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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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unverhüllten Verlangen nach einer Revision der neuen Kreis- und Prvvinzial-
ordnung in den östlichen Provinzen hervortraten. Daß in einem so umfassenden
Reformwerke Fehler gemacht werden, liegt in der Natur der Sache, und mehr
noch in dem Antagonismus zwischen Ageordnetenhans und Herrenhaus. Man
weiß ja, daß der Behördenpleouasmus, über welchen jetzt so allgemeine Klage
geführt wird, wesentlich dem Herrenhause zu verdanken ist. Ohne Zweifel ist
es durchaus in der Ordnung, Mängel, welche sich in der Praxis herausgestellt
haben, in den für die übrigen Provinzen auszuarbeitenden Gesetzentwürfen zu
vermeiden; doch würde nichts im Wege stehen, solche Mängel, vorausgesetzt,
daß sie unbestritten sind, genan formulirt werden können und im Interesse des
allgemeinen Besten eine unverweilte Beseitigung erheischen, durch eine Novelle
aus der Selbstverwaltungsgesetzgebung der östlichen Provinzen hinauszuschaffen.
Aber diese ganze Gesetzgebung, nachdem sie kaum ins Leben getreten, einer
schrankenlosen "Revision" preiszugeben, würde denn doch gar wenig einer plan¬
mäßig operirenden Staatskunst entsprechen und sollte jedenfalls nicht von den¬
jenigen verlangt werden, welche gegen unsere Zeit den Vorwurf ununterbrochener
Gesetzmacherei erheben. Vergesse man doch nicht, welch' großen Antheil an den
Klagen über die neue Gesetzgebung allein das Ungemach hat, welches jedes
Sicheinleben in ungewohnte Verhältnisse mit sich bringt. Solange dieser un¬
vermeidliche Uebergangszustand andauert, kann ein unbefangenes Urtheil über
den Werth des Geschaffenen gar nicht erwartet werden.

Uebrigens nahmen alle Parteien ans dem Ausdehnuugscmtrage des Cen¬
trums Veranlassung, ihre Stellung zu der Fortführung der. Verwaltungsreform
nochmals zu präzisiren. Neues ist aus den betreffenden Erklärungen nicht
beizubringen. Immerhin war wenigstens diejenige von Seiten der national¬
liberalen Partei unerläßlich. Die halbamtliche "Proviuzialkorrespondenz" hatte
sich den Ausgang der "Urlaubsdebatte" so zurechtgelegt, daß es scheinen mußte,
als hätte sich die nationalliberale Fraktion ganz eins die Seite der Regierung
gestellt. Thatsächlich war dies keineswegs der Fall. Die Partei hatte es
einerseits abgelehnt, sich an einem Mißtrauensvotum zu betheiligen, andererseits
aber der Regierung über ihren von den Friedenthalschen Aeußerungen über den
Umfang des noch auszuführenden Reformwerks abweichenden Standpunkt keine"
Zweifel gelassen und von einer befriedigenden Verständigung über diese Diffe¬
renz ihre fernere Unterstützung abhängig gemacht. Bis zum Erscheinen des
von dem Minister verheißenen und für die gegenwärtige Session noch bestimmt
erwarteten Planes über Fortführung und Abschluß der Verwaltungsreforin
bleibt also die Entscheidung über das künftige Verhältniß zwischen der national¬
liberalen Partei und der Regierung in der Schwebe. In dieser Weise hat
Laster die Situation nochmals ausdrücklich gekennzeichnet.


unverhüllten Verlangen nach einer Revision der neuen Kreis- und Prvvinzial-
ordnung in den östlichen Provinzen hervortraten. Daß in einem so umfassenden
Reformwerke Fehler gemacht werden, liegt in der Natur der Sache, und mehr
noch in dem Antagonismus zwischen Ageordnetenhans und Herrenhaus. Man
weiß ja, daß der Behördenpleouasmus, über welchen jetzt so allgemeine Klage
geführt wird, wesentlich dem Herrenhause zu verdanken ist. Ohne Zweifel ist
es durchaus in der Ordnung, Mängel, welche sich in der Praxis herausgestellt
haben, in den für die übrigen Provinzen auszuarbeitenden Gesetzentwürfen zu
vermeiden; doch würde nichts im Wege stehen, solche Mängel, vorausgesetzt,
daß sie unbestritten sind, genan formulirt werden können und im Interesse des
allgemeinen Besten eine unverweilte Beseitigung erheischen, durch eine Novelle
aus der Selbstverwaltungsgesetzgebung der östlichen Provinzen hinauszuschaffen.
Aber diese ganze Gesetzgebung, nachdem sie kaum ins Leben getreten, einer
schrankenlosen „Revision" preiszugeben, würde denn doch gar wenig einer plan¬
mäßig operirenden Staatskunst entsprechen und sollte jedenfalls nicht von den¬
jenigen verlangt werden, welche gegen unsere Zeit den Vorwurf ununterbrochener
Gesetzmacherei erheben. Vergesse man doch nicht, welch' großen Antheil an den
Klagen über die neue Gesetzgebung allein das Ungemach hat, welches jedes
Sicheinleben in ungewohnte Verhältnisse mit sich bringt. Solange dieser un¬
vermeidliche Uebergangszustand andauert, kann ein unbefangenes Urtheil über
den Werth des Geschaffenen gar nicht erwartet werden.

Uebrigens nahmen alle Parteien ans dem Ausdehnuugscmtrage des Cen¬
trums Veranlassung, ihre Stellung zu der Fortführung der. Verwaltungsreform
nochmals zu präzisiren. Neues ist aus den betreffenden Erklärungen nicht
beizubringen. Immerhin war wenigstens diejenige von Seiten der national¬
liberalen Partei unerläßlich. Die halbamtliche „Proviuzialkorrespondenz" hatte
sich den Ausgang der „Urlaubsdebatte" so zurechtgelegt, daß es scheinen mußte,
als hätte sich die nationalliberale Fraktion ganz eins die Seite der Regierung
gestellt. Thatsächlich war dies keineswegs der Fall. Die Partei hatte es
einerseits abgelehnt, sich an einem Mißtrauensvotum zu betheiligen, andererseits
aber der Regierung über ihren von den Friedenthalschen Aeußerungen über den
Umfang des noch auszuführenden Reformwerks abweichenden Standpunkt keine»
Zweifel gelassen und von einer befriedigenden Verständigung über diese Diffe¬
renz ihre fernere Unterstützung abhängig gemacht. Bis zum Erscheinen des
von dem Minister verheißenen und für die gegenwärtige Session noch bestimmt
erwarteten Planes über Fortführung und Abschluß der Verwaltungsreforin
bleibt also die Entscheidung über das künftige Verhältniß zwischen der national¬
liberalen Partei und der Regierung in der Schwebe. In dieser Weise hat
Laster die Situation nochmals ausdrücklich gekennzeichnet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/320>, abgerufen am 24.05.2024.