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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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John Flemming, der in der Erzählung die irdische Vorsehung für den Helden,
und dem Dichter gegenüber die bequeme Rolle übernimmt, als Referent oder
als Ohr für sämmtliche Episoden der Vergangenheit zu dienen, welche der
Dichter dem Leser in der Gegenwart mitzutheilen hat. Auch was der Dichter
über Lyndes Jugend und dessen Onkel zu erzählen weiß, erfahre" wir durch
Flemming. Der Onkel wird, nachdem sein rasches Reichwerden, seine Pünkt¬
lichkeit und sein unbefleckter Ruf gebührend hervorgehoben sind, also geschildert:

"Herr David Lynde wohnte in einer Reihe von Gemächern in der obern
Stadt (in New-Aork) und speiste in seinem Kind, wo er den Abend gewöhnlich
beim Schachspiel mit einem andern vorsündfluthlichen Herrn verbrachte. Ein
Besuch im Theater, wenn irgend ein altenglisches Lustspiel oder ein neueng-
lisches Ballet über die Breter ging, war das Aeußerste, was er sich im Punkte
der Schwelgerei gestattete. Was man die Gesellschaft nenut, bekam nichts von
ihm zu sehen. Er war ein rauher, frischer, untersetzter alter Herr, der von
seiner Geburt an mit der Apoplexie verlobt war, das Leben in seiner eigen¬
thümlichen abgeschlossenen Weise genoß und darauf bestand, daß alle Welt um
ihn herum glücklich sein solle. Lieber Hütte er einen alten Freund erdrosselt,
als ihn nicht glücklich gesehen. Eine ihn recht bezeichnende Geschichte wird
von einem Streite erzählt, welchen er mit Ripley Sturdevant, einem alten
Schulfreunde, hatte, den er dreißig bis vierzig Jahre kannte. Senator Stur¬
devant kam bei dem großen Krach von 1857 unter den Schlitten. Lynde hatte
eine Hypothek auf Sturdevauts Haus und bestand darauf, sie zu anulliren.
Sturdevant weigerte sich, das Opfer anzunehmen. Beide waren hitzige alte
Herren, are^clef g,ni)0. Es erfolgten starke Anzüglichkeiten. Was sich dann
begab, ist niemals klar und deutlich an den Tag gekommen, aber man faud
Sturdevaut quer über dem Sopha des Komptoirs liegend, eine leichte Beule
über der einen Augenbraue und den zerissenen Hypothekenbrief im Vorhemde
steckend. Man zog daraus den Schluß, daß Lynde ihn 'zu Boden geschlagen
und ihm die Hypothek aufgezwungen hatte."

"Es war zu Anfang des letzten Semesters Lynde's im Kollege, als sein
Oheim sich von den Geschäften zurückzog, sich ein Haus in der Madisvn Aveniu'
taufte und es dnrch Ausschmückung mit Fresken und kostbaren Möbeln in eine
Art Palast verwandelte. Es gab da eine Bibliothek für "meinen Jungen,
den Red", ein Rauchzimmer mit Kirschbaumausstattuug, ein Billardzimmer
mit Möbeln und Getäfel aus dem Holze des schwarzen Walnußbaumes, einen
Speisesaal, der mit Eichenholzgeräth und karmvisinrvtheu Behängen und Stuhl¬
bezügen geschmückt war -- kurz, das beim ictea,! einer Höhle für ein paar
Junggesellen. Beim Jupiter! es war wie ein Klnbhaus -- das einzige Muster
und Vorbild einer Heimstätte, von dem der arme alte Lynde einen Begriff


John Flemming, der in der Erzählung die irdische Vorsehung für den Helden,
und dem Dichter gegenüber die bequeme Rolle übernimmt, als Referent oder
als Ohr für sämmtliche Episoden der Vergangenheit zu dienen, welche der
Dichter dem Leser in der Gegenwart mitzutheilen hat. Auch was der Dichter
über Lyndes Jugend und dessen Onkel zu erzählen weiß, erfahre» wir durch
Flemming. Der Onkel wird, nachdem sein rasches Reichwerden, seine Pünkt¬
lichkeit und sein unbefleckter Ruf gebührend hervorgehoben sind, also geschildert:

„Herr David Lynde wohnte in einer Reihe von Gemächern in der obern
Stadt (in New-Aork) und speiste in seinem Kind, wo er den Abend gewöhnlich
beim Schachspiel mit einem andern vorsündfluthlichen Herrn verbrachte. Ein
Besuch im Theater, wenn irgend ein altenglisches Lustspiel oder ein neueng-
lisches Ballet über die Breter ging, war das Aeußerste, was er sich im Punkte
der Schwelgerei gestattete. Was man die Gesellschaft nenut, bekam nichts von
ihm zu sehen. Er war ein rauher, frischer, untersetzter alter Herr, der von
seiner Geburt an mit der Apoplexie verlobt war, das Leben in seiner eigen¬
thümlichen abgeschlossenen Weise genoß und darauf bestand, daß alle Welt um
ihn herum glücklich sein solle. Lieber Hütte er einen alten Freund erdrosselt,
als ihn nicht glücklich gesehen. Eine ihn recht bezeichnende Geschichte wird
von einem Streite erzählt, welchen er mit Ripley Sturdevant, einem alten
Schulfreunde, hatte, den er dreißig bis vierzig Jahre kannte. Senator Stur¬
devant kam bei dem großen Krach von 1857 unter den Schlitten. Lynde hatte
eine Hypothek auf Sturdevauts Haus und bestand darauf, sie zu anulliren.
Sturdevant weigerte sich, das Opfer anzunehmen. Beide waren hitzige alte
Herren, are^clef g,ni)0. Es erfolgten starke Anzüglichkeiten. Was sich dann
begab, ist niemals klar und deutlich an den Tag gekommen, aber man faud
Sturdevaut quer über dem Sopha des Komptoirs liegend, eine leichte Beule
über der einen Augenbraue und den zerissenen Hypothekenbrief im Vorhemde
steckend. Man zog daraus den Schluß, daß Lynde ihn 'zu Boden geschlagen
und ihm die Hypothek aufgezwungen hatte."

„Es war zu Anfang des letzten Semesters Lynde's im Kollege, als sein
Oheim sich von den Geschäften zurückzog, sich ein Haus in der Madisvn Aveniu'
taufte und es dnrch Ausschmückung mit Fresken und kostbaren Möbeln in eine
Art Palast verwandelte. Es gab da eine Bibliothek für „meinen Jungen,
den Red", ein Rauchzimmer mit Kirschbaumausstattuug, ein Billardzimmer
mit Möbeln und Getäfel aus dem Holze des schwarzen Walnußbaumes, einen
Speisesaal, der mit Eichenholzgeräth und karmvisinrvtheu Behängen und Stuhl¬
bezügen geschmückt war — kurz, das beim ictea,! einer Höhle für ein paar
Junggesellen. Beim Jupiter! es war wie ein Klnbhaus — das einzige Muster
und Vorbild einer Heimstätte, von dem der arme alte Lynde einen Begriff


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[0340] John Flemming, der in der Erzählung die irdische Vorsehung für den Helden, und dem Dichter gegenüber die bequeme Rolle übernimmt, als Referent oder als Ohr für sämmtliche Episoden der Vergangenheit zu dienen, welche der Dichter dem Leser in der Gegenwart mitzutheilen hat. Auch was der Dichter über Lyndes Jugend und dessen Onkel zu erzählen weiß, erfahre» wir durch Flemming. Der Onkel wird, nachdem sein rasches Reichwerden, seine Pünkt¬ lichkeit und sein unbefleckter Ruf gebührend hervorgehoben sind, also geschildert: „Herr David Lynde wohnte in einer Reihe von Gemächern in der obern Stadt (in New-Aork) und speiste in seinem Kind, wo er den Abend gewöhnlich beim Schachspiel mit einem andern vorsündfluthlichen Herrn verbrachte. Ein Besuch im Theater, wenn irgend ein altenglisches Lustspiel oder ein neueng- lisches Ballet über die Breter ging, war das Aeußerste, was er sich im Punkte der Schwelgerei gestattete. Was man die Gesellschaft nenut, bekam nichts von ihm zu sehen. Er war ein rauher, frischer, untersetzter alter Herr, der von seiner Geburt an mit der Apoplexie verlobt war, das Leben in seiner eigen¬ thümlichen abgeschlossenen Weise genoß und darauf bestand, daß alle Welt um ihn herum glücklich sein solle. Lieber Hütte er einen alten Freund erdrosselt, als ihn nicht glücklich gesehen. Eine ihn recht bezeichnende Geschichte wird von einem Streite erzählt, welchen er mit Ripley Sturdevant, einem alten Schulfreunde, hatte, den er dreißig bis vierzig Jahre kannte. Senator Stur¬ devant kam bei dem großen Krach von 1857 unter den Schlitten. Lynde hatte eine Hypothek auf Sturdevauts Haus und bestand darauf, sie zu anulliren. Sturdevant weigerte sich, das Opfer anzunehmen. Beide waren hitzige alte Herren, are^clef g,ni)0. Es erfolgten starke Anzüglichkeiten. Was sich dann begab, ist niemals klar und deutlich an den Tag gekommen, aber man faud Sturdevaut quer über dem Sopha des Komptoirs liegend, eine leichte Beule über der einen Augenbraue und den zerissenen Hypothekenbrief im Vorhemde steckend. Man zog daraus den Schluß, daß Lynde ihn 'zu Boden geschlagen und ihm die Hypothek aufgezwungen hatte." „Es war zu Anfang des letzten Semesters Lynde's im Kollege, als sein Oheim sich von den Geschäften zurückzog, sich ein Haus in der Madisvn Aveniu' taufte und es dnrch Ausschmückung mit Fresken und kostbaren Möbeln in eine Art Palast verwandelte. Es gab da eine Bibliothek für „meinen Jungen, den Red", ein Rauchzimmer mit Kirschbaumausstattuug, ein Billardzimmer mit Möbeln und Getäfel aus dem Holze des schwarzen Walnußbaumes, einen Speisesaal, der mit Eichenholzgeräth und karmvisinrvtheu Behängen und Stuhl¬ bezügen geschmückt war — kurz, das beim ictea,! einer Höhle für ein paar Junggesellen. Beim Jupiter! es war wie ein Klnbhaus — das einzige Muster und Vorbild einer Heimstätte, von dem der arme alte Lynde einen Begriff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/340>, abgerufen am 25.05.2024.