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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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werden, und wenn der Prahler den Apfel auf des Söhnleins Haupte nicht
mit dem ersten Pfeile durchbohre, so habe er mit seinem Leben sein freches
Reden zu büßen. Nun holte Toko den Sohn herbei, stellte ihn mit dem
Gesichte gegen das Ziel und sprach ihm Muth ein: unverwandten Hauptes
und unbeweglich müsse er das Schwirren des heranfliegenden Pfeiles erwar¬
ten, das geringste Zucken könnte den sichersten Schuß vereiteln. Er nahm
hierauf drei Pfeile aus dem Köcher, legte den ersten auf die Sehne und traf
den Apfel. Hätte er gefehlt und den Knaben ins Haupt getroffen, so wäre
der Mord auf den Bater gefallen, und man hätte den Schützen dem Er¬
schossenen nachgeschickt. Vom Könige alsdann befragt, wozu er mehrere
Pfeile aus dem Köcher genommen, da doch sein Heil nur auf einem Schusse
gestanden habe, erwiederte Toko: "Um an dir das Festgeber des ersten mit
der Schärfe der beiden andern zu rächen; denn nicht blos die Unschuld soll
gestraft werden, und deine Gewaltthätigkeit soll nicht ungerochen bleiben."
Mit diesem freimüthigen Worte gab er zu verstehen, daß ihm allerdings der
Titel des Tapfern, dem Könige aber eine herbe Rüge gebühre.

Allein vergebens hatte Toko diese für sein Vaterherz gefährlichste Klippe
nun umfahren, bald darauf brach ein ebenso schweres Gewitter über ihn los.
König Harald pflegte nämlich jener Fertigkeit sich zu berühmen, mit denen
die Finnen ihre verschneiten Gebirge auf Schneeschuhen durchfahren. Als
nun Toko auch hierin seine Geschicklichkeit derjenigen des Königs gegenüber¬
zustellen wagte, wurde er abermals beim Worte genommen und mußte die
Probe seiner Behauptung beim Felsen Kolla bestehen. Doch auch diesmal
hatte er, wie der Erfolg bewies, nicht eitel geredet. Er bestieg die Höhe jener
Meeresklippe, hatte nichts als seinen Leitstab, schnürte die glatten Schritt¬
platten an die Sohlen und fuhr dann mit reißenden Rutsch in die Tiefe.
Das blosse Erblicken der grausigen Abgründe würde Jeden noch vor Beginn
des Wagnisses außer sich gebracht und mit völliger Stumpfheit geschlagen
haben; er aber, auf abschüssigem Fels mit Blitzesschnelle hinabsausend, blieb
beherzt und wußte mit sicherer Hand den steuernden Leitstab zu führen.
Zwar gingen die schwachen Schneeschuhe an dem scharfen Gestein in Stücke,
und er selbst war nahe daran, ins Meer zu' stürzen, dennoch erreichte er
glücklich das Gestade und wurde von einem Schiffe aufgenommen. Als man
hernach die Trümmer der Schneeschuhe auffischte und dem König überbrachte,
hielt ihn dieser, der nichts weiter erfuhr, für todt.

Inzwischen war Harald in seiner Grausamkett gegen die Unterthanen
soweit gegangen. Menschen mit Ochsen zusammenspannen zu lassen. Darüber
empörten sich die Dänen, des Königs Sohn Sweno trat auf die Seite des
Volkes und wurde auf den Thron erhoben, Vater und Sohn rückten gegen¬
einander zu Felde, unter Sweno's Truppen stand Toko. Während man


werden, und wenn der Prahler den Apfel auf des Söhnleins Haupte nicht
mit dem ersten Pfeile durchbohre, so habe er mit seinem Leben sein freches
Reden zu büßen. Nun holte Toko den Sohn herbei, stellte ihn mit dem
Gesichte gegen das Ziel und sprach ihm Muth ein: unverwandten Hauptes
und unbeweglich müsse er das Schwirren des heranfliegenden Pfeiles erwar¬
ten, das geringste Zucken könnte den sichersten Schuß vereiteln. Er nahm
hierauf drei Pfeile aus dem Köcher, legte den ersten auf die Sehne und traf
den Apfel. Hätte er gefehlt und den Knaben ins Haupt getroffen, so wäre
der Mord auf den Bater gefallen, und man hätte den Schützen dem Er¬
schossenen nachgeschickt. Vom Könige alsdann befragt, wozu er mehrere
Pfeile aus dem Köcher genommen, da doch sein Heil nur auf einem Schusse
gestanden habe, erwiederte Toko: „Um an dir das Festgeber des ersten mit
der Schärfe der beiden andern zu rächen; denn nicht blos die Unschuld soll
gestraft werden, und deine Gewaltthätigkeit soll nicht ungerochen bleiben."
Mit diesem freimüthigen Worte gab er zu verstehen, daß ihm allerdings der
Titel des Tapfern, dem Könige aber eine herbe Rüge gebühre.

Allein vergebens hatte Toko diese für sein Vaterherz gefährlichste Klippe
nun umfahren, bald darauf brach ein ebenso schweres Gewitter über ihn los.
König Harald pflegte nämlich jener Fertigkeit sich zu berühmen, mit denen
die Finnen ihre verschneiten Gebirge auf Schneeschuhen durchfahren. Als
nun Toko auch hierin seine Geschicklichkeit derjenigen des Königs gegenüber¬
zustellen wagte, wurde er abermals beim Worte genommen und mußte die
Probe seiner Behauptung beim Felsen Kolla bestehen. Doch auch diesmal
hatte er, wie der Erfolg bewies, nicht eitel geredet. Er bestieg die Höhe jener
Meeresklippe, hatte nichts als seinen Leitstab, schnürte die glatten Schritt¬
platten an die Sohlen und fuhr dann mit reißenden Rutsch in die Tiefe.
Das blosse Erblicken der grausigen Abgründe würde Jeden noch vor Beginn
des Wagnisses außer sich gebracht und mit völliger Stumpfheit geschlagen
haben; er aber, auf abschüssigem Fels mit Blitzesschnelle hinabsausend, blieb
beherzt und wußte mit sicherer Hand den steuernden Leitstab zu führen.
Zwar gingen die schwachen Schneeschuhe an dem scharfen Gestein in Stücke,
und er selbst war nahe daran, ins Meer zu' stürzen, dennoch erreichte er
glücklich das Gestade und wurde von einem Schiffe aufgenommen. Als man
hernach die Trümmer der Schneeschuhe auffischte und dem König überbrachte,
hielt ihn dieser, der nichts weiter erfuhr, für todt.

Inzwischen war Harald in seiner Grausamkett gegen die Unterthanen
soweit gegangen. Menschen mit Ochsen zusammenspannen zu lassen. Darüber
empörten sich die Dänen, des Königs Sohn Sweno trat auf die Seite des
Volkes und wurde auf den Thron erhoben, Vater und Sohn rückten gegen¬
einander zu Felde, unter Sweno's Truppen stand Toko. Während man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/89>, abgerufen am 31.05.2024.