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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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deutschen Reichskanzlers. Ultrcnnvntane Elemente in erster Linie erfochten den
Sieg vom sechzehnten Mai in Frankreich und vertagten die Erfüllung ihrer
Hoffnungen vorläufig mit Einsetzung des Ministeriums Dufaure. Unver¬
gessen ist uns ferner, wie innig jener vormalige deutsche Botschafter in Paris auch
mit dem anderen Theile der Sieger vom sechszehnten Mai liirt war, mit den
französischen Monarchisten, jener deutsche Botschafter, dessen Freunde und Gönner
noch hente in hohem Ansehen in den höchsten Kreisen der deutschen Hauptstadt
stehen, obwohl Graf Arnim wegen gemeiner Verbrechen zu fünf Jahren Zucht¬
haus verurtheilt ist. Auch sachlich besteht in der That, wie Graf Arnim von
seinem Standpunkt aus sehr richtig erkannte, eine weitgehende Interessengemein¬
schaft zwischen der ultramontan-konservativen Koalition in Frankreich und der
junkerlich-ultramontan-pietistischen Klique, welche sich zwischen das Oberhaupt
der deutschen Nation und den deutschen Reichskanzler zu drängen sucht. Drüben
in Frankreich wie bei uns gilt es, entgegen dem Drange und den Bedürfnissen
des Volkes, die Gesetzgebung, die Volkserziehung, den Verkehr mit anderen
Nationen u. s. w. zurückzuschrauben nach dem eigensüchtigen Herzenswünsche einer
priesterlich-feudalen Herrenkaste. In allen ihren unlautern Strebungen hätte
unsre Kreuzzeitungspartei -- so ist die Koalition disparater Geister, die
sich unter dem stolzen Namen der Deutsch-Konservativen zusammengefunden
hat, ja immer noch am richtigsten und am kürzesten bezeichnet -- an den Siegern
vom sechzehnten Mai in Versailles den sichersten Rückhalt gefunden. Nun, da
der hohe Sport an der Seine verdorben ist, beginnt man auch an der Spree
das frevelhafte Spiel aufzugeben, die Geschicke des deutschen Volkes der Obhut
seiner natürlichen Feinde anzuvertrauen.

Keine Beschwichtigungsartikel jener offiziösen Presse, die der Reichskanzler
selbst wiederholt schon so kräftig desavouirt und selbst Lügen gestraft hat, ver¬
mag uns zu täuschen über den Ernst der Gefahr, die seit dem Frühling dieses
Jahres über unserem Vaterland schwebt. Man braucht nur an die Fülle
und Größe der Aufgaben zu erinnern, welche im Innern des Reiches, Preußens
und der Einzelstaaten vergeblich ihrer Erledigung harren, um den richtigen
Namen zu gewinnen für jene eiteln und frivolen Intriguen, welche sich unter¬
fingen, nach Beseitigung des Kanzlers Riesenaufgaben zu lösen, zu deren Be¬
wältigung der Stärkste der Nation seine gesammelte Kraft kaum hinreichend
glaubte. Die Weihnachtszeit des vergangenen Jahres hat das deutsche Volk
mit einer Gabe beschenkt, deren sich längst und mit weit geringerer Mühe geeinte
Nationen heute noch nicht erfreuen: einer einheitlichen Rechtsordnung. Die
bedeutsamen Gesetze ins Leben einzuführen, mit Bestehendem thunlich zu ver¬
söhnen, ist Sache der einzelnen Staaten. Aber dringende und argwöhnische
Überwachung dnrch das Reich, welches unbedenklich den Sitz des künftigen Reichs-


deutschen Reichskanzlers. Ultrcnnvntane Elemente in erster Linie erfochten den
Sieg vom sechzehnten Mai in Frankreich und vertagten die Erfüllung ihrer
Hoffnungen vorläufig mit Einsetzung des Ministeriums Dufaure. Unver¬
gessen ist uns ferner, wie innig jener vormalige deutsche Botschafter in Paris auch
mit dem anderen Theile der Sieger vom sechszehnten Mai liirt war, mit den
französischen Monarchisten, jener deutsche Botschafter, dessen Freunde und Gönner
noch hente in hohem Ansehen in den höchsten Kreisen der deutschen Hauptstadt
stehen, obwohl Graf Arnim wegen gemeiner Verbrechen zu fünf Jahren Zucht¬
haus verurtheilt ist. Auch sachlich besteht in der That, wie Graf Arnim von
seinem Standpunkt aus sehr richtig erkannte, eine weitgehende Interessengemein¬
schaft zwischen der ultramontan-konservativen Koalition in Frankreich und der
junkerlich-ultramontan-pietistischen Klique, welche sich zwischen das Oberhaupt
der deutschen Nation und den deutschen Reichskanzler zu drängen sucht. Drüben
in Frankreich wie bei uns gilt es, entgegen dem Drange und den Bedürfnissen
des Volkes, die Gesetzgebung, die Volkserziehung, den Verkehr mit anderen
Nationen u. s. w. zurückzuschrauben nach dem eigensüchtigen Herzenswünsche einer
priesterlich-feudalen Herrenkaste. In allen ihren unlautern Strebungen hätte
unsre Kreuzzeitungspartei — so ist die Koalition disparater Geister, die
sich unter dem stolzen Namen der Deutsch-Konservativen zusammengefunden
hat, ja immer noch am richtigsten und am kürzesten bezeichnet — an den Siegern
vom sechzehnten Mai in Versailles den sichersten Rückhalt gefunden. Nun, da
der hohe Sport an der Seine verdorben ist, beginnt man auch an der Spree
das frevelhafte Spiel aufzugeben, die Geschicke des deutschen Volkes der Obhut
seiner natürlichen Feinde anzuvertrauen.

Keine Beschwichtigungsartikel jener offiziösen Presse, die der Reichskanzler
selbst wiederholt schon so kräftig desavouirt und selbst Lügen gestraft hat, ver¬
mag uns zu täuschen über den Ernst der Gefahr, die seit dem Frühling dieses
Jahres über unserem Vaterland schwebt. Man braucht nur an die Fülle
und Größe der Aufgaben zu erinnern, welche im Innern des Reiches, Preußens
und der Einzelstaaten vergeblich ihrer Erledigung harren, um den richtigen
Namen zu gewinnen für jene eiteln und frivolen Intriguen, welche sich unter¬
fingen, nach Beseitigung des Kanzlers Riesenaufgaben zu lösen, zu deren Be¬
wältigung der Stärkste der Nation seine gesammelte Kraft kaum hinreichend
glaubte. Die Weihnachtszeit des vergangenen Jahres hat das deutsche Volk
mit einer Gabe beschenkt, deren sich längst und mit weit geringerer Mühe geeinte
Nationen heute noch nicht erfreuen: einer einheitlichen Rechtsordnung. Die
bedeutsamen Gesetze ins Leben einzuführen, mit Bestehendem thunlich zu ver¬
söhnen, ist Sache der einzelnen Staaten. Aber dringende und argwöhnische
Überwachung dnrch das Reich, welches unbedenklich den Sitz des künftigen Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/11>, abgerufen am 15.05.2024.