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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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und derselben Höhle dolychoeephale und brachycephnle Schädel beisammen
findet.

Die absoluten Maße der alten Schädel zeigen ferner, daß das Volumen
derselben nicht nnter dem der jetzigen Menschenrassen stand. Man hat
nach einzelnen Fällen geschlossen, es sei ans dem Rauminhalte der
alten Schädel deutlich eine Gehirnzunahme mit der Zeit zu erkennen; man
könnte aber ebenso wohl das Gegentheil behaupten, da das Volumen der
alten Schädel durchschnittlich größer ist, als das der jetzigen Bewohner jener
Gegenden. So gibt Buhl folgende Zahlen, welche ans den Snmmirnngen der
Werthe von Länge, Breite und Höhe des Schädels in Millimetern gebildet
sind und so ein nahezu genaues Verhältniß des Rauminhalts darstellen:
Altskandinavische Schädel aus der Steinzeit 479,5, Eskimoschädel 477,7,
Schädel aus der Höhle von Pcrthi- Chwarae in Wales 473,7, Schädel mo¬
derner Europäer 471,9, Schädel von Buschmännern 440,0 Millimeter. Als
Mittel fand sich aus 48 Männerschädeln der ältesten Zeit 482 und als solches
aus 19 Frauenschädeln derselben Periode 460. In einer Höhle bei Gibraltar
entdeckte man Schädel jener Zeit und Rasse, bei denen diese Summe 498 und
483 betrug. Wir sehen also deutlich, daß die Meinung, jene alte Bevölkerung
Westeuropas habe ihrem Schädelbaue nach niedriger gestanden als die jetzt
lebende Menschheit, ganz ohne Berechtigung ist.

Aus den Skelettheilen dieser Urmenschen ist noch zu entnehmen, daß die
Langköpfe ein kleiner, die Kurzköpfe ein großer Menschenschlag gewesen und
daß beide sonst wohl gebildet waren. Namentlich gehörten ihre Schädel zu
den sogenannten orthognathen, mit welchem Ausdrucke man die Eigenschaft
bezeichnet, daß die Zähne und der Kieferrand nahezu senkrecht stehen, während
man einen schiefen Stand beider, bei dem Ober- und Unterkiefer thiermaul-
artig vorspringen, prognath nennt.

Die Verbreitung dieser beiden Rassen in der Steinzeit über den Westen
Europas ist durch die Untersuchung der Höhlen Belgiens, Englands, Frank¬
reichs und Spaniens sicher ermittelt. Die kleinere langköpfige stimmt mit den
Basken , die größere kurzköpfige mit den Kelten überein , und es ist möglich,
daß beide sich in einigen Gegenden der genannten Länder bis auf unsere Tage
ziemlich unvermischt erhalten haben.

Man hat nun gemeint, aus dem roheren Aussehen mancher Steingeräthe
der Höhlen sowie ans gewissen geologischen Erscheinungen den Schluß ziehen
wollen, daß vor dieser Bevölkerung, deren Schädel und Skelette sich zahlreich
gefunden haben, noch eine andere gelebt habe, und jene als neolithische, diese als
paläolithische bezeichnet. Aber bis jetzt ist es nicht möglich gewesen, sie als
besondere Rassen nachzuweisen. Von den sogenannten paläolithischen Menschen,


und derselben Höhle dolychoeephale und brachycephnle Schädel beisammen
findet.

Die absoluten Maße der alten Schädel zeigen ferner, daß das Volumen
derselben nicht nnter dem der jetzigen Menschenrassen stand. Man hat
nach einzelnen Fällen geschlossen, es sei ans dem Rauminhalte der
alten Schädel deutlich eine Gehirnzunahme mit der Zeit zu erkennen; man
könnte aber ebenso wohl das Gegentheil behaupten, da das Volumen der
alten Schädel durchschnittlich größer ist, als das der jetzigen Bewohner jener
Gegenden. So gibt Buhl folgende Zahlen, welche ans den Snmmirnngen der
Werthe von Länge, Breite und Höhe des Schädels in Millimetern gebildet
sind und so ein nahezu genaues Verhältniß des Rauminhalts darstellen:
Altskandinavische Schädel aus der Steinzeit 479,5, Eskimoschädel 477,7,
Schädel aus der Höhle von Pcrthi- Chwarae in Wales 473,7, Schädel mo¬
derner Europäer 471,9, Schädel von Buschmännern 440,0 Millimeter. Als
Mittel fand sich aus 48 Männerschädeln der ältesten Zeit 482 und als solches
aus 19 Frauenschädeln derselben Periode 460. In einer Höhle bei Gibraltar
entdeckte man Schädel jener Zeit und Rasse, bei denen diese Summe 498 und
483 betrug. Wir sehen also deutlich, daß die Meinung, jene alte Bevölkerung
Westeuropas habe ihrem Schädelbaue nach niedriger gestanden als die jetzt
lebende Menschheit, ganz ohne Berechtigung ist.

Aus den Skelettheilen dieser Urmenschen ist noch zu entnehmen, daß die
Langköpfe ein kleiner, die Kurzköpfe ein großer Menschenschlag gewesen und
daß beide sonst wohl gebildet waren. Namentlich gehörten ihre Schädel zu
den sogenannten orthognathen, mit welchem Ausdrucke man die Eigenschaft
bezeichnet, daß die Zähne und der Kieferrand nahezu senkrecht stehen, während
man einen schiefen Stand beider, bei dem Ober- und Unterkiefer thiermaul-
artig vorspringen, prognath nennt.

Die Verbreitung dieser beiden Rassen in der Steinzeit über den Westen
Europas ist durch die Untersuchung der Höhlen Belgiens, Englands, Frank¬
reichs und Spaniens sicher ermittelt. Die kleinere langköpfige stimmt mit den
Basken , die größere kurzköpfige mit den Kelten überein , und es ist möglich,
daß beide sich in einigen Gegenden der genannten Länder bis auf unsere Tage
ziemlich unvermischt erhalten haben.

Man hat nun gemeint, aus dem roheren Aussehen mancher Steingeräthe
der Höhlen sowie ans gewissen geologischen Erscheinungen den Schluß ziehen
wollen, daß vor dieser Bevölkerung, deren Schädel und Skelette sich zahlreich
gefunden haben, noch eine andere gelebt habe, und jene als neolithische, diese als
paläolithische bezeichnet. Aber bis jetzt ist es nicht möglich gewesen, sie als
besondere Rassen nachzuweisen. Von den sogenannten paläolithischen Menschen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/21>, abgerufen am 20.05.2024.