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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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die sich unter dein Titel: "Zwanglose Sommerbriefe eines Eurvpamnden" über
allerhand Gegenstünde verbreiten und zum Theil recht interressant sind, sodaß
man wünschen möchte, sie wären ausgeführter und nicht bloße Plaudereien.
Recht hübsch ist die Baby-Schow (der Säuglingsbazar) im sendenden Rye
geschildert, neu war uns die Mittheilung über die surprise-Parties, Ueberfälle
von Freunden in Masse, bei denen man aber Proviant und Eßgeschirr mit¬
bringt, und über das Wettebuchstabiren, das in allen Ständen mit Leidenschaft
betrieben wird. Amüsant endlich, um von verschiedenem Anderen zu schweigen,
sind mehrere von den in diesen Briefen erzählten Anekdoten, von denen wir
eine, welche das amerikanische Reporterwesen charakterisirt, hier abgekürzt mit¬
theilen wollen. Bekannt ist, daß der amerikanische Zeitungsberichterstatter das
Leben in allen Schichten des Volkes, von den höchsten bis zu den geringsten
herab beobachten und schildern muß. Nun gab einmal die uewyorker "Tribune"
einem ihrer Reporter den Auftrag, das Betteln, welches in den großen Städten als
wohlorganisirtes Geschäft betrieben wird, genan zu studiren. Der Journalist unter¬
zog sich dem in der Weise, daß er zunächst, sich in einen zerlumpten Strolch ver¬
wandelnd, das Land zwischen Newyork und Philadelphia durchwanderte, dann,
nach der Metropole am Hudson und Eastriver zurückgekehrt, sich in einer
Vagabuudenherberge zwei kleine Mädchen miethete, mit denen er vor den
Häusern singen ging, dann Apfelverkänfer an einer Straßenecke wurde und
zuletzt als künstlicher Krüppel und Solofänger die Stadt abklopfte, wobei er
kvnstatirte, welche Straßen den meisten Profit abwürfen. In dieser Verkleidung
erhielt er auch eine milde Gabe von einem Missionär, und um deu guten
Mann in seiner Ansicht von der Macht des Teufels und der Erbsünde zu be¬
stärken, ging er nach Empfang der Spende, sodaß jener es sehen mußte, in
einen Rumladen. Der geistliche Herr fiel in die Falle, paßte ihm auf, und
hielt ihm , als er wieder herauskam, eine salbungsvolle Strafpredigt, der sich
unser Spaßvogel, als sie zu lang wurde, durch die Flucht entzog. Er traf
auch seinen Chefredakteur, den er ebenfalls anbettelte, und seine Vermummung
war so vollkommen, die Leidensgeschichte, die er zu erzählen wußte, so rührend,
daß er nicht nur ein Geschenk von einem Vierteldollar, sondern auch die Aus¬
forderung erhielt, am nächsten Tage ans das Redaktionsbüreau der Zeitung
zu kommen, wo ihm gründlich geholfen werden solle. Dort erschien er denn
auch zur rechten Zeit in seiner gewöhnlichen Kleidung und gab lachend das
Geld zurück. Der erstaunte Redakteur aber mußte zugeben, daß sein Reporter
das Möglichste geleistet hatte. Ebenfalls recht ergötzlich sind die Geschichtchen
von der alten Frau, die ihren Specktransport zum Verbrennen opfert, blos
um das Dampfboot, mit dem sie fährt, ein anderes bei der Wettfahrt ausstechen
zu sehen (S. 162) und die, wie Barnum, der "Napoleon des Hnmbugs" von


die sich unter dein Titel: „Zwanglose Sommerbriefe eines Eurvpamnden" über
allerhand Gegenstünde verbreiten und zum Theil recht interressant sind, sodaß
man wünschen möchte, sie wären ausgeführter und nicht bloße Plaudereien.
Recht hübsch ist die Baby-Schow (der Säuglingsbazar) im sendenden Rye
geschildert, neu war uns die Mittheilung über die surprise-Parties, Ueberfälle
von Freunden in Masse, bei denen man aber Proviant und Eßgeschirr mit¬
bringt, und über das Wettebuchstabiren, das in allen Ständen mit Leidenschaft
betrieben wird. Amüsant endlich, um von verschiedenem Anderen zu schweigen,
sind mehrere von den in diesen Briefen erzählten Anekdoten, von denen wir
eine, welche das amerikanische Reporterwesen charakterisirt, hier abgekürzt mit¬
theilen wollen. Bekannt ist, daß der amerikanische Zeitungsberichterstatter das
Leben in allen Schichten des Volkes, von den höchsten bis zu den geringsten
herab beobachten und schildern muß. Nun gab einmal die uewyorker „Tribune"
einem ihrer Reporter den Auftrag, das Betteln, welches in den großen Städten als
wohlorganisirtes Geschäft betrieben wird, genan zu studiren. Der Journalist unter¬
zog sich dem in der Weise, daß er zunächst, sich in einen zerlumpten Strolch ver¬
wandelnd, das Land zwischen Newyork und Philadelphia durchwanderte, dann,
nach der Metropole am Hudson und Eastriver zurückgekehrt, sich in einer
Vagabuudenherberge zwei kleine Mädchen miethete, mit denen er vor den
Häusern singen ging, dann Apfelverkänfer an einer Straßenecke wurde und
zuletzt als künstlicher Krüppel und Solofänger die Stadt abklopfte, wobei er
kvnstatirte, welche Straßen den meisten Profit abwürfen. In dieser Verkleidung
erhielt er auch eine milde Gabe von einem Missionär, und um deu guten
Mann in seiner Ansicht von der Macht des Teufels und der Erbsünde zu be¬
stärken, ging er nach Empfang der Spende, sodaß jener es sehen mußte, in
einen Rumladen. Der geistliche Herr fiel in die Falle, paßte ihm auf, und
hielt ihm , als er wieder herauskam, eine salbungsvolle Strafpredigt, der sich
unser Spaßvogel, als sie zu lang wurde, durch die Flucht entzog. Er traf
auch seinen Chefredakteur, den er ebenfalls anbettelte, und seine Vermummung
war so vollkommen, die Leidensgeschichte, die er zu erzählen wußte, so rührend,
daß er nicht nur ein Geschenk von einem Vierteldollar, sondern auch die Aus¬
forderung erhielt, am nächsten Tage ans das Redaktionsbüreau der Zeitung
zu kommen, wo ihm gründlich geholfen werden solle. Dort erschien er denn
auch zur rechten Zeit in seiner gewöhnlichen Kleidung und gab lachend das
Geld zurück. Der erstaunte Redakteur aber mußte zugeben, daß sein Reporter
das Möglichste geleistet hatte. Ebenfalls recht ergötzlich sind die Geschichtchen
von der alten Frau, die ihren Specktransport zum Verbrennen opfert, blos
um das Dampfboot, mit dem sie fährt, ein anderes bei der Wettfahrt ausstechen
zu sehen (S. 162) und die, wie Barnum, der „Napoleon des Hnmbugs" von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/80>, abgerufen am 18.05.2024.