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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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hatte. Sechs Monate vorher, ehe Red sein letztes Examen machte und den
Grad eines Baccalaureus erwarb, war das Etablissement unter der Oberauf-
sicht einer Perle von Haushälterin in vollem systematischen Gange. Hier nahm
sich David Lynde vor, den Rest seiner Tage mit seinem Neffen zu verleben, der
um der Form willen irgend einen angesehenen Beruf wühlen sollte; wo nicht,
auch gut und recht, der Junge würde ja Geld haben. Nun aber, gerade als
Red den ersten Preis im Griechischen und in der Mathematik davon trug und
von dem angenehmsten Leben träumte, das er mit seinem liebenswürdigen alten
Wohlthäter führen sollte -- was thut da dieser liebenswürdige alte Wohlthäter?
Je nun, er geht hin und heirathete die Haushälterin. David Lynde kannte
wenig von der Frauenwelt, er hatte in seinem ganzen Leben mit nicht mehr
als einem Dutzend Frauen gesprochen, er liebte sie nicht, ja er hegte eine gelinde
Art Verachtung vor ihnen, als vor Personen, die des Geschicks bei Geschäften
ermangelten. Es war nur eine natürliche Folge, wenn das erste Weib, welche
es für der Mühe werth ist, ihn wie ein Restchen Band um den Finger wickelte.
Als Red aus dem Kollege kam, fand er sich unverhofft in den Armen einer
Tante, die ihn naturgemäß auf den ersten Blick haßte. Der alte Lynde, der
sowohl seine Frau als seinen Neffen liebte, war abwechselnd heftig und schwach,
die Frau kalt, schlau und verschlagen -- eine Violen von vierzig Jahren, die
den alten Merlin am Barte führte. Ich will nicht behaupten, daß der Neffe
allezeit Recht hatte, aber ich weiß, daß er stets am Schlechtesten dabei wegkam,
was ungefähr auf Dasselbe hinausläuft. Nach Verlauf von acht oder zehn
Monaten sah er, daß die Stellung unhaltbar war, und so packte er eines
schönen Abends heilten Koffer und verließ die möimge -- oder, wie er's nannte,
die Menagerie."

In Folge dieses Familienzwistes empfahl John Flemming seinen Freund
Edward Lyude an seinen eigenen Onkel, Jenneß Bowlsby, den Direktor der
Nantilnsbank in Rivermonth und dieser nahm den jungen Mann, dessen Hal¬
tung und Auftreten den günstigen Eindruck verstärkten, den Herr Bowlsby
dem Briefe seines Neffen entnommen hatte, zunächst als Privatsekretär an.
Später stieg er zu der oben erwähnten Stelle empor. In dieser Stellung hat
er bereits einige Jahre verbracht, als unsre Erzählung beginnt. Er ist der
Liebling der guten Familien und namentlich der Damen der kleinen Stadt ge¬
worden. Selbst Fräulein Mildred Bowlsby, "damals die regierende Schönheit
der Stadt, war bereit, mit ihm bis an den Rand, wo der Trauuugsgvttesdienst
der bischöflichen Kirche beginnt und noch darüber hinaus zu koquettiren;
aber der phüuomenale Honigmonat, der sich in der letzten Zeit in Lynde's
Familie einquartirt hatte", machte ihn ungeneigt, auf eigene Rechnung dem
Beispiele seines Onkels zu folgen. Der Verkehr mit diesem Onkel beschränkte


Grenzboton IV. 1377. 4?.

hatte. Sechs Monate vorher, ehe Red sein letztes Examen machte und den
Grad eines Baccalaureus erwarb, war das Etablissement unter der Oberauf-
sicht einer Perle von Haushälterin in vollem systematischen Gange. Hier nahm
sich David Lynde vor, den Rest seiner Tage mit seinem Neffen zu verleben, der
um der Form willen irgend einen angesehenen Beruf wühlen sollte; wo nicht,
auch gut und recht, der Junge würde ja Geld haben. Nun aber, gerade als
Red den ersten Preis im Griechischen und in der Mathematik davon trug und
von dem angenehmsten Leben träumte, das er mit seinem liebenswürdigen alten
Wohlthäter führen sollte — was thut da dieser liebenswürdige alte Wohlthäter?
Je nun, er geht hin und heirathete die Haushälterin. David Lynde kannte
wenig von der Frauenwelt, er hatte in seinem ganzen Leben mit nicht mehr
als einem Dutzend Frauen gesprochen, er liebte sie nicht, ja er hegte eine gelinde
Art Verachtung vor ihnen, als vor Personen, die des Geschicks bei Geschäften
ermangelten. Es war nur eine natürliche Folge, wenn das erste Weib, welche
es für der Mühe werth ist, ihn wie ein Restchen Band um den Finger wickelte.
Als Red aus dem Kollege kam, fand er sich unverhofft in den Armen einer
Tante, die ihn naturgemäß auf den ersten Blick haßte. Der alte Lynde, der
sowohl seine Frau als seinen Neffen liebte, war abwechselnd heftig und schwach,
die Frau kalt, schlau und verschlagen — eine Violen von vierzig Jahren, die
den alten Merlin am Barte führte. Ich will nicht behaupten, daß der Neffe
allezeit Recht hatte, aber ich weiß, daß er stets am Schlechtesten dabei wegkam,
was ungefähr auf Dasselbe hinausläuft. Nach Verlauf von acht oder zehn
Monaten sah er, daß die Stellung unhaltbar war, und so packte er eines
schönen Abends heilten Koffer und verließ die möimge — oder, wie er's nannte,
die Menagerie."

In Folge dieses Familienzwistes empfahl John Flemming seinen Freund
Edward Lyude an seinen eigenen Onkel, Jenneß Bowlsby, den Direktor der
Nantilnsbank in Rivermonth und dieser nahm den jungen Mann, dessen Hal¬
tung und Auftreten den günstigen Eindruck verstärkten, den Herr Bowlsby
dem Briefe seines Neffen entnommen hatte, zunächst als Privatsekretär an.
Später stieg er zu der oben erwähnten Stelle empor. In dieser Stellung hat
er bereits einige Jahre verbracht, als unsre Erzählung beginnt. Er ist der
Liebling der guten Familien und namentlich der Damen der kleinen Stadt ge¬
worden. Selbst Fräulein Mildred Bowlsby, „damals die regierende Schönheit
der Stadt, war bereit, mit ihm bis an den Rand, wo der Trauuugsgvttesdienst
der bischöflichen Kirche beginnt und noch darüber hinaus zu koquettiren;
aber der phüuomenale Honigmonat, der sich in der letzten Zeit in Lynde's
Familie einquartirt hatte", machte ihn ungeneigt, auf eigene Rechnung dem
Beispiele seines Onkels zu folgen. Der Verkehr mit diesem Onkel beschränkte


Grenzboton IV. 1377. 4?.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/341>, abgerufen am 17.06.2024.