läßt, .purer (Bauern) solten
den pflüg zielt." Harald wird hinter einem Gebüsch erschossen, Etterlin's
Chronik läßt den Landvogt von Tell "zuo Küßnach in der holen Gassen
HInder eynem poschenstuden" getödtet werden.

Altnordische Abarten der Eigil" und Tokosage sind die von Eindridi
und Heming. Eindridi verspricht dem norwegischen König Olaf Tryggwason
(!- 1030), sich taufen zu lassen, wenn er ihn in drei Künsten: Schwimmen,
Bogenschießen und Messerwerfen überträfe. Da Eindridi's Geschicklichkeit als
Schütze bekannt ist, so bestimmt der König, daß sie vom Kopfe eines Knaben,
den jener sehr liebt, eine Tafel herabzuschießen versuchen sollen. Man läßt
nun dem Knaben die Augen verbinden und das Tuch von zwei Männern
an den Enden festhalten, damit er vor dem heranschwirrenden Pfeile nicht
zusammenzucke. Darauf schießt der König zwischen Kopf und Tafel durch.
(Nach andern streifte er den Knaben, so daß er blutete.) Eindridi dagegen
unterläßt auf Bitten der Mutter und Schwester desselben den Schuß und
erklärte sich für besiegt. In der andern, ebenfalls in Norwegen spielenden
Sage besucht der König Harald Hardrade Sigurdson (5 1066) einst Asiat,
einen reichen Bauer auf der Insel Torg, und fordert dort dessen Sohn
Heming zum Wettstreit im Bogenschießen auf. Als er sieht, daß er diesem
dabei nicht gleichkommt, zwingt er ihn bei Verlust des Lebens, dessen Bruder
Blom eine Haselnuß vom Kopfe zu schießen. Der Schuß gelingt. Als
Harald aber dann einen Kriegszug gegen England unternimmt, stellt sich
Heming auf die Seite der Engländer und bezeichnet in der Schlacht bet
Stamfordbridge den König durch einen abgeschossnen Pfeil so genau, daß ein
anderer Schütze denselben erkennt und tödtlich verwundet.


zwischen beiden Heeren über einen Waffenstillstand unterhandelte, erging sich
Harald im nahen Walde, und als er hier eines Bedürfnisses wegen hinter
einem Gebüsch sich niederließ, wurde er von Toko überrascht und von dem
nach Rache lechzender Manne mit einem Pfeilschuß tödtlich verwundet. Die
Seinigen brachten ihn nach Julin, wo er bald darauf verschied.

Man sieht, daß hier alle Hauptpunkte mit der Sage vom schweizerischen
Tell zusammentreffen: der Schuß nach dem Apfel auf dem Haupte des Kindes,
das Bereithalten mehrerer Geschosse von Seiten des Schützen, dessen freies
Wort an den grausamen Gebieter, der wagehalsige Rutsch vom Felsen, der
in der Schweiz zum wagehalsigen Sprunge wird, und der Fall des Bedrängers
durch die Hand des Bedrängten. Mit Harald's Sohn Sweno, der die Waffen
gegen den eigenen Vater kehrt, ist Johann Parricida zu vergleichen. Der
König bringt dadurch, daß er Menschen und Ochsen zusammenspannt, sein
Volk zur Empörung, in der Chronik des Weißen Buches, die Tell's zuerst
gedenkt, bewirkt der Vogt Landenberg dasselbe, indem er dem Melchthal die
Ochsen vom Pfluge nehmen und ihm sagen läßt, .purer (Bauern) solten
den pflüg zielt." Harald wird hinter einem Gebüsch erschossen, Etterlin's
Chronik läßt den Landvogt von Tell „zuo Küßnach in der holen Gassen
HInder eynem poschenstuden" getödtet werden.

Altnordische Abarten der Eigil« und Tokosage sind die von Eindridi
und Heming. Eindridi verspricht dem norwegischen König Olaf Tryggwason
(!- 1030), sich taufen zu lassen, wenn er ihn in drei Künsten: Schwimmen,
Bogenschießen und Messerwerfen überträfe. Da Eindridi's Geschicklichkeit als
Schütze bekannt ist, so bestimmt der König, daß sie vom Kopfe eines Knaben,
den jener sehr liebt, eine Tafel herabzuschießen versuchen sollen. Man läßt
nun dem Knaben die Augen verbinden und das Tuch von zwei Männern
an den Enden festhalten, damit er vor dem heranschwirrenden Pfeile nicht
zusammenzucke. Darauf schießt der König zwischen Kopf und Tafel durch.
(Nach andern streifte er den Knaben, so daß er blutete.) Eindridi dagegen
unterläßt auf Bitten der Mutter und Schwester desselben den Schuß und
erklärte sich für besiegt. In der andern, ebenfalls in Norwegen spielenden
Sage besucht der König Harald Hardrade Sigurdson (5 1066) einst Asiat,
einen reichen Bauer auf der Insel Torg, und fordert dort dessen Sohn
Heming zum Wettstreit im Bogenschießen auf. Als er sieht, daß er diesem
dabei nicht gleichkommt, zwingt er ihn bei Verlust des Lebens, dessen Bruder
Blom eine Haselnuß vom Kopfe zu schießen. Der Schuß gelingt. Als
Harald aber dann einen Kriegszug gegen England unternimmt, stellt sich
Heming auf die Seite der Engländer und bezeichnet in der Schlacht bet
Stamfordbridge den König durch einen abgeschossnen Pfeil so genau, daß ein
anderer Schütze denselben erkennt und tödtlich verwundet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/90>, abgerufen am 31.05.2024.