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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Städte Protest erhoben, vorwiegend von süddeutschen Städten. Die Städte,
nach ihrer Meinung ohnedies schon zu stark belastet, befürchten eine absolut
unerträgliche Steigerung ihrer Armenbudgets. Wir haben bereits in Art. 1 unsere
Ansicht über die angeblich zu große Belastung der Städte ausgesprochen und
Zwar dahin, daß wir dieselbe als nicht vorhanden erachten, indem mit der
gegen früher erhöhten Belastung sich den ländlichen Gemeinden gegenüber ein
Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit vollzogen habe. Wir begnügen uns, hier
auf jene Ausführung zu verweisen. Man betont, daß es doch absolut unbillig
wäre, deu hier in erster Linie in Betracht kommenden städtischen Gemeinden
die Unterstützungspflicht für einen Arbeiter aufzuerlegen, der erst ein Jahr lang
wirthschaftliche Leistungen in der Gemeinde zur Geltung bringt, vergißt aber
dabei, daß die Fälle, wo sofort im zweiten Jahre Unterstützungsbedürftigkeit
eintritt, zu den seltenen gehören Vor Allem aber läßt man unberücksichtigt,
daß es sich, wie die "Köln. Ztg." sehr richtig sagt, nicht um den Einen Arbeiter
handelt, der kurz uach einem Jahr der Erwerbsnnfähigkeit anheimfällt, sondern
um den freien Zuzug im Ganzen, um die Tausende zuziehender Arbeiter, die
erwerbsfähig bleiben, gedeihen und selbst die Unterstützuugslast ihren Mitbürgern
tragen helfen. Dieses in Betracht gezogen, wird doch die Furcht, als ob durch
die Herabsetzung der Frist von 2 Jahren ans 1 Jahr eine Ueberlastung bewirkt
werde, sich mehr und mehr als unbegründet erweisen, zumal im Hinblick ans
die gleichzeitig in Aussicht genommene, unter Ziffer 5 verzeichnete Gesetzes-
ergänznng.

Indessen angenommen, es würde die einjährige Frist eine erhebliche, wenn
auch unseres Trachtens an sich nicht gerechtfertigte Steigerung des Armen¬
aufwandes der Städte zur Folge haben, so hat man bereits schon von mehreren
Seiten darauf hingewiesen, daß es nur der ans Grund des Reichsgesetzes vom
8- April 1876 zu errichtenden obligatorischen Hilfskassen bedürfe, um die
dielleicht sich drückend erweisenden Wirkungen erfolgreich zu Paralysiren.

Die Schutzmittel --- so führt man aus -- welche das Gesetz den Armen-
Verbänden gegen das Eindringen solcher Personen gewährt, die voraussichtlich
bald der öffentlichen Unterstützung verfallen, seien bei der zweijährigen Frist
"sue großen praktischen Werth gewesen, sie würden durch Einführung der ein¬
jährigen Frist noch an Werth verlieren. Wir denken über diese Schutzmittel,
s"sern darunter vor Allem die Bestimmungen der Z§ 4 und 5 des Frcizügig-
keitsgesetzes gemeint sind, etwas anderes, als an mancher anderen Stelle gedacht
Wird. Was sodann die weiter gehörte Klage betrifft, daß bis jetzt schon ein
Abschub Unterstützungsbedürftiger nach den Städten stattgefunden habe in der
Weise, daß solche Personen von ihren Armenverbänden in der fremden Ge¬
meinde zwei Jahre lang heimlich unterstützt worden seien und so den Unter-


Städte Protest erhoben, vorwiegend von süddeutschen Städten. Die Städte,
nach ihrer Meinung ohnedies schon zu stark belastet, befürchten eine absolut
unerträgliche Steigerung ihrer Armenbudgets. Wir haben bereits in Art. 1 unsere
Ansicht über die angeblich zu große Belastung der Städte ausgesprochen und
Zwar dahin, daß wir dieselbe als nicht vorhanden erachten, indem mit der
gegen früher erhöhten Belastung sich den ländlichen Gemeinden gegenüber ein
Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit vollzogen habe. Wir begnügen uns, hier
auf jene Ausführung zu verweisen. Man betont, daß es doch absolut unbillig
wäre, deu hier in erster Linie in Betracht kommenden städtischen Gemeinden
die Unterstützungspflicht für einen Arbeiter aufzuerlegen, der erst ein Jahr lang
wirthschaftliche Leistungen in der Gemeinde zur Geltung bringt, vergißt aber
dabei, daß die Fälle, wo sofort im zweiten Jahre Unterstützungsbedürftigkeit
eintritt, zu den seltenen gehören Vor Allem aber läßt man unberücksichtigt,
daß es sich, wie die „Köln. Ztg." sehr richtig sagt, nicht um den Einen Arbeiter
handelt, der kurz uach einem Jahr der Erwerbsnnfähigkeit anheimfällt, sondern
um den freien Zuzug im Ganzen, um die Tausende zuziehender Arbeiter, die
erwerbsfähig bleiben, gedeihen und selbst die Unterstützuugslast ihren Mitbürgern
tragen helfen. Dieses in Betracht gezogen, wird doch die Furcht, als ob durch
die Herabsetzung der Frist von 2 Jahren ans 1 Jahr eine Ueberlastung bewirkt
werde, sich mehr und mehr als unbegründet erweisen, zumal im Hinblick ans
die gleichzeitig in Aussicht genommene, unter Ziffer 5 verzeichnete Gesetzes-
ergänznng.

Indessen angenommen, es würde die einjährige Frist eine erhebliche, wenn
auch unseres Trachtens an sich nicht gerechtfertigte Steigerung des Armen¬
aufwandes der Städte zur Folge haben, so hat man bereits schon von mehreren
Seiten darauf hingewiesen, daß es nur der ans Grund des Reichsgesetzes vom
8- April 1876 zu errichtenden obligatorischen Hilfskassen bedürfe, um die
dielleicht sich drückend erweisenden Wirkungen erfolgreich zu Paralysiren.

Die Schutzmittel —- so führt man aus — welche das Gesetz den Armen-
Verbänden gegen das Eindringen solcher Personen gewährt, die voraussichtlich
bald der öffentlichen Unterstützung verfallen, seien bei der zweijährigen Frist
"sue großen praktischen Werth gewesen, sie würden durch Einführung der ein¬
jährigen Frist noch an Werth verlieren. Wir denken über diese Schutzmittel,
s"sern darunter vor Allem die Bestimmungen der Z§ 4 und 5 des Frcizügig-
keitsgesetzes gemeint sind, etwas anderes, als an mancher anderen Stelle gedacht
Wird. Was sodann die weiter gehörte Klage betrifft, daß bis jetzt schon ein
Abschub Unterstützungsbedürftiger nach den Städten stattgefunden habe in der
Weise, daß solche Personen von ihren Armenverbänden in der fremden Ge¬
meinde zwei Jahre lang heimlich unterstützt worden seien und so den Unter-


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[0105] Städte Protest erhoben, vorwiegend von süddeutschen Städten. Die Städte, nach ihrer Meinung ohnedies schon zu stark belastet, befürchten eine absolut unerträgliche Steigerung ihrer Armenbudgets. Wir haben bereits in Art. 1 unsere Ansicht über die angeblich zu große Belastung der Städte ausgesprochen und Zwar dahin, daß wir dieselbe als nicht vorhanden erachten, indem mit der gegen früher erhöhten Belastung sich den ländlichen Gemeinden gegenüber ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit vollzogen habe. Wir begnügen uns, hier auf jene Ausführung zu verweisen. Man betont, daß es doch absolut unbillig wäre, deu hier in erster Linie in Betracht kommenden städtischen Gemeinden die Unterstützungspflicht für einen Arbeiter aufzuerlegen, der erst ein Jahr lang wirthschaftliche Leistungen in der Gemeinde zur Geltung bringt, vergißt aber dabei, daß die Fälle, wo sofort im zweiten Jahre Unterstützungsbedürftigkeit eintritt, zu den seltenen gehören Vor Allem aber läßt man unberücksichtigt, daß es sich, wie die „Köln. Ztg." sehr richtig sagt, nicht um den Einen Arbeiter handelt, der kurz uach einem Jahr der Erwerbsnnfähigkeit anheimfällt, sondern um den freien Zuzug im Ganzen, um die Tausende zuziehender Arbeiter, die erwerbsfähig bleiben, gedeihen und selbst die Unterstützuugslast ihren Mitbürgern tragen helfen. Dieses in Betracht gezogen, wird doch die Furcht, als ob durch die Herabsetzung der Frist von 2 Jahren ans 1 Jahr eine Ueberlastung bewirkt werde, sich mehr und mehr als unbegründet erweisen, zumal im Hinblick ans die gleichzeitig in Aussicht genommene, unter Ziffer 5 verzeichnete Gesetzes- ergänznng. Indessen angenommen, es würde die einjährige Frist eine erhebliche, wenn auch unseres Trachtens an sich nicht gerechtfertigte Steigerung des Armen¬ aufwandes der Städte zur Folge haben, so hat man bereits schon von mehreren Seiten darauf hingewiesen, daß es nur der ans Grund des Reichsgesetzes vom 8- April 1876 zu errichtenden obligatorischen Hilfskassen bedürfe, um die dielleicht sich drückend erweisenden Wirkungen erfolgreich zu Paralysiren. Die Schutzmittel —- so führt man aus — welche das Gesetz den Armen- Verbänden gegen das Eindringen solcher Personen gewährt, die voraussichtlich bald der öffentlichen Unterstützung verfallen, seien bei der zweijährigen Frist "sue großen praktischen Werth gewesen, sie würden durch Einführung der ein¬ jährigen Frist noch an Werth verlieren. Wir denken über diese Schutzmittel, s"sern darunter vor Allem die Bestimmungen der Z§ 4 und 5 des Frcizügig- keitsgesetzes gemeint sind, etwas anderes, als an mancher anderen Stelle gedacht Wird. Was sodann die weiter gehörte Klage betrifft, daß bis jetzt schon ein Abschub Unterstützungsbedürftiger nach den Städten stattgefunden habe in der Weise, daß solche Personen von ihren Armenverbänden in der fremden Ge¬ meinde zwei Jahre lang heimlich unterstützt worden seien und so den Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/105>, abgerufen am 16.06.2024.