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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Wcstmächte behaupten? Rußland wußte, daß die seinen Erfolgen im Orient
feindlichen Bestrebungen Metternichs an den Sympathien und Antipathien
König Karls des Zehnten von Frankreich gescheitert waren, aber derselbe war
ein Greis und sah seinen Thron vor den heranbrandenden Wogen der Revo¬
lution wanken. Es war sehr möglich, daß binnen Kurzem die Liga gegen
Rußland zusammenkam, die Metternich im Auge hatte. In dem Maße also,
in welchem Rußland dem von ihm erstrebten Ziele näher rückte, wuchs auch
seine Verlegenheit, aber diese Verlegenheit war nicht strategischer, sondern poli¬
tischer Natur. Gegenüber dem Schreckbilde eines europäischen Krieges wünschte
es aufrichtig den Frieden, nur mußte der erste Schritt zu diesem vom Be¬
siegten ausgehen. Es galt, dem Divan Vertrauen auf den Erfolg eines solchen
Schrittes einzuflößen, und dieß konnte nur durch eine neutrale, zu beiden
Parteien in freundschaftlichem Verhältniß stehende Macht geschehen. Diese
Macht war Preußen. Dasselbe hatte die Pforte vor den Folgen ihrer Wei¬
gerung, auf eine entsprechende Erledigung der griechischen Frage einzugehen,
gewarnt, sich dadurch Oesterreich und die Westmächte zu Danke verpflichtet und
sich zugleich das Recht erworben, den Divan darauf hinzuweisen, wie viel
besser er daran sein würde, wenn er seinen verständigen und wohlwollenden
Rathschlägen Gehör geschenkt hätte. Außerdem waren die allen Mächten be¬
kannten freundschaftlichen Beziehungen Preußens zu Rußland während des
Krieges ungestört geblieben. Man konnte annehmen, daß der König Friedrich
Wilhelm über die Absichten des Kaisers Nikolaus wohl unterrichtet sei, und
der ehrenhafte Charakter des ersteren bürgte für die von seinen Ministern hier¬
über gemachten Mittheilungen. Für den Kaiser Nikolaus waren diese Erwä¬
gungen von solcher Bedeutung, daß er im Sommer 1829 eine Reise zu seinem
königlichen Schwiegervater in Berlin unternahm, und diese Reise wurde Ver¬
anlassung, daß der preußische General v. Müffling als Vermittler nach Kon¬
stantinopel abging. Derselbe traf in den ersten Tagen des August daselbst ein.
In der über seine Sendung an den preußischen Gesandten bei der Pforte
v. Roher ergangenen Instruktion hieß es: Der Herr v. Müffling überbringt
werthvolle Mittheilungen nach Konstantinopel, um die Pforte zu beruhigen und
sie zugleich über ihre Gefahren aufzuklären. Er übermittelt zu gleicher Zeit
den Gesandten der betheiligten Mächte Thatsachen und Worte, infolge deren
sie mit verdoppeltem Eifer die chimärischen Hoffnungen des Sultans bekämpfen
und sie durch die Aussicht auf einen vernünftigen Frieden ersetzen werden.
Alle uns von Petersburg zugehenden Nachrichten bestärken uus in der Ueber¬
zeugung, die wir gewonnen haben, daß der Kaiser mitten im Triumphe jener
Mäßigung treubleibt, welche er uns verbürgt hat, und welche allein das Heil
der Welt bewirken kann . . . Vor allem hat die Pforte zu reden, um selber


Wcstmächte behaupten? Rußland wußte, daß die seinen Erfolgen im Orient
feindlichen Bestrebungen Metternichs an den Sympathien und Antipathien
König Karls des Zehnten von Frankreich gescheitert waren, aber derselbe war
ein Greis und sah seinen Thron vor den heranbrandenden Wogen der Revo¬
lution wanken. Es war sehr möglich, daß binnen Kurzem die Liga gegen
Rußland zusammenkam, die Metternich im Auge hatte. In dem Maße also,
in welchem Rußland dem von ihm erstrebten Ziele näher rückte, wuchs auch
seine Verlegenheit, aber diese Verlegenheit war nicht strategischer, sondern poli¬
tischer Natur. Gegenüber dem Schreckbilde eines europäischen Krieges wünschte
es aufrichtig den Frieden, nur mußte der erste Schritt zu diesem vom Be¬
siegten ausgehen. Es galt, dem Divan Vertrauen auf den Erfolg eines solchen
Schrittes einzuflößen, und dieß konnte nur durch eine neutrale, zu beiden
Parteien in freundschaftlichem Verhältniß stehende Macht geschehen. Diese
Macht war Preußen. Dasselbe hatte die Pforte vor den Folgen ihrer Wei¬
gerung, auf eine entsprechende Erledigung der griechischen Frage einzugehen,
gewarnt, sich dadurch Oesterreich und die Westmächte zu Danke verpflichtet und
sich zugleich das Recht erworben, den Divan darauf hinzuweisen, wie viel
besser er daran sein würde, wenn er seinen verständigen und wohlwollenden
Rathschlägen Gehör geschenkt hätte. Außerdem waren die allen Mächten be¬
kannten freundschaftlichen Beziehungen Preußens zu Rußland während des
Krieges ungestört geblieben. Man konnte annehmen, daß der König Friedrich
Wilhelm über die Absichten des Kaisers Nikolaus wohl unterrichtet sei, und
der ehrenhafte Charakter des ersteren bürgte für die von seinen Ministern hier¬
über gemachten Mittheilungen. Für den Kaiser Nikolaus waren diese Erwä¬
gungen von solcher Bedeutung, daß er im Sommer 1829 eine Reise zu seinem
königlichen Schwiegervater in Berlin unternahm, und diese Reise wurde Ver¬
anlassung, daß der preußische General v. Müffling als Vermittler nach Kon¬
stantinopel abging. Derselbe traf in den ersten Tagen des August daselbst ein.
In der über seine Sendung an den preußischen Gesandten bei der Pforte
v. Roher ergangenen Instruktion hieß es: Der Herr v. Müffling überbringt
werthvolle Mittheilungen nach Konstantinopel, um die Pforte zu beruhigen und
sie zugleich über ihre Gefahren aufzuklären. Er übermittelt zu gleicher Zeit
den Gesandten der betheiligten Mächte Thatsachen und Worte, infolge deren
sie mit verdoppeltem Eifer die chimärischen Hoffnungen des Sultans bekämpfen
und sie durch die Aussicht auf einen vernünftigen Frieden ersetzen werden.
Alle uns von Petersburg zugehenden Nachrichten bestärken uus in der Ueber¬
zeugung, die wir gewonnen haben, daß der Kaiser mitten im Triumphe jener
Mäßigung treubleibt, welche er uns verbürgt hat, und welche allein das Heil
der Welt bewirken kann . . . Vor allem hat die Pforte zu reden, um selber


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[0362] Wcstmächte behaupten? Rußland wußte, daß die seinen Erfolgen im Orient feindlichen Bestrebungen Metternichs an den Sympathien und Antipathien König Karls des Zehnten von Frankreich gescheitert waren, aber derselbe war ein Greis und sah seinen Thron vor den heranbrandenden Wogen der Revo¬ lution wanken. Es war sehr möglich, daß binnen Kurzem die Liga gegen Rußland zusammenkam, die Metternich im Auge hatte. In dem Maße also, in welchem Rußland dem von ihm erstrebten Ziele näher rückte, wuchs auch seine Verlegenheit, aber diese Verlegenheit war nicht strategischer, sondern poli¬ tischer Natur. Gegenüber dem Schreckbilde eines europäischen Krieges wünschte es aufrichtig den Frieden, nur mußte der erste Schritt zu diesem vom Be¬ siegten ausgehen. Es galt, dem Divan Vertrauen auf den Erfolg eines solchen Schrittes einzuflößen, und dieß konnte nur durch eine neutrale, zu beiden Parteien in freundschaftlichem Verhältniß stehende Macht geschehen. Diese Macht war Preußen. Dasselbe hatte die Pforte vor den Folgen ihrer Wei¬ gerung, auf eine entsprechende Erledigung der griechischen Frage einzugehen, gewarnt, sich dadurch Oesterreich und die Westmächte zu Danke verpflichtet und sich zugleich das Recht erworben, den Divan darauf hinzuweisen, wie viel besser er daran sein würde, wenn er seinen verständigen und wohlwollenden Rathschlägen Gehör geschenkt hätte. Außerdem waren die allen Mächten be¬ kannten freundschaftlichen Beziehungen Preußens zu Rußland während des Krieges ungestört geblieben. Man konnte annehmen, daß der König Friedrich Wilhelm über die Absichten des Kaisers Nikolaus wohl unterrichtet sei, und der ehrenhafte Charakter des ersteren bürgte für die von seinen Ministern hier¬ über gemachten Mittheilungen. Für den Kaiser Nikolaus waren diese Erwä¬ gungen von solcher Bedeutung, daß er im Sommer 1829 eine Reise zu seinem königlichen Schwiegervater in Berlin unternahm, und diese Reise wurde Ver¬ anlassung, daß der preußische General v. Müffling als Vermittler nach Kon¬ stantinopel abging. Derselbe traf in den ersten Tagen des August daselbst ein. In der über seine Sendung an den preußischen Gesandten bei der Pforte v. Roher ergangenen Instruktion hieß es: Der Herr v. Müffling überbringt werthvolle Mittheilungen nach Konstantinopel, um die Pforte zu beruhigen und sie zugleich über ihre Gefahren aufzuklären. Er übermittelt zu gleicher Zeit den Gesandten der betheiligten Mächte Thatsachen und Worte, infolge deren sie mit verdoppeltem Eifer die chimärischen Hoffnungen des Sultans bekämpfen und sie durch die Aussicht auf einen vernünftigen Frieden ersetzen werden. Alle uns von Petersburg zugehenden Nachrichten bestärken uus in der Ueber¬ zeugung, die wir gewonnen haben, daß der Kaiser mitten im Triumphe jener Mäßigung treubleibt, welche er uns verbürgt hat, und welche allein das Heil der Welt bewirken kann . . . Vor allem hat die Pforte zu reden, um selber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/362>, abgerufen am 16.06.2024.