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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Grafen Alexander Wladimirvwitsch nieder, und begann um, mit dein mit
Brillanten reich besetzten Bildnisse des Kaisers Alexander im Knopfloche, der
Ruhe zu pflegen und dabei das höchst gnädige und herzliche Handschreiben
Sr. Majestät zu lesen. Doch ging es nicht ganz ohne Unannehmlichkeiten ab;
ein junger Hofmarschall war so taktlos zu entdecken, daß im Winterpalnis fast
gar kein Inventarium vorhanden, und daß ein Verzeichnis; desselben wahrschein¬
lich seit dem Tode des Fürsten Wolkonski gar nicht geführt sei, was nach
unseren Begriffen die "höchste Unordnung" bedeutet. Da jedoch der Kaiser
von Rußland nicht gewöhnt ist, sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen, befahl
er mit gnädigem Lächeln, von dieser "Mils misers" weiter keine Notiz
zu nehmen.

Daß Graf Adlerberg I. seit der Niederlegung seiner Würden nur
selten öffentlich zu sehen ist, ist nur Folge seines vorgerückten Alters, der
Wille ist immer noch stark, -- aber das Fleisch ist schwach. Er gesteht
wenn auch mit Widerstreben, daß er doch alt geworden sei. Sein Sohn, Graf
Adlerberg II. zählt derzeit schon über 50 Jahre. Er ist, seinem Vater wenig
ähnlich. Auf dein großen, ziemlich dicken Rumpfe sitzt ein unschöner, mit
mongolischen Zügen ausgestattete Kopf, den kurzgeschvrenes graues Haar bedeckt.
Das unschöne Gesicht umgibt ein schon grauer Backenbart, dem ein eben solcher
Schnurrbart Gesellschaft leistet. Graf Alexander Wladimirvwitsch spielt bei
Kaiser Alexander die Rolle seines Vaters weiter fort. Er ist der alte Ge¬
fährte des Zaren^sein Partner beim Spiel, im Uebrigen aber ein Mensch, der
sich mit der Politik so wenig wie möglich beschäftigt, und in dieser Beziehung
nur antwortet, wenn er gefragt wird. Er gehört übrigens keiner am Hofe
und in der Stadt existirenden Partei an.

Ehemals war Graf Alexander wenig vortheilhaft wegen seiner Schulden,
und seiner Neigung zu hohen Hazardspielen bekannt. Die Schulden, welche
häufig die respektable Summe von einer halben Million erreichten, bezahlte der
Kaiser mit unerschöpflicher Langmuth; die Leidenschaft zum Spiel soll in den
letzten Jahren etwas nachgelassen haben.'

Graf Adlerberg II. wird von den Russen "äodr^ mal^" genannt, was
ungefähr I" Mit Kor Komme bedeutet. Er foll ein sehr zuvorkommender,
geselliger Mann sein -- aber es darf nichts kosten. Er versteht es auch, sich
sehr gut aus seinen Geldverlegenheiten zu wickeln. Seine zahlreichen Gläubiger
werden immer, wenn auch manchmal nach langem Warten, befriedigt. Beson¬
ders ist dies der Fall, seitdem der Petersburger Generalgouvemeur Fürst
Suwarow den Grundsatz durchgeführt hat, daß die Petersburger Gerichte auch
Klagen gegen kaiserliche Generaladjntanten annehmen, und die Urtheile mit
Strenge exequiren sollen. Dieser Graf Adlerberg Junior gehörte übrigens gegen


Grafen Alexander Wladimirvwitsch nieder, und begann um, mit dein mit
Brillanten reich besetzten Bildnisse des Kaisers Alexander im Knopfloche, der
Ruhe zu pflegen und dabei das höchst gnädige und herzliche Handschreiben
Sr. Majestät zu lesen. Doch ging es nicht ganz ohne Unannehmlichkeiten ab;
ein junger Hofmarschall war so taktlos zu entdecken, daß im Winterpalnis fast
gar kein Inventarium vorhanden, und daß ein Verzeichnis; desselben wahrschein¬
lich seit dem Tode des Fürsten Wolkonski gar nicht geführt sei, was nach
unseren Begriffen die „höchste Unordnung" bedeutet. Da jedoch der Kaiser
von Rußland nicht gewöhnt ist, sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen, befahl
er mit gnädigem Lächeln, von dieser „Mils misers" weiter keine Notiz
zu nehmen.

Daß Graf Adlerberg I. seit der Niederlegung seiner Würden nur
selten öffentlich zu sehen ist, ist nur Folge seines vorgerückten Alters, der
Wille ist immer noch stark, — aber das Fleisch ist schwach. Er gesteht
wenn auch mit Widerstreben, daß er doch alt geworden sei. Sein Sohn, Graf
Adlerberg II. zählt derzeit schon über 50 Jahre. Er ist, seinem Vater wenig
ähnlich. Auf dein großen, ziemlich dicken Rumpfe sitzt ein unschöner, mit
mongolischen Zügen ausgestattete Kopf, den kurzgeschvrenes graues Haar bedeckt.
Das unschöne Gesicht umgibt ein schon grauer Backenbart, dem ein eben solcher
Schnurrbart Gesellschaft leistet. Graf Alexander Wladimirvwitsch spielt bei
Kaiser Alexander die Rolle seines Vaters weiter fort. Er ist der alte Ge¬
fährte des Zaren^sein Partner beim Spiel, im Uebrigen aber ein Mensch, der
sich mit der Politik so wenig wie möglich beschäftigt, und in dieser Beziehung
nur antwortet, wenn er gefragt wird. Er gehört übrigens keiner am Hofe
und in der Stadt existirenden Partei an.

Ehemals war Graf Alexander wenig vortheilhaft wegen seiner Schulden,
und seiner Neigung zu hohen Hazardspielen bekannt. Die Schulden, welche
häufig die respektable Summe von einer halben Million erreichten, bezahlte der
Kaiser mit unerschöpflicher Langmuth; die Leidenschaft zum Spiel soll in den
letzten Jahren etwas nachgelassen haben.'

Graf Adlerberg II. wird von den Russen „äodr^ mal^" genannt, was
ungefähr I« Mit Kor Komme bedeutet. Er foll ein sehr zuvorkommender,
geselliger Mann sein — aber es darf nichts kosten. Er versteht es auch, sich
sehr gut aus seinen Geldverlegenheiten zu wickeln. Seine zahlreichen Gläubiger
werden immer, wenn auch manchmal nach langem Warten, befriedigt. Beson¬
ders ist dies der Fall, seitdem der Petersburger Generalgouvemeur Fürst
Suwarow den Grundsatz durchgeführt hat, daß die Petersburger Gerichte auch
Klagen gegen kaiserliche Generaladjntanten annehmen, und die Urtheile mit
Strenge exequiren sollen. Dieser Graf Adlerberg Junior gehörte übrigens gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/30>, abgerufen am 24.05.2024.