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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Alexander II. verschrieben hat. Als guter Sohn nahm Alexander dieses Ge¬
schenk nicht nur an, sondern hielt es in hohen Ehren.

Dieses alte Jnventarienstück des kaiserlichen Winterpalais war übrigens
nirgends im Wege. Mit der Politik befaßte sich dieser Musterminister des
kaiserlichen Hauses so wenig wie möglich, und wenn der Veteran des alten
Systems sich anch nicht mit der Aufhebung der Leibeigenschaft befreunden konnte,
und bei jeder neuen Reform bedächtig den immer jugendlich scheinenden Kopf
schüttelte (wobei er jedoch nur seinen alten Kollegen Parm und Dvlgorukow
seknndirte) so that er dies doch immer mit der gebührenden Ehrfurcht und
Ruhe, und störte durch seine Opposition nicht die Ruhe der Bewohner des
Schlosses. Aber die Postverwaltung mußte Graf Adlerberg kurz nach der
Thronbesteigung Alexanders, -- und zwar auf eigenen Wunsch -- jüngeren
Händen übergeben. Er that dies, weil er sich in die neue, dnrch Eisenbahnen
geschaffene Ordnung nicht hineinfinden konnte und außerdem das Bedürfniß
fühlte, seine Zeit mehr seinein jungen Herrn und seiner jungen Dame widmen
zu können.

Diese junge Dame war die schon genannte Mina Jwanowna, eine hellblonde
lettische Dorfschöne, aus dem liefländischeu Städtchen Werro. Sie war nach
Petersburg gekommen, um eine" Dienst oder ihr Glück zu suchen, sie fand das
letztere. Bis ins späte Alter blieb der Graf dem Grundsatze des aueisu r^gine;
treu, daß jeder Großwürdenträger eine umitresZ" su lidrs haben müsse, wenn er
die ihm gebührende Achtung genießen soll. Seine letzte Liebe war eben jene
Lettin, welche er an einen "Staatsrath" verheirathete, der sofort nach der
Trauung eine Stellung bei der Hauptverwaltung in Sibirien erhielt. Madame
Mina Jwanowna zeigte sich allabendlich dein Volke in der Loge des zweiten
Balkons des deutschen Theaters, bis eine sonderbarer Zufall das idyllische Glück
des liebende" Pärchens zerstörte. Das Dienstreglement forderte nämlich, daß
jeder Beamter vor Ostern die fromme Pflicht erfülle und das Abendmahl nehme.
Adlerberg war Lutheraner und erschien pünktlich alljährlich einmal zur Erbauung
des Publikums in der Se. Annenkirche. Nun wollte es das Unglück, daß im
Jahre 1856 bei dieser Gelegenheit ein sehr eifriger Prediger aus Kurland
fnnktiouirte, welcher fo dreist war, dem würdigen Grafen als öffentlichem Sünder
die Kommunion zu versagen. Ueber die Folgen dieser Dreistigkeit des Geistlichen
erzählt man sich in Petersburg verschiedene Dinge. Er soll als Heidenbekehrer
in die Diözese Jakutsk gesandt worden sein; sicher ist jedoch, daß seit jener
Zeit öffentlich von Mina Jwanowna nicht mehr gesprochen wurde.

Im Jahre 1871 legte der nun zwei und achtzigjährige Graf Wladimir
Theodvrvwitsch das während eiues Vierteljahrhunderts mit Würde verwaltete
- Amt eines Ministers des kaiserlichen Hauses in die Hände seines Sohnes, des


Grenzboten I V. 1.^77. 4

Alexander II. verschrieben hat. Als guter Sohn nahm Alexander dieses Ge¬
schenk nicht nur an, sondern hielt es in hohen Ehren.

Dieses alte Jnventarienstück des kaiserlichen Winterpalais war übrigens
nirgends im Wege. Mit der Politik befaßte sich dieser Musterminister des
kaiserlichen Hauses so wenig wie möglich, und wenn der Veteran des alten
Systems sich anch nicht mit der Aufhebung der Leibeigenschaft befreunden konnte,
und bei jeder neuen Reform bedächtig den immer jugendlich scheinenden Kopf
schüttelte (wobei er jedoch nur seinen alten Kollegen Parm und Dvlgorukow
seknndirte) so that er dies doch immer mit der gebührenden Ehrfurcht und
Ruhe, und störte durch seine Opposition nicht die Ruhe der Bewohner des
Schlosses. Aber die Postverwaltung mußte Graf Adlerberg kurz nach der
Thronbesteigung Alexanders, — und zwar auf eigenen Wunsch — jüngeren
Händen übergeben. Er that dies, weil er sich in die neue, dnrch Eisenbahnen
geschaffene Ordnung nicht hineinfinden konnte und außerdem das Bedürfniß
fühlte, seine Zeit mehr seinein jungen Herrn und seiner jungen Dame widmen
zu können.

Diese junge Dame war die schon genannte Mina Jwanowna, eine hellblonde
lettische Dorfschöne, aus dem liefländischeu Städtchen Werro. Sie war nach
Petersburg gekommen, um eine» Dienst oder ihr Glück zu suchen, sie fand das
letztere. Bis ins späte Alter blieb der Graf dem Grundsatze des aueisu r^gine;
treu, daß jeder Großwürdenträger eine umitresZ« su lidrs haben müsse, wenn er
die ihm gebührende Achtung genießen soll. Seine letzte Liebe war eben jene
Lettin, welche er an einen „Staatsrath" verheirathete, der sofort nach der
Trauung eine Stellung bei der Hauptverwaltung in Sibirien erhielt. Madame
Mina Jwanowna zeigte sich allabendlich dein Volke in der Loge des zweiten
Balkons des deutschen Theaters, bis eine sonderbarer Zufall das idyllische Glück
des liebende» Pärchens zerstörte. Das Dienstreglement forderte nämlich, daß
jeder Beamter vor Ostern die fromme Pflicht erfülle und das Abendmahl nehme.
Adlerberg war Lutheraner und erschien pünktlich alljährlich einmal zur Erbauung
des Publikums in der Se. Annenkirche. Nun wollte es das Unglück, daß im
Jahre 1856 bei dieser Gelegenheit ein sehr eifriger Prediger aus Kurland
fnnktiouirte, welcher fo dreist war, dem würdigen Grafen als öffentlichem Sünder
die Kommunion zu versagen. Ueber die Folgen dieser Dreistigkeit des Geistlichen
erzählt man sich in Petersburg verschiedene Dinge. Er soll als Heidenbekehrer
in die Diözese Jakutsk gesandt worden sein; sicher ist jedoch, daß seit jener
Zeit öffentlich von Mina Jwanowna nicht mehr gesprochen wurde.

Im Jahre 1871 legte der nun zwei und achtzigjährige Graf Wladimir
Theodvrvwitsch das während eiues Vierteljahrhunderts mit Würde verwaltete
- Amt eines Ministers des kaiserlichen Hauses in die Hände seines Sohnes, des


Grenzboten I V. 1.^77. 4
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[0029] Alexander II. verschrieben hat. Als guter Sohn nahm Alexander dieses Ge¬ schenk nicht nur an, sondern hielt es in hohen Ehren. Dieses alte Jnventarienstück des kaiserlichen Winterpalais war übrigens nirgends im Wege. Mit der Politik befaßte sich dieser Musterminister des kaiserlichen Hauses so wenig wie möglich, und wenn der Veteran des alten Systems sich anch nicht mit der Aufhebung der Leibeigenschaft befreunden konnte, und bei jeder neuen Reform bedächtig den immer jugendlich scheinenden Kopf schüttelte (wobei er jedoch nur seinen alten Kollegen Parm und Dvlgorukow seknndirte) so that er dies doch immer mit der gebührenden Ehrfurcht und Ruhe, und störte durch seine Opposition nicht die Ruhe der Bewohner des Schlosses. Aber die Postverwaltung mußte Graf Adlerberg kurz nach der Thronbesteigung Alexanders, — und zwar auf eigenen Wunsch — jüngeren Händen übergeben. Er that dies, weil er sich in die neue, dnrch Eisenbahnen geschaffene Ordnung nicht hineinfinden konnte und außerdem das Bedürfniß fühlte, seine Zeit mehr seinein jungen Herrn und seiner jungen Dame widmen zu können. Diese junge Dame war die schon genannte Mina Jwanowna, eine hellblonde lettische Dorfschöne, aus dem liefländischeu Städtchen Werro. Sie war nach Petersburg gekommen, um eine» Dienst oder ihr Glück zu suchen, sie fand das letztere. Bis ins späte Alter blieb der Graf dem Grundsatze des aueisu r^gine; treu, daß jeder Großwürdenträger eine umitresZ« su lidrs haben müsse, wenn er die ihm gebührende Achtung genießen soll. Seine letzte Liebe war eben jene Lettin, welche er an einen „Staatsrath" verheirathete, der sofort nach der Trauung eine Stellung bei der Hauptverwaltung in Sibirien erhielt. Madame Mina Jwanowna zeigte sich allabendlich dein Volke in der Loge des zweiten Balkons des deutschen Theaters, bis eine sonderbarer Zufall das idyllische Glück des liebende» Pärchens zerstörte. Das Dienstreglement forderte nämlich, daß jeder Beamter vor Ostern die fromme Pflicht erfülle und das Abendmahl nehme. Adlerberg war Lutheraner und erschien pünktlich alljährlich einmal zur Erbauung des Publikums in der Se. Annenkirche. Nun wollte es das Unglück, daß im Jahre 1856 bei dieser Gelegenheit ein sehr eifriger Prediger aus Kurland fnnktiouirte, welcher fo dreist war, dem würdigen Grafen als öffentlichem Sünder die Kommunion zu versagen. Ueber die Folgen dieser Dreistigkeit des Geistlichen erzählt man sich in Petersburg verschiedene Dinge. Er soll als Heidenbekehrer in die Diözese Jakutsk gesandt worden sein; sicher ist jedoch, daß seit jener Zeit öffentlich von Mina Jwanowna nicht mehr gesprochen wurde. Im Jahre 1871 legte der nun zwei und achtzigjährige Graf Wladimir Theodvrvwitsch das während eiues Vierteljahrhunderts mit Würde verwaltete - Amt eines Ministers des kaiserlichen Hauses in die Hände seines Sohnes, des Grenzboten I V. 1.^77. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/29>, abgerufen am 16.06.2024.