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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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105,000 Mann stark warm und unter dem Oberbefehl des Feldmarschalls
Fürsten Wittgenstein standen, welchem der General Diebitsch als Chef des Ge¬
neralstabs beigegeben war. Die Truppen zerfielen in drei Armeecorps: das
dritte unter General Radzewitsch mit 50,500 Mann und 228 Geschützen, das
sechste unter General Roth mit 25,500 Mann und 90 Geschützen und das
siebente unter General Vvinoff mit 29,300 Mann und 144 Geschützen. Die
türkische Armee hatte sich noch nicht vereinigt, als die Russen am 7. Mai den
Pruth überschritten und sich dem linken Dvnauufer näherten. Sie sollte aus
etwa 80,000 europäisch organisirten und geschulten Soldaten, unter denen sich 40,000
Mann Infanterie, 30,000 Mann Artillerie, Genie n. d. und gegen 10,000
Reiter befanden, bestehen, wozu noch 30,000 Arnauten und Bosniaken und
35,000 andere Irreguläre kamen, die in den übrigen Provinzen Europas und
in Kleinasien aufgehoben worden waren. Das türkische Heer zählte somit im
Ganzen 145,000 Mann, doch mußten circa 75,000 davon zur Besetzung der
Donanfestungen, Konstantinopels und der griechischen Grenze verwendet werden,
so daß nicht mehr als 70,000 als mobiles Corps gegen die Russen Front
machen konnten. Den Oberbefehl über dasselbe führte der Seraskier von Ru-
melien Hussein Pascha. Auf dem kleinasiatischen Kriegsschauplatze hatte der
Seraskier vou Anatolien Galib Pascha ungefähr 30,000 Reguläre nebst den
Milizen der Paschaliks Wan, Kars und Achalzich zu seiner Verfügung.

Nach dem russischen Feldzugsplane war das sechste Armeecorps zunächst
bestimmt, Silistria einzunehmen. Es überschritt den Pruth, besetzte Jassy und
traf am 13. Mai in Bukarest ein, stieß aber dann ans verschiedene Hindernisse,
welche den Uebergang über die Donan mehrere Wochen verzögerten, und über
die wir später berichten werden.

Das siebente Corps, bei dem sich der Großfürst Michael befand, hatte die
Aufgabe, zuerst die auf dem linken Ufer der Donau gelegene Festung Jbrail
zu nehmen und dann sich mit dem dritten zu verewigen. Dieses letztere, die
eigentliche Angriffseolvnue, sollte die Donau bei Jsaktschi zwischen Jbrail und
Ismail überschreiten, nach dem Schwarzen Meere vorrücken und an dessen
Küste einige Hafenplätze besetzen, welche den Russen die Zufuhr von Lebens¬
mitteln und Truppenverstärkungen zur See sicherten. Die russische Flotte,
von Admiral Greigh befehligt, beherrschte damals das Schwarze Meer, weil
die Seemacht der Türken kurz vorher bei Navarino fast ganz vernichtet worden
war. Da also die Russen hier nichts zu fürchten hatten, gedachten sie, statt
wie früher durch das Innere des Landes vorzudringen, ihre Operationslinien
an der Meeresküste einzunehmen. Von hier aus sollte das dritte Corps, wenn
das siebente Jbrail genommen, mit jenem vereint die festen Positionen von
Schumla und Warna angreifen, welche der Schlüssel zum Herzen der Türkei


105,000 Mann stark warm und unter dem Oberbefehl des Feldmarschalls
Fürsten Wittgenstein standen, welchem der General Diebitsch als Chef des Ge¬
neralstabs beigegeben war. Die Truppen zerfielen in drei Armeecorps: das
dritte unter General Radzewitsch mit 50,500 Mann und 228 Geschützen, das
sechste unter General Roth mit 25,500 Mann und 90 Geschützen und das
siebente unter General Vvinoff mit 29,300 Mann und 144 Geschützen. Die
türkische Armee hatte sich noch nicht vereinigt, als die Russen am 7. Mai den
Pruth überschritten und sich dem linken Dvnauufer näherten. Sie sollte aus
etwa 80,000 europäisch organisirten und geschulten Soldaten, unter denen sich 40,000
Mann Infanterie, 30,000 Mann Artillerie, Genie n. d. und gegen 10,000
Reiter befanden, bestehen, wozu noch 30,000 Arnauten und Bosniaken und
35,000 andere Irreguläre kamen, die in den übrigen Provinzen Europas und
in Kleinasien aufgehoben worden waren. Das türkische Heer zählte somit im
Ganzen 145,000 Mann, doch mußten circa 75,000 davon zur Besetzung der
Donanfestungen, Konstantinopels und der griechischen Grenze verwendet werden,
so daß nicht mehr als 70,000 als mobiles Corps gegen die Russen Front
machen konnten. Den Oberbefehl über dasselbe führte der Seraskier von Ru-
melien Hussein Pascha. Auf dem kleinasiatischen Kriegsschauplatze hatte der
Seraskier vou Anatolien Galib Pascha ungefähr 30,000 Reguläre nebst den
Milizen der Paschaliks Wan, Kars und Achalzich zu seiner Verfügung.

Nach dem russischen Feldzugsplane war das sechste Armeecorps zunächst
bestimmt, Silistria einzunehmen. Es überschritt den Pruth, besetzte Jassy und
traf am 13. Mai in Bukarest ein, stieß aber dann ans verschiedene Hindernisse,
welche den Uebergang über die Donan mehrere Wochen verzögerten, und über
die wir später berichten werden.

Das siebente Corps, bei dem sich der Großfürst Michael befand, hatte die
Aufgabe, zuerst die auf dem linken Ufer der Donau gelegene Festung Jbrail
zu nehmen und dann sich mit dem dritten zu verewigen. Dieses letztere, die
eigentliche Angriffseolvnue, sollte die Donau bei Jsaktschi zwischen Jbrail und
Ismail überschreiten, nach dem Schwarzen Meere vorrücken und an dessen
Küste einige Hafenplätze besetzen, welche den Russen die Zufuhr von Lebens¬
mitteln und Truppenverstärkungen zur See sicherten. Die russische Flotte,
von Admiral Greigh befehligt, beherrschte damals das Schwarze Meer, weil
die Seemacht der Türken kurz vorher bei Navarino fast ganz vernichtet worden
war. Da also die Russen hier nichts zu fürchten hatten, gedachten sie, statt
wie früher durch das Innere des Landes vorzudringen, ihre Operationslinien
an der Meeresküste einzunehmen. Von hier aus sollte das dritte Corps, wenn
das siebente Jbrail genommen, mit jenem vereint die festen Positionen von
Schumla und Warna angreifen, welche der Schlüssel zum Herzen der Türkei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/232>, abgerufen am 21.05.2024.