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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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unter sind nahe. Lebe wohl, o WelV, lebt wohl, ihr Menschen! Lebt wohl,
Vater und Mutter, nimmermehr werde ich euch scheu. Helena, mein Sohn,
lebt ewig wohl. -- O, mein Sohn, ich will hingehen und Dich segnen. -- Ich
ihn segnen? Ich von Gott Verfluchter, ich Wurm ihn segnen? Ein Sturm¬
wind wird meinen Segen von meinen Lippen wehen. -- Wie bin ich entkräftet!
-- Meine Seele keucht nach Ruhe." Mephistopheles gibt sich Faust jetzt zu
erkennen, indem er einen Teppich von einem Tische hebt, auf welchem sich
allerlei Mordgewehre befinden. Er sagt ihm: "Diese verächtliche Hülle mußt
Du ablegen; mit Staub tritt man nicht in unsre Wohnungen. Wühle hier
das letzte Geschenk. Willst Du das Schwert, den Giftbecher, das tödtliche Blei,
den Strick? Sieh, das sind unsre Orden, womit wir am Ende unsere Lieb¬
linge beschenken." Faust fragt, so solle er sich wohl selbst todten. Mephisto¬
pheles antwortet mit der Gegenfrage, ob er denn lieber mit Geräusch sterben
wolle. Er soll baun Faust die Zukunft aufdecken, und er erwidert, wie er
gesäet, so werde er ernten. Zum Schlüsse aber heißt er ihn den auf dem
Tische stehenden Becher nehmen und austrinken, er werde damit zum ersten
Male den Nektar der Hölle kosten. -- "Verfluchter Geist", ruft Faust ihm zu,
"entweich aus meinen Augen und laß mich die letzte Stunde noch vollends
genießen." -- "Das sollst Du", entgegnet Mephistopheles, "aber dann bist
Du mein. Trink, oder ich reiße Dich durch die Gemächer fort, Stirb, ver¬
zweifele, fluche Deinem Gott, verwünsche Dich! Ich gehe." Allein gelassen
verfüllt Faust wieder in Klagen und Jammern. "Allmächtiger", stöhnt er,
"ich suche Schutz vor Deinem fürchterlichen Grimme; ich fliehe vom Aufgange
zum Niedergange, aber überall begegnen mir Deine rächenden Donner. Nur
die Hölle beut mir einen Zufluchtsort dar, Satan ladet mich ein. -- Ich komme
schou! Trank der Hölle, todte mich und leite meine Seele in die Staaten des
Elends." Noch einmal dämmert die Hoffnung in ihm auf, und er fragt:
"Eine geheime Stimme flüstert mir zu -- Gott, ist dies die leise Stimme
Deiner Gnade? Ist der Sünder noch Deiner Erinnerung würdig? Oder Du,
Freund Jthuriel, hast Du Trost in mein Herz geflößt?-- Es sind Täuschungen.
Nichts übrige mir. Sieh, wie die Hölle ihr Flammenmeer und Schwefelwetter
auf mich ausspeit, ihren gefräßigen Rachen weit aufsperrt und nach ihrer
Beute brüllt. Ja, ich komme schon! -- Ich trinke. -- Es ist geschehen." --
"Ha, das Gift wirkt. Angst und Entsetzen ergreift mich wie eine Gebärerin,
das Verderbe" nähert sich mit geschäftigen Fittigen. O Zeit, die ich muth¬
willig erwürget, Du stehst vor meinen Augen! O Gnade, die ich hartnäckig
von mir gestoßen, Du verfolgst mich noch! -- Ha, hörst Du die röchelnde
Todespvsaune? -- Dort rasseln die Gebeinhäuser. Der immer wache Satan
schleicht wie ein Tiger herum. Welche Nacht sinkt dort herab? -- O gewaltiger


unter sind nahe. Lebe wohl, o WelV, lebt wohl, ihr Menschen! Lebt wohl,
Vater und Mutter, nimmermehr werde ich euch scheu. Helena, mein Sohn,
lebt ewig wohl. — O, mein Sohn, ich will hingehen und Dich segnen. — Ich
ihn segnen? Ich von Gott Verfluchter, ich Wurm ihn segnen? Ein Sturm¬
wind wird meinen Segen von meinen Lippen wehen. — Wie bin ich entkräftet!
— Meine Seele keucht nach Ruhe." Mephistopheles gibt sich Faust jetzt zu
erkennen, indem er einen Teppich von einem Tische hebt, auf welchem sich
allerlei Mordgewehre befinden. Er sagt ihm: „Diese verächtliche Hülle mußt
Du ablegen; mit Staub tritt man nicht in unsre Wohnungen. Wühle hier
das letzte Geschenk. Willst Du das Schwert, den Giftbecher, das tödtliche Blei,
den Strick? Sieh, das sind unsre Orden, womit wir am Ende unsere Lieb¬
linge beschenken." Faust fragt, so solle er sich wohl selbst todten. Mephisto¬
pheles antwortet mit der Gegenfrage, ob er denn lieber mit Geräusch sterben
wolle. Er soll baun Faust die Zukunft aufdecken, und er erwidert, wie er
gesäet, so werde er ernten. Zum Schlüsse aber heißt er ihn den auf dem
Tische stehenden Becher nehmen und austrinken, er werde damit zum ersten
Male den Nektar der Hölle kosten. — „Verfluchter Geist", ruft Faust ihm zu,
„entweich aus meinen Augen und laß mich die letzte Stunde noch vollends
genießen." — „Das sollst Du", entgegnet Mephistopheles, „aber dann bist
Du mein. Trink, oder ich reiße Dich durch die Gemächer fort, Stirb, ver¬
zweifele, fluche Deinem Gott, verwünsche Dich! Ich gehe." Allein gelassen
verfüllt Faust wieder in Klagen und Jammern. „Allmächtiger", stöhnt er,
„ich suche Schutz vor Deinem fürchterlichen Grimme; ich fliehe vom Aufgange
zum Niedergange, aber überall begegnen mir Deine rächenden Donner. Nur
die Hölle beut mir einen Zufluchtsort dar, Satan ladet mich ein. — Ich komme
schou! Trank der Hölle, todte mich und leite meine Seele in die Staaten des
Elends." Noch einmal dämmert die Hoffnung in ihm auf, und er fragt:
„Eine geheime Stimme flüstert mir zu — Gott, ist dies die leise Stimme
Deiner Gnade? Ist der Sünder noch Deiner Erinnerung würdig? Oder Du,
Freund Jthuriel, hast Du Trost in mein Herz geflößt?— Es sind Täuschungen.
Nichts übrige mir. Sieh, wie die Hölle ihr Flammenmeer und Schwefelwetter
auf mich ausspeit, ihren gefräßigen Rachen weit aufsperrt und nach ihrer
Beute brüllt. Ja, ich komme schon! — Ich trinke. — Es ist geschehen." —
„Ha, das Gift wirkt. Angst und Entsetzen ergreift mich wie eine Gebärerin,
das Verderbe» nähert sich mit geschäftigen Fittigen. O Zeit, die ich muth¬
willig erwürget, Du stehst vor meinen Augen! O Gnade, die ich hartnäckig
von mir gestoßen, Du verfolgst mich noch! — Ha, hörst Du die röchelnde
Todespvsaune? — Dort rasseln die Gebeinhäuser. Der immer wache Satan
schleicht wie ein Tiger herum. Welche Nacht sinkt dort herab? — O gewaltiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/464>, abgerufen am 15.06.2024.