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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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wenn wir nicht gesonnen und genöthigt sind, blank zu ziehen; und unsere
politische Leitung hat auch in diesem Falle ihre Pflicht zur rechten Zeit und
ein für allemal gethan, so daß sie nicht nöthig hat, uach jeder Wandlung des
Kriegsglücks eine andere Farbe auszuspielen.

Noch unmittelbarer als die orientalischen Wirren berührte Deutschland
jene französische Krisis, welche mit dem 16. Mai dieses Jahres ihren Anfang
nahm und Mitte Dezember ihren vorläufigen Abschluß fand in der völligen
Niederlage jener unnatürlichen Koalition, die am 16. Mai die Herrschaft über
Frankreich angetreten hatte. Diese Krisis berührte uns unmittelbarer; denn
ein dauernder Sieg der monarchisch-ultramontanen Koalition in Frankreich
hätte nicht bloß unsere Reichsfeinde zum äußersten Widerstande ermuthigt, er
hätte auch den Revanchekrieg, den heiligen Kreuzzug der katholischen Liga in
Kürze über uns Ketzer gebracht. Und dennoch haben wir auch diese drohende
Gefahr im Gefühl unsrer Kraft und Wehrhaftigkeit innern und äußern Feinden
gegenüber mit einer Gemüthsruhe aufsteigen, wachsen und verschwinden sehen,
wie wir sie kaum jemals zuvor gegenüber einer wichtigen Staatsumwälzung
unserer westlichen Nachbarn besaßen. Unsere Presse und unsere öffentliche
Meinung hat das Verdienst, daß sie von Anfang an die Tragweite und Ab¬
sicht des französischen Staatsstreiches vom 16. Mai richtig erkannte, und wohl¬
meinend und uneigennützig dem Volke Frankreichs in den schweren Monaten
der Prüfung, die seitdem folgten, zur Seite stand. Unsre politische Leitung
und unser Vertreter in Paris haben keinen Augenblick ein Hehl gemacht aus
ihrer Auffassung der Sachlage. Aber in der ganzen schweren Krisis, die so
leicht entscheidend geworden wäre für den Frieden unsrer nächsten Zukunft ist
uicht ein Wort gefallen, welches auch der argwöhnischste französische Chauvinist
uns als hochfahrende Aeußerung unseres Kraftbewußtseins, als Reizung des
französischen Nationalgefühls hätte auslegen können. Kaum irgendwo außer¬
halb Frankreichs wird die endliche friedliche Lösung dieses Konfliktes mit größerer
und aufrichtigerer Freude begrüßt worden sein, als in den leitenden Kreisen
unserer Politik und im ganzen deutschen Volke.

Vielleicht haben wir später noch mehr Grund diesen Wandel der Dinge
in Frankreich zu segnen, als uns heute erkennbar scheint. Vielleicht ist damit
zum Theil auch der Wendepunkt für unsre innere Krisis gekommen. Alle die
Elemente, welche wir in Frankreich obenauf sahen seit dem sechzehnten Mai,
sehen wir bei uns thätig, die Stellung des deutschen Kanzlers zu unterwühlen.
Als zuerst im Frühjahr d. I. die deutsche Kanzlerkrisis anfing ihre schwarzen
Schatten über unser öffentliches Leben zu werfen, haben d. Bl. nachgewiesen,
daß ultramontane Intriguen, mit jesuitischer Geschicklichkeit eingefädelt und
weiter gesponnen, einen Hauptantheil hätten an dem Entlassungsgesuche des


wenn wir nicht gesonnen und genöthigt sind, blank zu ziehen; und unsere
politische Leitung hat auch in diesem Falle ihre Pflicht zur rechten Zeit und
ein für allemal gethan, so daß sie nicht nöthig hat, uach jeder Wandlung des
Kriegsglücks eine andere Farbe auszuspielen.

Noch unmittelbarer als die orientalischen Wirren berührte Deutschland
jene französische Krisis, welche mit dem 16. Mai dieses Jahres ihren Anfang
nahm und Mitte Dezember ihren vorläufigen Abschluß fand in der völligen
Niederlage jener unnatürlichen Koalition, die am 16. Mai die Herrschaft über
Frankreich angetreten hatte. Diese Krisis berührte uns unmittelbarer; denn
ein dauernder Sieg der monarchisch-ultramontanen Koalition in Frankreich
hätte nicht bloß unsere Reichsfeinde zum äußersten Widerstande ermuthigt, er
hätte auch den Revanchekrieg, den heiligen Kreuzzug der katholischen Liga in
Kürze über uns Ketzer gebracht. Und dennoch haben wir auch diese drohende
Gefahr im Gefühl unsrer Kraft und Wehrhaftigkeit innern und äußern Feinden
gegenüber mit einer Gemüthsruhe aufsteigen, wachsen und verschwinden sehen,
wie wir sie kaum jemals zuvor gegenüber einer wichtigen Staatsumwälzung
unserer westlichen Nachbarn besaßen. Unsere Presse und unsere öffentliche
Meinung hat das Verdienst, daß sie von Anfang an die Tragweite und Ab¬
sicht des französischen Staatsstreiches vom 16. Mai richtig erkannte, und wohl¬
meinend und uneigennützig dem Volke Frankreichs in den schweren Monaten
der Prüfung, die seitdem folgten, zur Seite stand. Unsre politische Leitung
und unser Vertreter in Paris haben keinen Augenblick ein Hehl gemacht aus
ihrer Auffassung der Sachlage. Aber in der ganzen schweren Krisis, die so
leicht entscheidend geworden wäre für den Frieden unsrer nächsten Zukunft ist
uicht ein Wort gefallen, welches auch der argwöhnischste französische Chauvinist
uns als hochfahrende Aeußerung unseres Kraftbewußtseins, als Reizung des
französischen Nationalgefühls hätte auslegen können. Kaum irgendwo außer¬
halb Frankreichs wird die endliche friedliche Lösung dieses Konfliktes mit größerer
und aufrichtigerer Freude begrüßt worden sein, als in den leitenden Kreisen
unserer Politik und im ganzen deutschen Volke.

Vielleicht haben wir später noch mehr Grund diesen Wandel der Dinge
in Frankreich zu segnen, als uns heute erkennbar scheint. Vielleicht ist damit
zum Theil auch der Wendepunkt für unsre innere Krisis gekommen. Alle die
Elemente, welche wir in Frankreich obenauf sahen seit dem sechzehnten Mai,
sehen wir bei uns thätig, die Stellung des deutschen Kanzlers zu unterwühlen.
Als zuerst im Frühjahr d. I. die deutsche Kanzlerkrisis anfing ihre schwarzen
Schatten über unser öffentliches Leben zu werfen, haben d. Bl. nachgewiesen,
daß ultramontane Intriguen, mit jesuitischer Geschicklichkeit eingefädelt und
weiter gesponnen, einen Hauptantheil hätten an dem Entlassungsgesuche des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/10>, abgerufen am 15.05.2024.